1000 Seiten Krimi Spannung - Acht Top Thriller. Pete HackettЧитать онлайн книгу.
Passform ihrer volkseigenen Anzüge. Und mittendrin stand eine hoch gewachsene, hagere Gestalt, die fleißig Hände schüttelte und sich unwahrscheinlich wichtig vorzukommen schien: Es war niemand anderes als unser aller Oberbürgermeister.
Dr. Wernecks Tigerlächeln blitzte meilenweit. Es war noch grimassenhafter als normalerweise. Er hampelte zwischen den Chinesen her, als habe man ihm versehentlich hochhackige Damenschuhe angezogen, und ich fragte mich, was seine Gäste wohl von dieser Show hielten.
Ihren regungslosen Gesichtern war nichts anzumerken. Sie waren wohl einfach zu höflich.
Für einen kurzen Moment ging der Blick Seiner Herrlichkeit des Oberbürgermeisters in meine Richtung.
Zufall.
Ich winkte ihm zu und sah in der nächsten Sekunde ein Stirnrunzeln bei ihm.
Er erinnerte sich nicht an mich, was niemanden wundern konnte. Aber er grüßte trotzdem. Sicher war schließlich sicher.
Ein OB, der einigermaßen bürgernah war, musste ja wenigstens den Anschein erwecken, als kenne er jeden einzelnen seiner 250 000 Untertanen persönlich.
27
Die Adresse, die ich auf der Rückseite des Fotos gefunden hatte, gehörte zu einer Erdgeschosswohnung in einem Haus, dessen graue Fassade einen Anstrich dringend nötig gehabt hätte, das aber von innen ganz gepflegt aussah.
Die junge Frau auf dem Foto erkannte ich kaum wieder, als sie mir die Tür öffnete. Sie war auf die blödsinnige Idee gekommen, sich die Haare rot färben zu lassen, was weder zu ihrem Typ noch zu ihrer Kleidung so richtig passte. "Ja?" Sie strich sich die Mähne zurück und sah mich stirnrunzelnd an.
Ich kam gleich zur Sache. "Ich muss mit Hartmut sprechen."
"Hartmut ist nicht in der Verfassung, um mit jemandem zu sprechen."
"Hat er sich vollgedröhnt?"
"Hau ab!"
"Er wird schon wach werden, wenn ich ihm sage, worum es geht!"
"Verpiss dich!"
"Es geht um Mord."
"Was?"
Um ein Haar hätte die Rote mir die Tür vor den Kopf geknallt, aber jetzt hatte ich ihr Interesse geweckt.
Für ein paar Sekundenbruchteile schien sie sich nicht entscheiden zu können, ob sie mir glauben oder zumindest zuhören solle oder nicht.
"Du spinnst!", sagte sie mir dann. Aber da war ich schon in der Wohnung. Sie wich etwas zurück. In ihrem Gesicht stand eine Mischung aus Angst und Interesse.
"Hartmut!", rief sie, und aus einem der anderen Räume kam ein dumpfes Grunzen, das nicht gerade von kraftstrotzender Fitness sprach. "Ich werde die Polizei rufen!", sagte sie dann.
Ich zuckte die Achseln. "Nur zu! Die wird vielleicht sowieso bald hier auftauchen."
"Wieso?"
"Um Hartmut festzunehmen."
"Aber ..."
"Zwei Menschen sind umgekommen, und jedes Mal war er kurz nach der Tat am Tatort. Ist doch merkwürdig, oder?"
Sie stand mit offenem Mund da und starrte mich an, als habe man ihr gerade eröffnet, dass ihr Lieblingspopstar ein Vampir sei und sich von dem Blut junger Mädchen ernähre.
"Wer sind Sie?"
"Sagen wir's mal so: Ich kannte die beiden Opfer und habe an der Sache ein persönliches Interesse."
Vermutlich war ich der erste Mensch seit Jahren, zu dem sie Sie sagte.
Ich hörte ein Geräusch. Ein Poltern. Dann schwerfällige Schritte und einen Moment später stand eine dürre, filzlockige Gestalt in der Zimmertür. Hartmut.
Er trug außer seiner Jeans nur ein T-Shirt und wirkte ohne seinen dicken Pullover wie ein Gerippe. Sein Gesicht war bleich, und er stank, als hätte er in Schnaps gebadet.
"Was willst du?", fragte Hartmut, während er sich den Kopf kratzte. Langsam schien er die Überreste seines Bewusstseins wieder zu etwas zusammengekratzt zu haben, womit man denken konnte. Notdürftig, aber immerhin.
"Ich will dir eine Geschichte erzählen", sagte ich.
"Eine Geschichte?"
"In dieser Geschichte gibt es zwei Leichen. Die eine heißt Jürgen Lammers."
Die Nennung dieses Namens schien ihn wie eine Ohrfeige zu treffen. Er war gleich drei Grad wacher und nahm Haltung an. Und das, was sich für die Dauer einer Millisekunde auf seinem Gesicht zeigte, war wohl das klassische Beispiel für einen Recognition-Reflex.
Ich lächelte dünn. "Habe ich es mir doch gedacht!"
"Was?"
"Dass dir der Name was sagt!"
Jetzt mischte sich die Rote ein. Aber sie wandte sich nicht an mich, sondern an ihren Ex. Oder Ex-Ex. "Erklär mir das bitte", forderte sie. "Wer ist dieser Lammers?"
"Niemand", knurrte er.
"Er lügt dich an!", sagte ich zu der Roten. "Lammers ist die Leiche in der Badewanne, von der die Lokalpresse voll ist! Und dein Freund oder Ex-Freund oder was auch immer war am Tatort und hat sich ziemlich merkwürdig benommen!"
Sie funkelte mich giftig an und hatte auf einmal etwas Hexenhaftes an sich.
"Und das ist alles?", keifte sie.
"Nein. Da ist auch noch eine junge Frau namens Annette Friedrichs. Ich traf Hartmut zufällig auf der Straße. Später stellt sich heraus, dass ungefähr zu dieser Zeit Annette Friedrichs ganz in der Nähe umgebracht worden ist ..." Ich wandte mich an die sprachlose Filzlocke. "Klingt nicht gerade nach Zufall, was?"
Hartmut schluckte.
"Die beiden haben dich erpresst, nicht wahr?"
Er blickte auf. "Das ist doch Unfug!"
"Nein, das glaube ich nicht! Ich habe keine Ahnung, womit sie dich in der Hand hatten, aber es muss mehr als zwei Menschenleben wert gewesen sein. An das nötige Geld zu kommen, ist für dich ja kein Problem, wenn man einen Vater hat, der mal so zwischendurch einen Fünftausender-Scheck unterschreibt!"
"Woher weißt du ...?" Er war völlig fassungslos.
Ich zuckte mit den Achseln. "Ich bin Hobby-Hellseher."
Die Rote stemmte ihre schlanken Arme in die Hüften. "Hast du dir dafür etwa auch die 1500 von mir geliehen?"
"Quatsch!"
"Wie oft haben Lammers und die Friedrichs bei dir abkassiert?", fuhr ich dazwischen.
"Ich will jetzt wissen, was hier gespielt wird!", sagte die Rote ziemlich empört.
"Lass mich mit dem Typ bitte mal allein sprechen", sagte Hartmut Werneck plötzlich.
Die Rote stand da wie ein begossener Pudel und schien ihren Ohren nicht trauen zu wollen.
"Was soll das denn?"
"Bitte!"
Sie atmete tief durch, und ich registrierte mit Genugtuung, dass nicht ich es war, der jetzt von ihrem giftigen Hexenblick getroffen wurde. "Also schön", zischte sie. "Ich weiß nicht, in welcher Scheiße du im Augenblick wieder steckst, aber eines steht für mich auf jeden Fall fest: Ich will nichts damit zu tun haben! Und ein Loch zum Unterkriechen kannst du dir woanders suchen!"
Damit stampfte sie davon. Die Tür flog krachend ins Schloss. Ich schätzte, dass sie auf der anderen Seite das Ohr an das Holz presste, um doch möglichst viel mitzubekommen.
Hartmut atmete tief durch. "Ich wusste doch, dass ich dich schon irgendwann einmal gesehen habe", knurrte er dann.
"Ja, man sollte sich eben jedes Gesicht gut merken." Ich sah ihn fest an und bluffte: "Was ist, gehen wir zur Polizei?"