Thomas Morus: Utopia. Thomas MorusЧитать онлайн книгу.
jetzt bin ich gesonnen, nur das zu berichten, was er von den Sitten und Einrichtungen der Utopier erzählt hat, indem ich nur noch jenes Gespräch vorausschicke, in dessen Verfolge er ganz ungezwungen auf jenes staatliche Gemeinwesen gekommen ist. Denn als er gar weise die vielerlei Missgriffe kritisch beleuchtet hatte, die hier und dort in großer Zahl begangen werden, dann wieder Dinge, die bald bei uns, bald bei jenen vernünftiger geordnet sind, und als man sah, dass er die Einrichtungen der verschiedenen Völkerschaften so inne hatte, dass man hätte wähnen können, er habe an jedem Orte, den er besuchsweise berührt, sein ganzes Leben zugebracht, da sprach Peter seine Bewunderung des Mannes aus.
»Es wundert mich wahrlich, lieber Raphael«, sagte er, »warum du dich nicht irgend einem Könige zur Verfügung stellst, da du ihm doch, ich bin überzeugt davon, höchst erwünscht sein würdest, indem du ihn durch deine Orts- und Menschenkenntnis nicht nur ergötzen sondern durch Beispiele zu belehren und durch deinen Rat zu unterstützen im Stande wärest, wie du zugleich auch deine Interessen dadurch ausgezeichnet wahrnehmen würdest und allen den Deinigen von größtem Nutzen sein könntest«.
»Was die Meinigen anbelangt«, antwortete jener, »so habe ich wenig Sorge um sie, da ich glaube, meine Pflichten gegen sie leidlich erfüllt zu haben. Denn von meinem Besitztum, das andere erst im Alter und Siechtum, weil sie es nicht länger festhalten können, und auch dann noch ungern abtreten, habe ich mich schon im gesunden und kräftigen Alter, ja schon in der Jugend zu Gunsten von Verwandten und Freunden getrennt, die ich durch meine Mildtätigkeit zufrieden gestellt zu haben glaube, und die nicht überdies von mir verlangen und erwarten dürften, dass ich mich ihres Vorteiles halber in die Sklaverei von Königen begebe.«
»Schön gesagt«, versetzte Peter darauf, »aber meine Meinung ist nicht, dass du den Königen dienen, sondern dass du ihnen Dienste leisten sollst«.
»Das ist bloß eine etwas längere Ausdrucksweise für dienen«, versetzte jener.
»Aber ich meine«, erwiderte Peter, »welchen Namen du der Sache auch geben magst, das sei gerade der Weg, auf dem du nicht nur andere Privatpersonen, sondern auch das Gemeinwesen fördern und deine eigene Lage glücklich gestalten kannst«.
»Glücklicher meine Lage durch Mittel und Wege gestalten, von denen sich mein Gemüt zurückgestoßen fühlt? Wenn ich jetzt nach meinem freien Willen lebe, so glaube, so vermute ich, dass dieses Los den wenigsten Purpurträgern zu Teil wird. Gibt es doch genug Solcher, die um die Freundschaft der Machthaber werben, so dass es für diese jedenfalls keinen großen Verlust zu bedeuten hat, wenn sie meiner oder das einen oder andern mit mir Gleichgesinnten entbehren.«
»Dann, Raphael«, sagte ich, »ist es klar, dass du weder nach Reichtümern noch nach Macht verlangst, und ich verehre einen Menschen von deiner Gesinnung nicht weniger, als Einen, der die höchste Machtfülle im Staate in Händen hält. Immerhin scheint es mir eine eines so edlen und wahrhaft philosophischen Geistes würdige Sache zu sein, auch mit teilweiser Aufopferung deines persönlichen Wohlseins, deinen Genius und deinen Fleiß zum Besten des Gemeinwohls auszubieten, und das würde dir auf keine vollkommenere Weise gelingen, als dadurch, dass du als Beirat mächtigen Fürsten ihm, woran gar nicht zu zweifeln ist, nur Gerechtes und Ehrenhaftes beibrächtest. Denn vom Fürsten gehen gute wie üble Wirkungen wie von einer nie versiegenden Quelle aus und strömen ins Volk. Deine Gelehrsamkeit ist eine so unbedingte, dass du auch ohne Geschäftspraxis einen vorzüglichen Ratgeber für jeden beliebigen König abgeben würdest.«
»Du befindest dich da in einem doppelten Irrtum«, sagte jener, »lieber Morus, erstens hinsichtlich meiner, sodann hinsichtlich der Sache. Denn ich besitze die Begabung nicht, die du mir zuschreibst, wenn ich sie aber auch im höchsten Maße besäße, so würde ich doch, wenn ich auch meine Ruhe und Muße gänzlich opferte, die Sache des Gemeinwesens nicht fördern. Denn erstens beschäftigen sich die meisten Fürsten lieber mit militärischen Studien (worin ich Kenntnisse weder besitze, noch zu besitzen wünsche) als mit den heilsamen Wünschen des Friedens. Viel wichtiger ist ihnen das Bestreben, aus rechtem oder unrechtem Wege sich neue Reiche zu erwerben, als die erworbenen gut zu regieren.
Übrigens gibt es keinen Ratgeber der Könige, der nicht entweder selbst so weise ist, oder wenigstens sich so weise dünkt, dass er den Rat eines anderen Mannes billigt, außer dass sie in abgeschmacktester Weise denjenigen schmeicheln, die in der höchsten Gunst des Fürsten stehen, oder durch Zustimmung sich dieselbe zu verdienen trachten. Und in der Tat ist es nur natürlich, dass die Menschen in die Einfälle ihres eigenen Geistes verliebt sind. Den Raben und den Affen dünken ihre Jungen auch die schönsten Geschöpfe.
Wenn nun in einer solchen Gesellschaft, in der die Einen die Gedanken anderer Leute verachten, die andern ihre eigene Meinung obenan stellen, irgend jemand etwas vorbrächte, wovon er gelesen, dass es weiland so gehalten worden, oder was er selbst anderwärts betätigt gesehen, so tun jene so, als ob ihre ganze Weisheit Gefahr liefe und sie fortan nur für Dummköpfe gelten würden, wenn es ihnen nicht gelänge, an den Gedanken und Ratschlägen anderer zu kritteln und zu mäkeln. Wenn alles andere versagt, nehmen sie ihre Zuflucht dazu, dass sie sagen: ›So hat es unseren Vorfahren beliebt; wollte Gott, dass wir ihnen an Weisheit gleichkämen‹. Und dann (wenn sie sich so im Rate erhoben) setzen sie sich wieder nieder, als ob die Sache damit gründlich erörtert und abgetan sei. Als ob es die größte Gefahr mit sich bringe, wenn einmal einer in irgend etwas klüger erfunden wird, als seine Vorfahren! Und doch sind wir es voll Gleichmut zufrieden, dass ihre weisesten Ratschlüsse unausgeführt bleiben, und wenn in einer Angelegenheit eine bessere Maßregel hätte getroffen werden können, so ergreifen wir begierig die Gelegenheit, unsern Tadel anzubringen. So bin ich gar häufig andernorts auf hochmütige, alberne, grillenhafte Urteile gestoßen, einmal auch in England.«
»So warst du, bitte, auch in England?« fragte ich.
»Ja«, sagte er, »ich habe mich einige Monate dort aufgehalten, nicht lange nach der kläglichen Niederlage, mit welcher der Bürgerkrieg der West-Engländer gegen den König unterdrückt worden ist.«
Während der Zeit war ich dem hochehrwürdigen Vater Johannes Morton, Kardinal-Erzbischof von Canterbury, zur Zeit auch Kanzler von England, zu großem Danke verpflichtet, einem Manne, lieber Peter, [dem Morus sage ich damit nichts Neues] nicht weniger verehrungswürdig durch Weisheit und Tugend als durch hohe Stellung. Er war von mittlerer Statur, die Last der Jahre beugte ihn nicht, sein Antlitz ehrwürdig, im Umgange ist er nicht schwierig, doch von ernstem Wesen. Er liebte es zuweilen, Bittsteller durch einen rauen Anstrich, aber harmlos, auf die Probe zu stellen, wie weit ihre Geistesgegenwart und ihr Freimut gehe, und war darüber, wenn nur keine Frechheit dabei war, als über etwas seiner Natur Verwandtes entzückt. Einen solchen wählte er gern für einen Staatsdienstposten. Seine Rede war fein und markig, seine Rechtskenntnis groß, seine Geistesanlage unvergleichlich, sein Gedächtnis fabelhaft. Diese von Natur hervorragenden Gaben hatte er durch Studium und Praxis noch weiter ausgebildet. Auf dessen Rat schien mir der König viel zu geben und sich auf ihn zu stützen, denn er war in frühester Jugend von der Schule weg an den Hof gezogen und durch alle Lebensalter in den wichtigsten Staatsgeschäften und in den mannigfaltigsten Brandungen des Schicksals unaufhörlich hin- und her geworfen worden und hatte so praktische Weltkunde unter vielen und großen Gefahren sich angeeignet, und die so erworbene haftet unverlierbar.-
Als ich eines Tages bei ihm zu Tische war, war auch ein eurer Gesetze kundiger Mann aus dem Laienstande zugegen, der aus irgend einem mir unbekannten Anlasse jene stramme Justiz zu loben begann, die damals dort zu Lande eifrigst gegen die Diebe gehandhabt wurde, die, wie er erzählte, meist zu zwanzig an’s Kreuz geheftet wurden. Er sagte, er wundere sich nicht wenig, dass es, obwohl nur wenige der Todesstrafe entgingen, doch allerorten von Dieben wimmle.
Da nahm ich das Wort – denn ich durfte beim Kardinal frei reden – und sagte: »Du darfst dich mitnichten wundern, wenn diese Bestrafung der Diebe überschreitet die Grenze der Gerechtigkeit und ist für das Gemeinwohl nicht ersprießlich. Zur Sühne des Diebstahls ist sie nämlich zu grausam und zu seiner Verhinderung doch ungenügend. Der einfache Diebstahl ist doch kein so ungeheures Verbrechen, dass er mit dem Kopfe gebüßt werden muss, noch ist andrerseits eine Strafe so schwer, dass sie vom Stehlen Diejenigen abhielte, die sonst keinen Lebensunterhalt haben. In dieser Beziehung scheint nicht nur