Schlafes Bruder. Robert SchneiderЧитать онлайн книгу.
errichtet worden war. Die Seelenzilli gellte vor Todesnot und schwur, sie wolle jedem das Seine zurückgeben, aber ein Alder wies donnernd und mit feuersgeilen Augen auf die Predigten des Kuraten, und machte denen, die von der Tat schon ablassen wollten, wieder neuen Mut. Als man die Greisin vom Misthorner band, schien sie noch immer zu schreien, aber ihr eingeschlagener, von Schrunden entstellter Mund brachte keinen Laut mehr hervor. Salz klebte auf ihren furchigen Wangen, und aus den Mundwinkeln floß ein roter Speuz, den sie dürstend mit langer Zunge ableckte. Das Feuer teilte die Nacht. Etliche zogen die Hüte tiefer, verbargen ihre Gesichter, um nicht erkannt zu werden, wenn sie die Fäuste und Schuhkappen in den verlumpten Körper des Weibes spitzten. Sogar die Kinder kniffen und spuckten und ließen nicht davon ab. Als ein Unbekannter ihr das Kopftuch vom Schädel ohrfeigte, ging ein dunkles Murmeln durch die todesschwüle Bauernschar. Zum ersten Mal sah jeder, daß die Seelenzilli vollkommen kahlhäuptig war, und selbst der Kleingläubigste wähnte eine leibhaftige Hexe vor seinen Augen. Der Unbekannte trieb ihr die pralle Faust in den Magen und in die leeren Brüste, schrenzte ihr die Kleider weg, sollte doch alles so vor sich gehen, wie es der hochwürdige Kurat in seinen Predigten geschildert hatte. Aber plötzlich jellte der Unbekannte so grauenhaft auf, daß man fürchtete, er sei um den Verstand gekommen. »Die Pestseuche! Die Pestseuche!« brüllte er unaufhörlich und stürzte über den harschen Schnee in die Nacht. Und gleich den Funken der zu Boden krachenden Scheite stob auf der Stelle alles auseinander und hinein in jede Himmelsrichtung. Diese vermeintliche Pestseuche hatte dem Weib die letzten Wochen ihres Lebens gerettet.
Als unserem Kuraten dieser Vorfall durch ein Aldersches Plappermaul zu Ohren kam, gelobte er noch am selbigen Tag, nie wieder eine Feuerpredigt zu halten. Mit den Worten, es sei doch um Dreifaltigkeitswillen nicht alles bar zu nehmen, was ein Pfarrer von der Kanzel predige, entließ er das in seinem Glauben an die unzweifelbare Wahrheit des Priesterwortes empfindlich erschütterte Plappermaul.
Der geistvolle Entschluß währte aber nicht lange Zeit, denn bald mußte der Kurat feststellen, daß der religiöse Eifer der Eschberger im Abnehmen begriffen war. Die samstäglichen Rosenkränze, tadelte er, seien bloß noch von Weibsbildern besucht, die Unsitte des Tabakkäuens während des Heiligen Meßopfers sei wieder Mode geworden, einige Mannsbilder auf der Orgelempore störten mit ihrem frechen Grinsen die Andacht, und außerdem seien in den letzten zwei Wochen lediglich acht Kreuzer Opfergeldes eingegangen. Was aber das Allerschändlichste sei, und er blitzte teuflisch in die erschrockenen Äuglein einiger Alder Jungfrauen, daß neuerdings in den Häusern des Dorfes Winkeltänze veranstaltet und geistige Getränke ausgeschenkt würden. Als sich in der Folgezeit an den monierten Zuständen nichts änderte und sich an drei Sonntagen hintereinander außer ein paar Schildpattknöpfen nichts aus dem Opferbeutel rütteln ließ, brach der Kurat das Gelöbnis. Er sann auf eine Predigt, die den Eschbergern jetzt und für alle Ewigkeit den sturen Kleinmut austriebe.
Der Geist zu jener verhängnisvollen Predigt am Pfingstfest des Jahres 1800 überkam den Kuraten im Stall seines Widums, wohin er zu gehen pflegte, wenn immer er auf Schwerwiegendes sann. In der lauen Luft des Stalls, unter Kühen, Ziegen, Säuen und Hühnern, mochte er denken. Dort saß er nun auf seinem Holzfäßchen neben dem Schweinekoben, die Hände in die Stirn gelegt. Lange saß er einfallslos, wußte nur, daß er das Bild des Evangeliums – die Feuerszungen des Pfingstwunders – in ein Feuer ganz anderen Ausmaßes hinüberführen wollte. Lange saß er auf dem Fäßchen, sinnierte und fand keine Brücke, die zu überqueren ihm günstig erschien. Als ihm das Gesäß einschlief, erhob er sich unmutig, tat einige Schritte und tappte in eine noch dampfende Kuhklatter. Er rutschte, stürzte rücklings und mit dem Hinterkopf um Dreifaltigkeitswillen hart auf die Kante des Holzfäßchens. Das Fäßchen! Das war es! Das Schwarzpulver! Marodierende napoleonische Soldaten hatten es im Wald verloren. Er hatte es in Verwahrung genommen, auf daß kein Unfug damit geschehe. Vorsichtig langte er nach der daumendicken Beule und maulte, weshalb der Heilige Geist ausgerechnet auf diese Weise über ihn habe kommen müssen. Aber die Feuerpredigt war augenblicklich entworfen. Bei Nacht stieg der Kurat dann hinab in den Weiler, wo der Lamparter Haintz, der Mesmer von Eschberg, wohnte. Man sah die Kerzen bis zum Stumpf brennen. So lange blieb der Kurat.
Am Pfingsttag nahm alles seinen verhängnisvollen Lauf. Zwar stutzten etliche Kirchgänger ob der sonderbar ausgelegten Schnur, doch niemand zollte dem Umstand die ihm gebührende Obacht. Einer, dem es die Haare versengt hatte, wußte im nachhinein von einem merkwürdigen Fäßchen zu berichten. Er habe noch seinen Nachbarn gestüpft und zu ihm gesagt: »Sieh! Er selber säuft im Hause Gottes!« Ein anderer erzählte, der hochwürdige Herr Kurat habe schon beim Kyrie eine merkwürdig aufgewühlte Stimme gehabt, und ein Ministrant behauptete, daß, indes der Kurat die Kanzel emporgestiegen, der Mesmer just in dem Augenblick die Kirche mit einer eben umgestülpten Sanduhr verlassen habe.
Itzo könne sich das reinigende Pfingstfeuer vollends in das alles versengende Höllenfeuer kehren, bebte der Kurat auf der Kanzel. Belzebub sei so gewaltig, daß er in seinem Übermut nicht einmal vor den Pforten der Kirche haltmache. Item stünde es in seiner Macht, durchaus die Pforten der Kirche einzureißen, habe er einmal die Seelen für sich gewonnen. Und solches sei in Eschberg leider der Fall, darum bedürfe es nur noch einer kleinen Zeit, bis daß alles in Rauch und Schwefel untergehe. So lärmte es von der Kanzel, und eine wache Alderin gab später im Generalvikariat zu Feldberg an, der hochwürdige Herr Kurat habe den Gedanken vom Brennen, Krachen, Rauch und Schwefel gar sonderbar oft und laut wiederholt.
Dreien Bauern, die in den hinteren Bänken saßen, zerriß der Knall das Trommelfell, und das freche Grinsen der Mannsbilder auf der Orgelempore verstummte jäh. Die an der Kirchenpforte lehnten, traf es besonders unglücklich. Einem zerschlugen die berstenden Türen die Beine, einem anderen die Hüfte und einem dritten schoß das Blut aus den Ohren und bespritzte die weißgekalkte Wand bis hinauf zur Kreuzwegtafel. Unglücklich traf es auch den Mesmer, der seine Sache hatte gut machen wollen und der brennenden Lunte dicht gefolgt war, wiewohl das zu tun ihm der Kurat ausdrücklich untersagt hatte. Haintz Lamparter verlor sein Augenlicht und wäre überhaupt verbrannt, hätte er sich nicht verschockt im tauen Morgengras des Feuers abgewälzt. Die auf den Tod erschrockenen Kirchgänger rannten schreiend und, wie man hinzufügen muß, ohne den Segen des Kuraten abzuwarten, aus dem Kirchlein.
Die Sache wurde von den Eschberger Bürgern beim Civil- und Criminalgericht zu Feldberg angezeigt, doch behauptete das Generalvikariat, der Casus sei Kirchenangelegenheit, und man werde den irrigen Bruder vor einem Kirchengericht aburteilen, was dann auch geschah. Dem Kuraten wurde sein jährliches Gehalt von dreihundertfünfzig Gulden auf die Hälfte gestrichen. Ja, man stellte ihn und alle kommenden Eschberger Hirten in den Rang eines Cooperator Expositus, was zur Folge hatte, daß hinfort jede seelsorgliche Entscheidung mit dem Pfarrer von Götzberg abgesprochen werden mußte. Zwar verteidigte sich der Kurat mit beeindruckendem rednerischen Talent – man dürfe doch um Dreifaltigkeitswillen nicht jedes Wort bar nehmen, das ein Priester von der Kanzel predige –, aber es nützte ihm nichts mehr. Der Kurat verließ Eschberg drei Wochen nach jenem Sonntag, der als sogenannter Schwefelsonntag in das Angedenken eingegangen ist. Zwei Zeilen auf der Tür seines Widums deuteten darauf, daß er nach Hohenberg gewandert, die längst überfällige Sommerfrische anzutreten. Acht Monate ermangelte den Eschbergern jede seelsorgliche Pflege. Dann kehrte der Kurat unerwartet zurück. Er trug das feste Ansinnen, seinen Schäfchen zukünftig als ein weiser Hirte vorzustehen. Leider blieb es bei dem Ansinnen.
Das alles geschah drei Jahre vor der Geburt des Johannes Elias. Ein Leser, der uns zwischenzeitlich bis an diesen Punkt gefolgt ist, mag sich die Frage vorlegen, weshalb wir uns so ausführlich über den hitzigen Kuraten verbreiten und nicht endlich die Erzählung auf jenes sonderliche Kind hinführen. Er möge sich diese Frage bewahren.
Zwei Wochen nach der Geburt des Kindes fand im Kirchlein von Eschberg – das nun ob seiner erzenen, zweifach gefütterten, eisenverkeilten und zwölfangligen Flügeltüren bestaunt wurde – eine Doppeltaufe statt. Getauft wurden zwei Knaben aus dem Geschlecht der Alder, das seit Jahrzehnten unter sich verfeindet war. Der eine – unser Kind – wurde auf den Namen Johannes Elias, der andere, welcher fünf Tage später geboren, auf Peter Elias getauft. Dem Peter Elias half eine mit Wägerin bezeichnete Hebamme aus Altberg zur Welt. Man mag bemerken, daß der Name Elias mit einer gewissen Dringlichkeit wiederkehrt. Das hat folgende Bewandtnis:
Kurat