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Sprachwitze. Robert SedlaczekЧитать онлайн книгу.

Sprachwitze - Robert Sedlaczek


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Feststellungen werden gespiegelt – No-na-Witze

      Jeder kennt sie, sie sind zeitlos. Ganz alte No-Na-Witze habe ich bei Heinrich Eisenbach gefunden. Seine Witzesammlungen erschienen 1905 und 1906. Die Pointe wurde damals noch mit „Nü na“ und mit „Nu na“ eingeleitet:

      In einer galizischen Provinzstadt kommt ein Reisender ins Hotel. Wie er das unreine Zimmer sieht, fragt er den Hotelier: „Haben Sie do of die Wänd Wanzen?“ Drauf sagt der Hotelier: „Nü na, e Tizian wer’ ich Ihnen hinhängen.“ (Eisenbach, VII, S. 12)

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      In einem Kaffeehaus steht am Anstandsort die Aufschrift: „Juden hinaus!“ Der Kohn schreibt darunter: „Nu na, do wer ma bleiben!“ (Eisenbach, VII, S. 13)

      Ein Kennzeichen für die Talmud-Debatte ist laut Salcia Landmann die klärende e-contrario-Frage. Juristen sprechen von einem argumentum e contrario, einem Umkehrschluss oder Gegenschluss, der zur Auslegung von Gesetzen dient. „Hunde ohne Maulkorb haben keinen Zutritt!“ Dies bedeutet, dass Hunde mit Maulkorb mitgenommen werden dürfen. Die No-na-Witze sind laut Landmann eine dem Talmud bereits entfremdete Form würden aber mit gutem Grund als jüdisch empfunden werden. (Landmann, 2010, S. 47)

      Außerdem sieht sie einen Zusammenhang mit der phänomenologischen Reduktion Edmund Husserls – sie wird auch eidetische Reduktion genannt. Laut Husserl ist das Bewusstsein immer auf einen Inhalt beziehungsweise ein Objekt gerichtet, wobei unter Objekt auch ein komplexes inneres Erlebnis wie Liebe, Angst etc. verstanden werden kann. Wenn man zum Wesen eines Objekts vordringen will, dann müsse man das Gemeinsame, das Gleichbleibende, das Notwendige erkennen und alles andere ausblenden. Das Gemeinsame der Objekte „Auto“ sind „vier Räder“ und „ein Motor“, nicht Attribute wie „verschmutzt“, „mit Metallic-Lackierung“ oder „teuer“.

      Lutz Röhrich bezeichnet die No-na-Witze als typisch wienerisch: „Mit den stehenden Figuren Graf Bobby und Frau Pollak erschöpft sich (…) der Wiener Witz nicht. Es gibt zum Beispiel noch eine andere Kategorie von Wiener Geschichten. Es sind die sogenannten No-na-Witze, in denen die witzige Replik mit einer stereotypen sprachlichen Formel, eben einem wienerisch-raunzigen ‚No-na!‘ eingeleitet wird.“ (Röhrich, S. 248)

      Die No-na-Witze sind aber nur insoweit wienerisch, als sie im jüdischen Milieu Wiens besonders kultiviert wurden.

      Die Bauart dieser Witze ist immer gleich: Die einleitende Frage oder Feststellung ist unlogisch, unnötig oder sonstwie provoziernd. Eigentlich müsste die Reaktion lauten: „Frag nicht so dumm!“ Geantwortet wird aber mit einem Gedanken, der die vorherige Aussage ad absurdum führt.

      Im Restaurant bestellt der Gast eine Kalbsbrust. „Mit Salat?“, fragt der Kellner. „No na, mit Büstenhalter!“ (Landmann, 1988, S. 218; 2007, S. 93)

      In diesem Witz besteht das entscheidende Merkmal des Objekts darin, dass es dazu dient, den Inhalt eindrucksvoll zu präsentieren. Die Vorstellung, dass ein Koch seine kulinarische Kreation mit einem BH auf dem Teller serviert, ist die durch Unsinn geprägte Pointe. Aber nicht alle No-na-Witze funktionieren nach diesem Muster, und nicht alle sind Unsinnswitze.

      Beim Kartenspiel. „Moische, du schaust mir in die Karten!“ – „No na, hasardieren werd’ ich.“ (Landmann, 1988, S. 219; 2007, S. 94)

      In diesem Fall ist der einleitende Satz ein berechtigter Vorwurf, und Moisches überraschende Antwort ist nicht unsinnig. In seiner Verteidigungsrede leugnet er gar nicht. Zu erwarten wäre, dass er sagt: „Ich schau’ dir doch gar nicht in die Karten!“ oder „Halt die Karten zurück, sonst sehe ich zwangsläufig dein Blatt!“ Moische aber nennt sogleich das Motiv für sein Verhalten: „Warum soll ich nicht in dein Blatt schauen? Dadurch erhalte ich zusätzliche Informationen, wie ich spielen soll.“ Witze mit einem einleitenden „No na“ können auch mit einer Aussage enden, die man als Chuzpe bezeichnen kann.

      Die No-na-Witze sind vermutlich deshalb zeitlos, weil jeder von uns im täglichen Leben immer wieder mit Aussagen konfrontiert wird, die ein „No na“ rechtfertigen würden. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht ist dieses „No na“ ein Diskursmarker: Er lässt den Zuhörer des Witzes aufhorchen, er wird neugierig, wartet auf eine unsinnige Feststellung. Wird bei einem No-na-Witz der Diskursmarker weggelassen, kommt das Gefühl auf: Hoppla, da fehlt doch was!

      Ich zitiere in der Folge aus Hellmuth Karaseks Buch Soll das ein Witz sein?

      Ein Zug setzt sich langsam in Bewegung. Sagt ein Passagier zu dem ihm gegenübersitzenden Juden: „Scheint’s fahren wir schon.“ „Die Häuser werden sie für uns vorbeitragen“, sagt der andere. (Karasek, S. 90)

      Da fehlt das „No na“, und das ist eine Katastrophe. Dabei will Karasek offensichtlich zeigen, dass Witze mit derartiger Technik jüdischen Ursprungs sind. Der Witz impliziert aber auch, dass ein Jude auf die beiläufige Bemerkung eines Goj mit hämischer Schärfe reagiert. Die Version von Salcia Landmann vermeidet diese negative Wirkung:

      Zwei Reisende sitzen im Abteil. Der Zug setzt sich in Bewegung. Der eine: „Mir scheint, wir fahren schon.“ Der andere: „No na, die Fassaden wird man an uns vorbeiziehen!“ (Landmann, 2007, S. 95)

      Manche No-na-Witze haben die Judenverfolgung durch die Nazis als Hintergrund.

      Hält ein Gestapobeamter einen Mann auf der Straße an, zeigt auf den Judenstern und fragt: „Jude, was?“ Drauf der andere: „No na, Sheriff.“

      Der Judenstern und der Sheriffstern haben mehrere gemeinsame Merkmale: Sie sind mehrzackig und werden sichtbar am Gewand getragen. Selbst die Farbe ist ähnlich: Der Judenstern ist gelb, der Sheriffstern ist meist goldfarben.

      Mit dem Satz „No na, Sheriff.“ wird dieser Zusammenhang zwischen den beiden Zeichen genial auf den Punkt gebracht. Gleichzeitig ist die Antwort ein Triumph des Unterdrückten über seinen Unterdrücker – ihr habt die Macht, aber wir haben den Witz!

      Sigmund Freud bezeichnet in seiner Witzeanalyse Gemeinsamkeiten verschiedener Dinge als Unifizierung. Aber neben dem Gemeinsamen muss auch Unterschiedliches hinzukommen, damit ein Kontrast entsteht. Während der Sheriffstern Ausdruck einer staatlichen Macht ist und den Träger gegenüber den anderen Menschen emporhebt, leistet der Judenstern das genaue Gegenteil: Der Träger wird zum „Untermenschen“, wie es die Nazis in ihrer antisemitischen und rassistischen Diktion formulierten.

      Kohn kommt auf den Bahnsteig gerannt und sieht nur noch die Rücklichter des abfahrenden Zuges. Der Bahnhofsvorstand: „Na? Zug verpasst?“ – „No na, verscheucht werd’ ich ihn haben!“

      Man muss annehmen, dass der Bahnhofsvorstand ein Nazi ist, er will Kohn mit einer provozierenden und hämischen Frage, eingeleitet mit einem „Na?“, demütigen. Auch in diesem Fall kann der Jude durch die No-na-Antwort für einen Augenblick über den Beamten triumphieren: „Wie absurd! Ihr scheint uns Juden sogar zuzutrauen, dass wir einen Zug verscheuchen!“

      Salcia Landmann bringt in diesem Fall eine irritierende Version. In ihrer Fassung wird ein „teilnahmsvoller“ Bahnvorstand von einem Juden arrogant zurechtgewiesen.

      Schmul stürzt auf den Bahnhof, sieht aber nur noch die Schlusslichter des abfahrenden Zuges. Teilnahmsvoll erkundigt sich der Bahnvorstand: „Haben Sie den Zug versäumt?“ Schmul: „No na, verscheucht hab’ ich ihn.“ (Landmann, 2007, S. 94)

      Hellmuth Karasek macht aus dem klassischen Zwei-Personen-Dialog eine Geschichte mit drei Personen. Das jüdische Milieu ist nicht mehr erkennbar, auch in diesem Fall fehlt das „No na“. Dabei soll dieser Witz doch den jüdischen Humor illustrieren – die Fähigkeit, selbst über die Häme der Antisemiten Witze zu machen.

      Ein Reisender sieht einen anderen auf den Bahnsteig stürzen, atemlos schaut der den Schlusslichtern des abfahrenden Zuges hinterher. Fragt ein anderer Mann auf dem Bahnsteig: „Haben Sie den Zug verpasst?“ Antwortet der: „Verscheucht werd’ ich ihn haben!“ (Karasek, S. 90)

      Sigmund Freud erwähnt No-na-Witze mit keinem Wort. Aber er beschreibt einen Typus, der den No-na-Witzen nahekommt. In seinen Beispielen geht es nicht um eine dumme Frage, die ad absurdum geführt wird,


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