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Die Stadt der Sehenden. Жозе СарамагоЧитать онлайн книгу.

Die Stadt der Sehenden - Жозе Сарамаго


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      José Saramago

      Die Stadt der Sehenden

      Roman

      Aus dem Portugiesischen von Marianne Gareis

      Hoffmann und Campe

      

      Für Pilar, alle Tage

      Für Manuel Vázquez Montalbán, der weiterlebt

      

      Lasst uns heulen, sagte der Hund.

      Buch der Stimmen

      

      Schlechtes Wetter zum Wählen, schimpfte der Vorsteher des Wahllokals Nummer vierzehn, klappte ungestüm den klatschnassen Schirm zu und zog den Regenmantel aus, der ihm wenig genützt hatte auf seinem atemlosen Spurt vom Auto bis zur Tür, durch die er gerade mit hängender Zunge eingetreten war. Ich hoffe, ich bin nicht der Letzte, sagte er zum Schriftführer, der ihn aus sicherer Entfernung begrüßte, um sich vor den Wassermassen zu schützen, die, vom Wind hereingepeitscht, den Boden überschwemmten. Ihr Stellvertreter fehlt noch, aber wir haben Zeit, beruhigte ihn der Schriftführer, Bei diesem Regen grenzt es wirklich an ein Wunder, wenn wir hier alle heil ankommen, sagte der Wahlvorsteher auf dem Weg in den Raum, in dem die Wahl stattfinden sollte. Zunächst begrüßte er die Kollegen am Tisch, die als Wahlhelfer fungieren würden, danach die Parteienvertreter und ihre jeweiligen Stellvertreter. Er bemühte sich, alle gleich zu behandeln und weder durch seine Mimik noch durch seinen Tonfall die eigenen politischen und ideologischen Neigungen preiszugeben. Ein Wahlvorsteher, selbst der eines so unbedeutenden Wahllokals, muss in jeder Situation strengste Neutralität oder zumindest den Schein wahren.

      Neben der Feuchtigkeit, die die ohnehin stickige Luft in dem nach innen gelegenen Raum mit den zwei schmalen, auf einen selbst an sonnigen Tagen dunklen Innenhof blickenden Fenstern noch drückender machte, war es die Unruhe, die dazu führte, dass die Luft im wahrsten Sinne des Wortes zum Schneiden war. Man hätte die Wahl verschieben sollen, sagte der Vertreter der Partei der Mitte, der PDM, seit gestern regnet es ununterbrochen, überall gibt es Überschwemmungen und Erdrutsche, die Zahl der Nichtwähler wird diesmal drastisch ansteigen. Der Vertreter der Partei der Rechten, der PDR, nickte zustimmend, meinte jedoch, sich mit einem behutsamen Kommentar ebenfalls in das Gespräch einbringen zu müssen, Ich will dieses Risiko natürlich keineswegs herunterspielen, dennoch glaube ich, dass der bei so zahlreichen Gelegenheiten bewiesene Gemeinsinn unserer Mitbürger unser volles Vertrauen verdient, zumal sie sich der außerordentlichen Bedeutung dieser Kommunalwahlen für die Zukunft unserer Hauptstadt bewusst sind, jawohl, sehr bewusst. Nach diesem Ausspruch wandten sich die Vertreter von PDM und PDR, beide mit halb skeptischem, halb ironischem Gesichtsausdruck dem Vertreter der Partei der Linken, der PDL, zu, gespannt, was für eine Ansicht dieser wohl vertreten werde. Just in diesem Augenblick platzte jedoch, nach allen Seiten Wasser verspritzend, der stellvertretende Wahlvorsteher zur Tür herein und wurde erwartungsgemäß, schließlich war die Wahlmannschaft nun komplett, überaus herzlich, ja, begeistert begrüßt. Dadurch ist uns der Standpunkt des PDL-Vertreters entgangen, doch aufgrund früherer Erfahrungen können wir vermuten, dass er sich auf jeden Fall im Sinne eines klaren historischen Optimismus geäußert hätte, wie etwa, Die Wähler meiner Partei lassen sich nicht so leicht abschrecken, gehören nicht zu denen, die wegen vier lächerlicher Wassertropfen zu Hause bleiben. In Wahrheit waren es jedoch keine vier lächerlichen Wassertropfen, sondern Eimer und Krüge voll, es waren ganze Nile, Iguazus und Jangtses, doch der Glaube, gesegnet sei er für alle Zeit, lässt jene, die ihn haben, nicht nur Berge versetzen, sondern auch trockenen Fußes aus reißenden Strömen hervorgehen.

      Sie setzten sich an den Tisch des Wahlvorstands, jeder an seinen Platz, der Wahlvorsteher unterschrieb die Wahlbekanntmachung und trug dem Schriftführer auf, sie wie gesetzlich vorgeschrieben an der Eingangstür anzubringen, doch der Angesprochene gab, praktischen Sachverstand beweisend, zu bedenken, dass das Papier dort keine Minute halten werde, nach zwei Sekunden wäre bereits die Tinte verlaufen und nach drei hätte der Wind es abgerissen. Dann hängen Sie es eben drinnen auf, wo der Regen nicht hinkommt, das Gesetz hat sich in dieser Hinsicht nicht festgelegt, wichtig ist nur, dass der Aushang für alle sichtbar angebracht wird. Er fragte in die Runde, ob alle einverstanden seien, was bejaht wurde, nur der Vertreter der PDR forderte zur Vorbeugung späterer Anfechtungen, die Entscheidung in der Akte zu vermerken. Als der Schriftführer von seiner feuchten Mission zurückkehrte, fragte der Wahlvorsteher, was das Wetter mache, worauf dieser achselzuckend antwortete, Nichts Neues an der Wetterfront, Irgendwelche Wähler in Sicht, Kein einziger weit und breit. Der Wahlvorsteher erhob sich und forderte Wahlvorstand und Parteienvertreter auf, mit ihm die Wahlkabine zu inspizieren, die sich als frei von Elementen, welche die Makellosigkeit der an diesem Tag stattfindenden Wahlen hätten beeinträchtigen können, erwies. Nach diesem förmlichen Ritual kehrten sie an ihre Plätze zurück, um das Wählerverzeichnis zu kontrollieren, das seinerseits keinerlei Unregelmäßigkeiten, Lücken oder Verdachtsmomente aufwies. Jetzt war der gewichtige Augenblick gekommen, da der Wahlvorsteher den Deckel der Urne abnimmt und den Wählern zeigt, dass sie leer ist, damit diese später nötigenfalls bezeugen können, dass nicht zu nächtlicher Stunde irgendwelche illegalen Handlungen stattgefunden haben, falsche Stimmzettel abgegeben wurden, die den freien und souveränen politischen Willen der Bürger unterlaufen könnten, und dass sich an diesem Ort nicht jener historische Wahlbetrug wiederholt, dem man den malerischen Namen Hütchenfüllen gegeben hat und der, das dürfen wir nicht vergessen, sowohl vor als auch während oder nach einer Wahl stattfinden kann, je nach Gelegenheit und Geschick seiner Betreiber. Die Urne war leer, rein und unbefleckt, doch gab es im ganzen Saal keinen Wähler, keinen einzigen Vorzeigewähler, dem man sie hätte vorführen können. Vielleicht irrt ja doch einer draußen herum, kämpft gegen die Wassermassen an, stellt sich dem peitschenden Wind, das Dokument, das ihn als wahlberechtigten Bürger ausweist, fest ans Herz gepresst, aber so, wie der Himmel aussieht, kann es noch lange dauern, bis er hier ankommt, falls er nicht gar lieber nach Hause zurückkehrt und die Geschicke der Stadt denen überlässt, die in einer schwarzen Limousine zum Wahllokal befördert und dort auch wieder abgeholt werden, wenn die Bürgerpflicht des im Fond Sitzenden erfüllt ist.

      Nach erfolgten Prüfungen, so schreibt das Gesetz dieses Landes vor, wählen der Wahlvorsteher, die Wahlhelfer und die Parteienvertreter sowie deren jeweilige Stellvertreter, vorausgesetzt natürlich, sie sind für das Wahllokal, in dem sie am Tisch des Wahlvorstands sitzen, eingetragen, was hier der Fall ist. Obwohl sie nach Kräften Zeit zu schinden versuchten, dauerte es nur vier Minuten, bis die Urne ihre ersten elf Stimmen in Empfang nahm. Und das Warten, das unvermeidliche Warten begann. Es war noch keine halbe Stunde vergangen, da schlug der unruhig gewordene Wahlvorsteher einem der Wahlhelfer vor, doch einmal nachzusehen, ob nicht doch jemand käme, vielleicht seien ja bereits Wähler aufgetaucht und schimpfend wieder gegangen, weil sie eine vom Wind verschlossene Tür vorgefunden hatten, Man hätte ja wenigstens so freundlich sein können, die Bevölkerung davon in Kenntnis zu setzen, dass die Wahl verschoben wurde, über Radio oder Fernsehen, für derlei Informationen sind sie schließlich da. Der Schriftführer sagte, Wir wissen doch alle, dass eine Tür, die der Wind zuschlägt, einen Höllenlärm macht, und hier war nichts zu hören. Der Wahlhelfer zögerte, Geh ich oder geh ich nicht, doch der Wahlvorsteher insistierte, Gehen Sie schon, tun Sie mir den Gefallen, und seien Sie vorsichtig, machen Sie sich nicht nass. Die Tür stand offen, der Bremsklotz saß ganz fest. Der Wahlhelfer streckte den Kopf hinaus, einen Augenblick nur, sah kurz in die eine, dann in die andere Richtung und zog ihn tropfnass, als hätte er ihn unter die Dusche gehalten, wieder ein. Er wollte ein guter Wahlhelfer sein, es seinem Vorgesetzten recht machen, und da er zum ersten Mal zu dieser Aufgabe herangezogen worden war, wollte er für seine Schnelligkeit und Effizienz belobigt werden, wer weiß, vielleicht käme ja einmal, wenn er mehr Erfahrung hätte, der Tag, an dem er selbst einem Wahllokal vorstand, es soll schon höhere Flüge am Zukunftshimmel gegeben haben, wundern tut das keinen mehr. Als er in den Saal zurückkam, rief der Wahlvorsteher halb bekümmert, halb belustigt aus, Aber mein Lieber,


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