Die letzte Nacht. Furio JesiЧитать онлайн книгу.
Vorhang in der Mitte, und der Thron Unseres Herrn wurde sichtbar, umstanden von Erzengeln.
Unser Herr hatte gerade die Fünfzig überschritten, aber der lange graue Bart ließ ihn älter erscheinen. Seine Augen waren nicht besonders weit geöffnet und ihrem Ausdruck nach schienen sie offenzustehen, um gelassen alles in sich aufzunehmen, was bis zu ihnen drang. Seine Stirn verschwand unter dem goldenen Kronreif ohne Edelsteine. In den perlengeschmückten Händen hielt er den Weltenapfel und das Zepter, ebenfalls aus purem Gold.
Durch den Mund Thomas’ (da es natürlich verboten war, sich ohne Vermittlung eines Fürsprechers an Unseren Herrn zu wenden) informierten die Gesandten Ihn über das, was den irdischen Vampiren widerfahren war, auch wenn Ihm in seiner Allwissenheit das längst bekannt war. Die Worte des Apostels fielen in tiefe Stille. Da konnte der Marquis de Pombal nicht länger an sich halten. Endlich, zum ersten Mal in seinem Leben, stand der betagte Vampir vor dem Angesicht des Herrn, und ihm, der schon seit Jahrtausenden für die Ehre Gottes focht, immer unter wechselnden Namen und immer auf der Flucht, ihm ging nun das Herz über. Er trat einen Schritt über die Porphyrplatte hinaus – vergeblich versuchte Thomas ihn mit herrischer Geste zurückzuhalten –, beugte noch einmal das Knie und wandte sich tatsächlich an Unseren Herrn:
»Oh Herr, Herrscher der Welten! Quianam regnatur vampyros ursisti? Seitdem du uns erschaffen hast, uns, deine Schuldner, haben wir für dich gestritten. Samaèl in seiner maßlosen Bosheit erinnert sich sehr wohl der Wunden und Schmähungen, die er durch uns erlitten hat. Indem du uns erschufst, hast du uns erlaubt, vom Strom des Blutes zu trinken und öden Kerkern zu entfliehen. Wir aber haben stets für dich gestritten. Entsinne dich, oh Herr, wie unser großer Bruder Carbeas unter den Mauern von Samosata in deinem Namen siegte, wie unser heroischer Chrysocheir für dich Melitene und Tefrik verteidigte! Du hast uns beigestanden, das ist wohl wahr; wir aber haben unseren Auftrag stets erfüllt. Und entsinne dich auch, oh Herr, des Geschicks unserer Brüder, die wie niemand sonst beanspruchen dürfen, Verteidiger dieser Erde zu heißen: der guten und heiligen Erde, aus der wir dank deiner Gnade unsere Kraft schöpfen. Entsinne dich, wie die Schlächter in ihrer anmaßenden Bosheit die Erde, die wir verteidigten, die schwarze Erde, mit einem kurzen Küstenstreifen vertauschen wollten, für den sie dann frevlerisch das Wort ›Heiliges Land‹ verwendeten. Und entsinne dich, wie unsere Brüder endeten, als bekannt wurde, dass die von ihnen verteidigte Erde nicht bloß irgendein elendes Lehnsgut ist, sondern die ganze Erde, diese wunderbare, blutgetränkte Scholle aus Verwesung und Geburt. Entsinne dich der Deportationen, der Foltern und Scheiterhaufen. Entsinne dich unserer Opfer, oh Herr, und lass uns Gerechtigkeit widerfahren!« Kaum hatte er geendet, schloss sich der purpurne Vorhang. Die Audienz war beendet. Die Gesandten würden die Antwort durch den Mund des heiligen Thomas erfahren.
Während sie langsam auf den Wegen des Paradieses zurückschritten, eröffnete Thomas ihnen die Antwort: »Die Menschen, meine Söhne, haben nicht mehr lange zu leben. Hättet ihr nicht eingegriffen, so war vorherbestimmt, dass die Erde in höchstens zwei, drei Jahren zerstört sein würde: daher das Zeichen am Himmel. Aus Liebe zu euch aber hat Unser Herr beschlossen, das Ende noch aufzuschieben. Vorerst wird die Herrschaft über die Welt euch übertragen, und ihr werdet sie, das ist klar, mit Macht und Gerechtigkeit ausüben. Was den Sieg über die Menschen angeht, so fürchtet euch nicht. Ihr Schicksal ist besiegelt. Ruft eure Brüder zu den Waffen, zieht gegen die Städte. Die Menschen, so zahlreich sie auch sein mögen, werden nicht die Kraft haben, sich euch zu widersetzen. Aus diesen allerhöchsten Sphären kommt schon eine verzweifelte Schwäche über sie. Gehet hin in Zuversicht, meine Söhne. Ein paar Jahre lang soll die Erde noch einmal euch gehören.« Und mit diesen höflichen Worten entließ der heilige Thomas die Gesandten.
*
Große Ellipsen waren auf die Häuserwände gemalt, darin eingezeichnet die Figuren von Skorpionen, kämpfenden Delphinen, oder Zwillinge in inniger Umarmung; oder Raubtiere mit aufgestelltem Schweif und auf die Hinterpranken erhoben, wie um unsichtbare Gegner zu bedrohen. An den Fassaden standen die Symbole der Sternbilder, und in schwankenden Spiegelungen des Äthers warfen die höchsten Himmel das Bild der niederen Sphären zurück, wo nächtlich dunkle Linien von einem Schornstein zum anderen liefen und sich über den Dächern langsam violette Rhomben bildeten, die den ganzen Luftraum der Menschen in einem farbigen Netz zusammenzogen.
Zwillinge und Raubtiere standen nah bei der Sonne und beim Mond, nah bei der Kehre der Sterne, die einander auf den Karawanenstraßen des Himmels über ihren Köpfen in regelmäßiger Folge ablösten, mit milchigem, grünlichem oder gelbem Lichthof, oder wie Mars mit rotem: Sphären in wirbelnder Bewegung, dort oben über den Bergen und über den Zirruswolken.
Über den Wolken kreisten die Sterne in einer unermesslichen Leere, die sie nicht anders zu füllen vermochten als mit ihren Emanationen und Strahlen – Buchstaben und Zahlen in das Zerfallen der Elemente zeichnend. Fernab von den höchsten Regionen zogen sie dahin mit Schatten, die aus sich allein die ewige Finsternis webten. Lichtlos kreisten dort unter Ächzen und Schreien glühende Sphären. Erkaltet und still geworden, sahen sie aus funkelnden Augen hinauf in die veränderliche, bleierne Kuppelsphäre über ihnen, die ihnen die Sicht auf den Horizont freiließ. Ab und zu tauchte ein Hohnlachen aus den Massen des Äthers, und von Zeit zu Zeit erwachten, je nach Ausdruck der Augen, unbestimmte Erinnerungen in ihnen: sonderbare Ähnlichkeiten, weshalb die Falten in den schlaffen Wangen des Alten identisch wurden mit der glatten Blässe der Epheben oder mit der geröteten Muskulatur der Dämonen. Und man wollte leugnen, gelacht zu haben, unversehens aus verborgenen Erdspalten ein Zischen hervorgelockt zu haben, das nun pfeifend aus gemauerten Kaminen fuhr, aus den vier Steinen rund um die Feuerstätte, wo rauchende Flammen loderten.
Vereinzelte Stimmen skandierten in geordneter Folge die Nachrichten vom Schicksal einiger Planeten. Dann trat fast vollkommene Stille ein; nur ein Raunen drang aus sonst stummen Zonen. Und eine Stimme sagte ruhig: »Ich habe Venus mit Saturn vereint.«
Da brach der Tumult los. Die wenigen verständlichen Stimmen aber sagten: »Es ist keine Konjunktion. Nur Venus und Jupiter treten zusammen. Saturn zieht weiter auf seiner Bahn.«
Und ein neues Licht brach aus den Zirruswolken hervor. Die Sterne taten einen Ruck in der Hemisphäre, und der Mond sank schnell bis auf die Erdoberfläche hinab und badete in den lauen Seen sein Eis; die Wipfel der Bäume wurden weiß, während die Wasser des Meeres zu Kristallen erstarrten, umsäuselt von dem Wind, den die Sterne in ihrem Dahinfliehen entfachten.
Von oben fiel eine Flut blauer Blumen herab, die aussahen wie Enzian, es aber nicht waren, denn der Enzian ist eine Heilpflanze, diese hingegen kamen von Uranus, es waren Liebesblumen.
Als die Verbrennung ihren Anfang nahm, begann das Wasser sich zu schnell zu verflüchtigen, sodass die Substanz des Aromabands zwischen den beiden vereinigten Planeten zu überfetten drohte. Zusammen mit viel eiskaltem Wasser wurden Splitter von Nephrit und Olivenholz ausgestreut, die einen Teil der Ölschicht verbrennen sollten. Auf der Oberfläche der Venus zeigten sich weiße Emailrosetten und verschiedene Goldkapseln, während aus Quellen von Feuer und Wasser Dampf strömte. Je höher der Dampf aufstieg, desto trockener wurde er.
Der Prozentanteil Fett im Aromaband begann zu sinken. Nun floss das Wasser zu langsam ab. Die Silberpatina, die sich auf dem Band gebildet hatte, wurde abgenommen, und es wurde in Bergkristall gehüllt. Durch den Zusatz von fleischigen Agavenblättern und Myrte, rotem Satin und orientalischen Perlen wurde schließlich der erwünschte Zustand erreicht.
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