Seawalkers (3). Wilde Wellen. Katja BrandisЧитать онлайн книгу.
du noch den Fernseher abmontieren?«
Wir schufteten alle, bis sich das Regenwasser auf unseren Gesichtern mit reichlich Schweiß vermischt hatte. Zwischendurch schlangen wir eine kalte Nudelsuppe herunter und jeder trank eine große Flasche Wasser leer – wir würden eine ganze Weile nicht zum Essen kommen.
»Wie lange noch?«, fragte Shari und beobachtete die Wellen, die die Lagune aufwühlten. Das Wasser war nicht mehr klar, sondern graugrün und trübe.
»Angeblich noch ein oder zwei Stunden, bis es richtig anfängt«, wollte ich ihr zurufen, aber der Wind riss mir die Worte vom Mund weg und raus übers Meer. Wahrscheinlich konnte man auf dem Satellitenbild sehen, dass die wirbelnden weißen Arme von Adelina uns schon fast berührten.
»Lass uns losschwimmen«, sagte Noah und schaute mit Kennerblick hoch zu den Wolken. »Je höher die Wellen werden, desto anstrengender wird das. In Neuseeland haben wir oft heftiges Wetter, ich kenne das.«
»Ja, let’s go«, meinte auch Chris und Blue nickte. Sie war sehr blass. »Wo ist Miss White? Sie wollte uns doch begleiten.«
»Die verabschiedet sich von Jack, der gerade Noemi in sein Auto stopft. Miss White hat ihm ihre geliebten Halbedelsteinringe anvertraut«, berichtete Chris. »Vielleicht hat er nach dem Hurrikan endlich Glück und darf mit ihr ausgehen?«
Da war sie schon. Mit langen Schritten kam Miss White zum Strand. »Alles bereit? Dann los! Das wird auch für mich eine neue Erfahrung, falls es euch interessiert.«
Sie schwamm hinaus in die Lagune und tauchte einen Moment lang unter. Dort, wo sie eben noch gewesen war, erschien die riesige schwarz-weiße Gestalt eines Orcas und prustete einen Blasstrahl in die Luft. Wir bleiben möglichst zusammen, damit wir uns nicht verlieren, jeder achtet auf seinen Nachbarn, schärfte sie uns ein. Wer merkt, dass er Probleme bekommt, sagt mir möglichst schnell Bescheid.
»Klar.« Shari brachte es fertig, mich anzulächeln. Ich lächelte zurück. Auf einmal waren meine blöden Bemerkungen nicht mehr wichtig. Wofür ein Hurrikan doch gut sein kann!
»Möge Tangaroa, der Gott des Meeres, mit euch sein«, sagte Noah feierlich und wir legten im Maori-Gruß Stirn und Nase gegeneinander. Auch Chris und ich machten mit. Hinterher fiel mir ein, dass es schön gewesen wäre, wenn wir Miss White einbezogen hätten, aber dazu war es nun zu spät.
Shari watete neben mir in die Lagune hinaus und wurde zu einem hellgrauen Delfinweibchen, einem Großen Tümmler. Blue lief zum Balkon der Cafeteria, noch während ihres eleganten Kopfsprungs von dort oben wurde sie zu einem gestreiften Delfin. Noah gesellte sich als etwas kleinerer dunkler Delfin zu ihnen. Plötzlich musste ich wieder an meinen unbekannten Bruder denken. Wäre es nicht witzig, wenn er ein ganz anderes Tier wäre als ich, womöglich sogar ein Delfin? Oder eine wasserscheue Katze?
Chris schoss mit seiner üblichen Eleganz als Kalifornischer Seelöwe durch die Wellen, wendete geschmeidig, umkreiste meine Menschenbeine und stupste meine Zehen an, die sich gerade in den Sand gruben.
Hast du’s dir anders überlegt, Tiago?, fragte er. Schlechte Nachrichten, der letzte Flug ist weg, der Flughafen dicht.
Ach echt, sagte ich und versuchte, mir mein Tigerhai-Ich vorzustellen. Es klappte, schon kippte ich vornüber und spürte die Umgebung mit meinen Haisinnen. Diesmal schmeckte das Wasser nach Angst …
Wilde Wellen
Zu Anfang blieb ich nah an der Oberfläche, als wir hinausschwammen aus der Lagune. Das Wasser war so trübe, dass ich sonst riskierte, in die Stelzenwurzeln der Mangroven hineinzugeraten. Neben mir tanzten die Rückenflossen auf und ab, als die Delfine kurze Strecken tauchten und wieder zum Atmen hochkamen. Auch Chris brauchte alle paar Minuten Luft, schließlich war ein Seelöwe ein Meeressäuger und hatte Lungen.
Es fühlt sich so meerig an, wieder zu schwimmen – meine Füße taten schon weh von der ganzen Herumlauferei, verkündete Shari, stieß einen lang gezogenen Pfiff aus und ortete mich mit ihren Echo-Klicks.
Mal schauen, ob du es auch noch so toll findest, wenn uns das Meer gleich die Zähne zeigt, sagte Noah.
Hauptsache, Tiago oder Miss White zeigen uns ihre nicht – die hab ich schon in zu vielen Horrorfilmen gesehen, witzelte Chris.
Ach, ihr seid nicht der Reiseproviant? Ich tat so, als wollte ich ihn beißen, und mit einer schnellen Pirouette brachte sich Chris außer Reichweite.
Es gibt Horrorfilme mit Schwertwalen?, erkundigte sich Miss White irritiert und tauchte prustend auf, ihr schwarz-weißer Kopf wandte sich Chris zu.
Bisher nicht, aber wenn Sie mir eine schlechte Note in Sei dein Tier geben, drehe ich einen und stelle ihn auf YouTube, kündigte unser Seelöwen-Wandler an.
Miss White musste lachen. Ich werde dir genau die Note geben, die du verdienst, Christopher Jacobsen. Und wenn du dann wegen mir ein berühmter Filmemacher wirst, erwarte ich einen Platz in den Danksagungen, nur dass das klar ist.
Shari, Noah und ich prusteten los.
Könnt ihr mal auf hören mit dem Mist? Wir schwimmen gerade in eine Naturkatastrophe hinein, beschwerte sich Blue und wir schickten ihr wortlose Entschuldigungen in den Kopf. Sogar Miss White.
Geschmeidig glitten meine Freunde durchs Wasser, während ich stur geradeaus pflügte wie ein U-Boot auf Patrouille. Zum Glück wurde das Wasser klarer, als wir ins offene Meer hinausschwammen. Am Riff wiegten sich die lilafarbenen Fächerkorallen in zehn Meter Tiefe unter dem Druck des Wassers hin und her wie große Blätter im Wind.
Dazwischen bemerkte ich einen Bullenhai, einen der grauen Jäger, die sich sonst gerne im Golfstrom aufhielten. Er schwamm ungewöhnlich langsam und erstaunt sah ich, dass er verletzt war. So eine Verletzung hatte ich noch nicht gesehen, es sah aus wie ein Loch in der Flanke.
Schaut mal, sagte ich zu den anderen und umkreiste den Bullenhai. Können wir dem irgendwie helfen?
Wilde Haie lassen sich leider nicht gerne helfen, meinte Miss White.
Das war gut möglich, jedenfalls war der Hai nun sehr nervös und machte sich daran abzuhauen. Kein Wunder – ich hatte mal gelesen, dass in der Hochsee lebende Schwertwale hauptsächlich Haie verputzen.
Weiter! Hier ist es zu flach, drängte unsere Lehrerin. Wir könnten von den Wellen auf eins der Riffe oder die Küste geschleudert werden.
Ich schlug schneller mit der Schwanzflosse, versuchte wieder mal mitzukommen, während die Delfine wie Weltklassesprinter voranschossen. Auch Chris ächzte ein bisschen, er war in seiner zweiten Gestalt zwar sehr wendig, aber kein Langstreckenschwimmer. Während die Delfine auf uns warteten, konnten Shari und Noah nicht widerstehen, ein bisschen mit den Wellen zu spielen, sie zu durchstoßen und auf ihrer Vorderseite zu surfen. Miss White ließ sie machen.
Dann schlug Adelina zu.
Innerhalb kurzer Zeit wurde der Wind zu einer Faust, die auf uns einhämmerte. Erst waren die Wellen im offenen Meer ungefähr so hoch gewesen wie ein Lkw, doch nun peitschten die Böen die Wellen hoch, bis sie zu Wänden aus Wasser wurden, hoch wie ein zweistöckiges Haus. Unsere kleine Gruppe kam kaum noch voran. Wir wurden abwechselnd in den Himmel gehoben oder fanden uns in einem tiefen Tal wieder. Selbst wenn ich tauchte, spürte ich noch, wie das aufgewühlte Wasser mich packte und herumwarf, als wären mein dreieinhalb Meter langer Haikörper ein Spielzeug und der Hurrikan eine Maschine, die den Ozean durchquirlte.
Ab nach unten!, rief Blue und Seite an Seite mit den drei Delfinen, Chris und meiner Lehrerin jagte ich in die Tiefe. Hier war es etwas kühler und das Wasser war ruhig. In welcher Tiefe sind