Sprachwitze. Robert SedlaczekЧитать онлайн книгу.
Version zu kennen, ist sie also in diesem einen Punkt einer Meinung mit ihm.
In einer Neuausgabe ihrer jüdischen Witzesammlung verzichtet Salcia Landmann bei einem anderen „Tscholent“-Witz hingegen nicht auf die Pointe mit dem volkstümlichen Ausdruck für Flatulenz.
Schmul musste sich einer Magenoperation unterziehen. Nachher schreibt ihm der Professor eine strenge Diät auf. Schmul möchte aber auf den herrlichen, fetten Tscholent nur ungern verzichten. Der Professor bleibt jedoch unerbittlich.
Schmul geht zu einem zweiten Arzt. Der lässt sich genau beschreiben, was Tscholent ist – und er verbietet ihn ebenfalls.
Da geht Schmul zu seinem jüdischen Hausarzt und klagt ihm sein Leid. Ein Jude wird doch Verständnis haben für seinen Kummer? „Iss Tscholent so viel du willst!“, sagt der Hausarzt. „Bloß: prallen wirst du schon im Himmel.“
(Landmann, 2010, S. 425–426; 2007, S. 220–221)
Witze haben üblicherweise keinen Urheber, keinen Autor. Im Reich der Witze gibt es kein Privateigentum. Witze werden in Umlauf gebracht und weitergereicht, sie kursieren und zirkulieren. Dabei werden sie adaptiert, verbessert, manchmal auch verschlechtert. Auch die erstmalige schriftliche Fixierung ist in der Regel nicht die Geburtsstunde eines Witzes. Außerdem werden Witze oft von einem Genre in ein anderes verschoben: Aus einem Burgenländerwitz wird ein Blondinenwitz, aus einem Frau-Pollak-von-Parnegg-Witz ein Graf-Bobby-Witz usw. Wenn ich in der Folge aus einer Sammlung zitiere, werde ich mir daher dann und wann das Recht herausnehmen, den Text geringfügig zu verändern.
Des Öfteren werde ich aus Salcia Landmanns Büchern zitieren. Diese liegen aktuell in zwei Ausgaben vor: einer Hardcoverausgabe Der jüdische Witz. Soziologie und Sammlung, lieferbar bei Patmos, und einer dtv-Taschenbuchausgabe Jüdische Witze. Der Klassiker von Salcia Landmann. In der neuen Hardcoverausgabe, erstmals 2010 erschienen, wurden die von Torberg aufgezeigten Fehler ausgebessert. Die Taschenbuchausgabe, erschienen 2007, enthält eine Kurzfassung der Einleitung und die besten Witze aus der ursprünglichen Hardcoverausgabe. Die Witze sind weiterhin nach Themenschwerpunkten geordnet, beim Kapitel Medizin und Hygiene gibt es zu Beginn den Hinweis: „Über den Wert der Hygienewitze vgl. Einleitung S. 60.“ Dort liest man unter anderem: „Ohne Zweifel sind die Badewitze nicht jüdischen, sondern antisemitischen Ursprungs. Aber die Bereitschaft der Juden zur Selbstkritik bringt es leicht mit sich, dass sie auch den unberechtigten Spott der Feinde in ihre Selbstverspottung einbauen.“
Die seinerzeit berechtigten Einwände von Torberg und Meyerowitz sind somit für den heutigen Buchkäufer nicht relevant. Beiden Witzebüchern von Salcia Landmann, dem Hardcover wie dem Taschenbuch, ist der große Erfolg zu gönnen. Das Buch von Jan Meyerowitz ist leider vergriffen. In Internetantiquariaten, zum Beispiel bei eurobuch.com, ist es aber erhältlich.
Andere wichtige Quellen waren für mich fünf kleine Bücher mit jüdischen Witzen. Sie sind unter dem Namen Avrom Reitzer um 1900 zunächst in Preßburg bei A. Akalay und dann bei J. Deubler’s in Wien erschienen. Im Titel findet sich oft das Wort „Lozelech“, im Untertitel „… für ünsere Leut’“. Es waren also Witze, die von Juden gesammelt wurden und für Juden bestimmt waren. Damals sprach man noch nicht von „Witzen“, erst in späteren Auflagen taucht das Wort am Cover auf.
Diese „Lozelech-Bücher“ waren hart gebunden und hatten jeweils hundertzwölf Seiten Umfang. Sie dürften reißenden Absatz gefunden haben. In der Buchhandelswerbung von J. Deubler’s wird der Bestsellercharakter der Titel hervorgestrichen. Den Buchhändlern wird empfohlen, sie in den Auslagen zu platzieren, um gute Umsätze zu machen.
Nicht weniger wichtig waren für mich Heinrich Eisenbach’s Anekdoten, gesammelt und vorgetragen in der Budapester Orpheumsgesellschaft in Wien – so lautete der Titel von vierundzwanzig kleinen Büchern, die ab dem Jahr 1905 innerhalb kurzer Abstände in der k. k. Universitätsbuchhandlung Georg Szelinski erschienen. Eisenbach war Schauspieler, Sänger, Komiker, Filmschauspieler und zwanzig Jahre lang Direktor der Budapester Orpheumgesellschaft in Wien. Jedes Büchlein mit kartoniertem Umschlag hatte sechzehn Seiten Umfang und kostete vierzig Heller – nach heutiger Währung wären das 2,60 Euro. Es waren nicht Anekdoten, sondern Witze mit Pointen. Da der Begriff „Witze“ noch nicht populär war, entschloss man sich, den Inhalt der Bücher als „Anekdoten“ zu bezeichnen. Die kleinen Bücher fanden reißenden Absatz. Als sie in zweiter Auflage erschienen, wurden sie sogar in die kaiserlich-königliche Hofbibliothek aufgenommen.
In den Büchern von Avrom Reitzer, vermutlich ein Pseudonym, und von Heinrich Eisenbach habe ich viele ursprüngliche und urtümliche Fassungen von Witzen entdeckt, die später bei Sigmund Freud, bei Salcia Landmann und anderen Autoren auftauchten – und noch heute erzählt werden. Die über hundert Jahre alten Bücher wurden bisher kaum beachtet, obwohl sie authentisch sind und einen Blick auf die Frühphase der Witzekultur freigeben.
Da Salcia Landmanns Bücher so erfolgreich waren, entschloss sich der Schweizer Walter-Verlag ein ähnliches Projekt mit dem Titel „Der klerikale Witz“ in Angriff zu nehmen. Das Buch erschien 1970, Herausgeber war Hans Bemmann, ein in der Nähe von Leipzig geborener Sohn eines evangelischen Pfarrers. In den 1950er Jahren arbeitete er als Lektor beim Österreichischen Borromäuswerk, mit dem Roman Stein und Flöte gelang ihm später auch ein literarischer Durchbruch. Der österreichische Kulturhistoriker und Linkskatholik Friedrich Heer stellte eine essayistische Einleitung zur Verfügung. Das Buch enthält jene Witze, „die sich häufig entzünden an den Auseinandersetzungen und Zwangslagen eines im Widerspruch zur übrigen Welt stehenden Berufes und Standes, an der Diskrepanz zwischen den Forderungen des Glaubens und der Unzulänglichkeit des Menschen“, so der Klappentext. Das Buch erzielte mehrere Auflagen, auch im Taschenbuch, ist heute allerdings vergriffen.
Im Nachlass Friedrich Heers, das im Literaturarchiv der Nationalbibliothek aufbewahrt wird, findet sich eine Erstausgabe von Salcia Landmanns Buch. Friedrich Heer hat vor Abfassung des Esssays sowohl die Einleitung als auch die Witzesammlung gewissenhaft studiert und einzelnen Zeilen unterstrichen, um sie später leichter zu finden.
Es ist erstaunlich, wie sich manche Witze im Laufe der Zeit verändert haben. Deshalb finden Sie da und dort die Fundstellen vermerkt. Dies dient dazu, Entwicklungsstränge sichtbar zu machen und historische Witze aus ihrem Kontext heraus zu verstehen.
Sprachwitze in den verschiedenen Witzetypen
Gleich zu Beginn meiner Sammeltätigkeit hat sich herausgestellt, dass Sprachwitze in bestimmten Witzetypen besonders häufig vorkommen. Es sind dies Burgenländerwitze, Blondinenwitze, Graf-Bobby-Witze und Frau-Pollak-von-Parnegg-Witze. Sie haben auch noch etwas anderes gemeinsam: Es sind Witze mit einem interessanten historischen Hintergrund – und im Mittelpunkt steht jeweils eine dümmliche Figur.
Beschäftigt man sich dann noch mit dem jüdischen Einfluss auf die Entwicklung von Sprachwitzen, gelangt man unversehens zu den No-na-Witzen und zu den Schüttelreimen. Letztere sind zwar nicht von Juden erfunden, aber von diesen begeistert aufgenommen und kultiviert worden.
Unter „Witz“ verstehen wir „eine (prägnant formulierte) kurze Geschichte, die mit einer unerwarteten Wendung, einem überraschenden Effekt, einer Pointe am Ende zum Lachen reizt.“ So lautet die Definition im Deutschen Universalwörterbuch des Duden (7. Auflage). Der „Sprachwitz“ ist offensichtlich so alt wie die Sprache selbst, aber Witze mit prononcierten Pointen als ein Massenphänomen gibt es erst seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Das Wort „Witz“ ist eine Abstraktbildung zu „wissen“ und bedeutete ursprünglich „Wissen, Verstand, Klugheit“, wie noch im Wort „Mutterwitz“ erkennbar ist. Seit dem 17. Jahrhunder nahm das Wort unter Einfluss des französischen esprit die Bedeutung „Geist, geistvolle Art, Scharfsinn“ an. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts verstand man unter Witz auch eine kurze Geschichte oder einen Dialog mit einer überraschenden Pointe, die zum Lachen anregt.
Das deutsche Wort „Witz“ hat also zwei Bedeutungen. Im Englischen werden diese durch das Wortpaar wit und joke abgedeckt. Nur wenn wir im Deutschen die Mehrzahl verwenden und von „Witzen“ sprechen, ist klar, dass jokes gemeint sind.
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