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Coffin Corner. Amel KarboulЧитать онлайн книгу.

Coffin Corner - Amel Karboul


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sehr viel entspannter und beweglicher. Ein Wirbelsturm hat die Stromversorgung gekappt? Dann werfen wir die Notstromaggregate an und sehen mal, wie weit wir kommen. Die Regierung kürzt die Forschungsetats für die Raum- und Luftfahrt? Dann sollten wir ein anderes Erlösmodell versuchen. Das Granatapfel-Denken reagiert auf das, was in der realen Welt passiert – anstatt anzunehmen, dass es mit Plänen die reale Welt in den Griff kriegen könnte. Es orientiert sich nicht am Plan, sondern an der Welt.

      Bekanntestes Beispiel ist der Suchmaschinen-Marktführer Google: 20 Prozent ihrer Zeit können Mitarbeiter nutzen, um außerhalb des Solls neue Ideen zu entwickeln und eigene Projekte zu verfolgen – auch, wenn sie vielleicht mit Google gar nichts zu tun haben oder nie umgesetzt werden. Das ist alles, nur nicht effizient! Das ist überhaupt nicht optimal! Es sieht sogar aus, wie eine grandiose Verschwendung. Aber: Google News ist so entstanden. Und Google Maps. Und Google Mail. Einfach mal ein Produkt auf den Markt werfen – und dann abwarten, ob es den Nerv der Zeit trifft. Wenn nein, dann eben nicht. Google Wave, Google Buzz? Gefloppt. So what?

      Wenn das Railway-Denken und das Granatapfel-Denken aufeinanderprallen, gibt es oft Missverständnisse. Vielleicht haben Sie das auch schon mal erlebt. Sie wollen von Ihrem Geschäftspartner einfach nur wissen, wie Sie Ihre Rechnung stellen sollen – und bekommen drei verschiedene Antworten. Wie reagieren Sie? Vielleicht sind Sie beeindruckt, mit welcher Souveränität mit den Möglichkeiten jongliert wird. Mit höherer Wahrscheinlichkeit schütteln Sie den Kopf: Was für ein Chaos! Was für eine Umständlichkeit! Und was für phlegmatische Menschen! Und Ihre Geschäftspartner wundern sich möglicherweise genauso über Sie: Was für ein unflexibler Mensch, was für ein Bürokrat!

      Dabei ist keine der Denkweisen besser oder schlechter als die andere. Die Frage ist einfach: Welche Denkweise ist in der jeweiligen Situation geeigneter?

      Junge innovative Unternehmen versuchen seit einiger Zeit, sich das Beste aus beiden Denkwelten zu holen. Insbesondere bei der Entwicklung neuer Produkte haben viele Unternehmen begriffen, dass sie einen gewissen Freiraum für ihre Mitarbeiter schaffen müssen. Denn Kreativität verläuft kaum nach linearen Mustern und lässt sich daher nur bedingt planen. Ohne Kreativität gibt es kein verbessertes Produkt. Doch auch hier schlägt der über Jahrzehnte antrainierte Kontroll-Reflex des Railway-Denkens wieder zu: Selbst für die Kreativität muss noch ein Kontrollprozess definiert werden. Wie lange darf ein Ingenieur brauchen, um an einer neuen Bremse zu tüfteln? An welchen Stellen können Kosten eingespart werden? Wie kann mit möglichst geringem Aufwand ein optimales Kreativitäts-Ergebnis erzielt werden? Spätestens hier, wenn das Unplanbare geplant wird, beißt sich die Katze in den Schwanz.

      Um wirklich aus der Coffin Corner herauszufinden, ist es genau der verkehrte Ansatz, neue Regeln einzuführen. Neue Maßnahmen, neue Tools, neue Prozessoptimierungen – alles für die Katz. Eine echte Chance hat nur, wer die Scheuklappen wahrnimmt, die sein Blickfeld verengen. Nur wer sie wahrnimmt, kann sie abnehmen. Nur wer nach links und rechts sieht, kann die Flughöhe erkennen. Ikarus wäre nicht abgestürzt, wenn er nur ein wenig mehr Abstand zur Sonne gehalten hätte.

      Ich will nicht, dass gute Unternehmen in die Coffin Cornerfliegen! Mir geht es darum, dass durch Railway-Denken geprägte Unternehmen ein wenig Granatapfel-Denken lernen.

      Fliegen Sie also ein Stückchen tiefer! Reizen Sie die Optimierung nicht vollständig bis zum letzten Zentimeter aus, planen Sie nicht jedes Detail, sondern vielleicht nur die wichtigen Eckpunkte und entscheiden Sie über die Feinheiten dann, wenn sie anstehen. Gehen Sie runter aus der Coffin Corner in Bereiche, wo Sie noch Spielraum haben, um auf Unerwartetes zu reagieren.

      Das neue Ziel im 21. Jahrhundert kann nicht mehr maximale Effizienz sein. Bitte denken Sie um! Das neue Ziel, das ich Ihnen vorschlagen möchte, heißt: ausreichende Dynamikrobustheit.

      Das Railway-Denken hat seinen Sinn. Es war lange Zeit der Schlüssel zum Erfolg. Aber in der komplexen Welt des 21. Jahrhunderts reicht es nicht mehr. Es wird Zeit für mehr Flexibilität. Auf den ersten Blick mag das Granatapfel-Denken vielleicht für Sie skurril oder unrealistisch wirken. Doch es passt in unsere Gegenwart, deren Widersprüche wir nicht auflösen, sondern nur aushalten und im besten Falle für uns nutzen können. Es ist die Methode der Erfolgreichen unserer Zeit.

      KAPITEL 2

       JOHN WAYNE ALS CEO

      »I won’t be wronged. I won’t be insulted. I won’t be laid a hand on. I don’t do these things to other people, and I require the same from them.«

      Der Reiter mit dem eisenharten Gesicht hat sein Pferd zum Stehen gebracht. Er schiebt seinen Hut nach oben und blinzelt in die tief stehende Sonne. An seiner Weste blitzt ein Sheriffstern.

      Ein Mann. Eine Mission. Es folgt der Showdown.

      Alles ist ruhig. Der Sheriff steigt vom Pferd und gibt dem Tier einen gönnerhaften Klaps auf den Hals. Dann zückt er das Gewehr. Es gibt etwas zu erledigen, dort drüben in der Schlucht. Der Schurke kann nirgendwo anders sein. Mit langsamen, vorsichtigen Schritten nähert er sich dem Eingang zu der Schlucht. Seine Stiefel knirschen im groben Sand.

      Ein lautes Geräusch! Er zuckt zusammen. Duckt sich. Irgendwo über ihm … Ach, nur ein paar Tauben, die ihn bemerkt haben und mit klatschenden Flügeln das Weite suchen. Er geht weiter, das Gewehr mit beiden Händen im Griff, bereit, es hochzureißen und den tödlichen Schuss abzufeuern.

      »Ich weiß, dass du hier bist«, knurrt er. »Komm raus, du Hund!«

      Nichts rührt sich. Der Sheriff blickt sich um. Der Bösewicht muss ganz in der Nähe sein. Da taucht vor ihm ein Schatten auf, ein Körper stürzt sich auf ihn, die beiden gehen zu Boden. Der Sheriff ist als erster wieder auf den Füßen, er reißt seinen Gegner mit einer Faust am Kragen in die Höhe.

      »Du willst kämpfen? Dann kämpfe wie ein Mann!«

      Der andere wirft ihm eine Hand voll Staub in die Augen, der Sheriff taumelt zurück, ein Schuss löst sich.

      Der Angreifer stöhnt.

      »Aaah, Sheriff!«

      Die Staubwolke legt sich, der Sheriff wischt sich blinzelnd die Augen frei.

      »… Sheriff! Du hast mich erwischt. Ich sterbe . Hilf mir …«

      Als der Sheriff wieder etwas sehen kann, wirft er dem blutenden Kerl am Boden einen verächtlichen Blick zu.

      »Hilf dir selber, du erbärmliche Kreatur.«

      Er wendet sich ab und verlässt die Schlucht. Als er den Ausgang fast erreicht hat, will sich sein Gegner von hinten auf ihn stürzen – er war keineswegs tödlich getroffen, sondern offensichtlich nur leicht verwundet. Blitzschnell dreht der Sheriff sich um und gibt einen weiteren Schuss ab.

      Den finalen Schuss.

      Uplifting music, der Job ist getan. Die Gerechtigkeit hat gesiegt. Der härtere Mann ist noch auf den Beinen, der andere liegt tot im Staub.

      Der Sheriff reitet in den Sonnenuntergang.

      Abspann.

       Leadership happens on the top

      John Wayne – das ist der Schauspieler des 20. Jahrhunderts, der für mich den Typus des einsamen Helden am eindrücklichsten verkörpert hat. What a man!

      Ein solcher Mann ist eine Führungsfigur. Er steht immer im Feuer, es gibt immer einen Kampf zu bestehen. Und das heißt: Es gibt immer einen finsteren Gegner, der besiegt werden muss. Und warum besiegt der Held den Schurken immer? Weil er härter ist, weil er zäher ist, weil er der bessere Mann ist. Auch wenn er mal einen Kratzer abbekommt oder eine Faust an den Kinnwinkel: Er ist unverwundbar. Sein Wille ist stärker, er bleibt immer


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