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Scherze tarnte. Erst seit den Anschlägen von Christchurch, El Paso und Halle, die als gewaltsame Konsequenz dieser digitalen Kulturen nicht mehr zu leugnen sind, wird diese amorphe Form des rechtsextremen Aktivismus ernst genommen. Dabei zeigt sich an den jeweiligen Täterprofilen, dass rechtsextreme Organisationen für den heutigen Rechtsterrorismus kaum mehr eine Rolle spielen. Vielmehr geraten nun Foren wie das bildbasierte Forum 4Chan in den Fokus, die ein Eigenleben als Orte der Radikalisierung entwickelt haben.
Was diese digitalen Kulturen aber mit den formalen Organisationen des Rechtsextremismus teilen, sind ähnliche Erzählungen von Untergang, Verschwörung und Verrat. Sie mögen in verschiedenen Online-Angeboten, die eine Vielzahl von Milieus abdecken, variieren, unterscheiden sich aber oftmals nur in ihren Handlungsperspektiven. Im deutschen Kontext gibt in diesem Konzert mittlerweile die AfD den Ton an, die einen Großteil ihrer Kapazitäten auf die politische Kommunikation in den sozialen Medien verwendet. Zugleich sind ihre Mitglieder dazu angehalten, durch Online-Aktivitäten die Stimmungsmache der Partei zu unterstützen. Im Ergebnis kann keine Partei in Deutschland mit den Interaktionsraten mithalten, welche die AfD etwa auf Facebook erzielt. Und da viele ihrer Mitglieder, Anhänger und Sympathisanten, die fleißig für die Sache interagieren, auch in digitalen Subkulturen unterwegs sind, verbinden sich ihre Erzählungen häufig mit extremeren oder absurderen Elementen aus randständigen Foren. Dabei werden sie in der digitalen Öffentlichkeit durch Schwarmaktivitäten unterstützt, die in jenen Subkulturen vorbereitet werden.
Die Extremismusforscherin Julia Ebner beschreibt in ihrem Buch Radikalisierungsmaschinen zum Beispiel plastisch, wie sich rechtsextreme Online-Netzwerke zur fünften Kolonne des AfD-Wahlkampfs in der Bundestagswahl 2017 aufspielten.19 Ähnlich hatte bereits die Alt-Right bei den US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen von 2016 einen nicht unerheblichen Anteil daran, dass Trumps Prominenz in den digitalen Medien beträchtlich wuchs und sich seine Botschaften in Windeseile verbreiteten. Wie Vertreter der Alt-Right selbst bekräftigen, geht es rechtsextremen Online-Aktivisten wie ihnen nicht nur darum, die Öffentlichkeit digital zu manipulieren, sondern auch darum, das Bewusstsein von breiteren Massen langfristig zu beeinflussen.
Auch in der Fachliteratur zum Rechtsextremismus häufen sich Darstellungen darüber, wie rechtsextreme Akteure erfolgreich im Netz vorgehen. Die Frage, warum sie damit so erfolgreich sind, bleibt jedoch weitgehend ausgespart. Es ist ja nicht einfach Cleverness, die ihren digitalen Erfolg begründet – als machten sie sich die neuen Gelegenheiten nur besser zunutze als andere. Im Gegenteil steht zu vermuten, dass die extreme Rechte sich sogar weniger als andere politische Richtungen an die digitale Umwelt anpassen muss, um in dieser Raumgewinne zu erzielen. Wie bereits angesprochen, verändern neue Medientechnologien stets auch die menschliche Daseinsweise, da sie, wie Benjamin sagt, eine neue »Organisation der Wahrnehmung« hervorbringen.20 Der daraus resultierenden Erleuchtung muss allerdings nichts Kluges folgen. Schon im späten Mittelalter hatte etwa die Druckpresse zur Folge, dass viele Menschen angesichts all der Informationen, die nun eine Welt jenseits des eigenen Dorfes erfahrbar machten, ihren emotionalen Kompass verloren. Bezeichnenderweise war dies die Stunde der »Wutbauern«, die ein neues »großflächiges Wir« gegen das damalige »Establishment« von Kirche und Adel beschworen, wie der Kulturwissenschaftler Sebastian Dümling es beschreibt.21 Entsteht der gegenwärtige rechtsextreme Tumult also womöglich gerade aus der neuen Wahrnehmungsorganisation, die die sozialen Medien mit sich bringen?
So ließe sich zumindest ein Argument des Historikers Antoine Acker ausdeuten. Ihm zufolge gründen illiberale Entwicklungen im digitalen Zeitalter mehr darauf, dass sich die Massen über die sozialen Medien selbst manipulieren – und weniger auf den Propagandatechniken einer autoritären Partei.22 Dieses Argument, das Acker vor dem Hintergrund der Massenunterstützung Bolsonaros in Brasilien entwickelt hat, spiegelt nicht nur die Vorstellung wider, dass die sozialen Medien für rechtsextreme Bewegungen besonders vorteilhaft sind. Es geht auch davon aus, dass aus neuen Kommunikationsstrukturen faschistische Entwicklungen resultieren können. Immerhin kommt den Medien in Demokratien die Funktion zu, zwischen den komplexen Anforderungen der Politik und der begrenzten Urteilsfähigkeit der Masse zu vermitteln – basierend auf gemeinsamen Standards der Realitätsabbildung. Die Tatsache, dass die Masse ihre Medien als Folge der Digitalisierung nun selbst organisiert und rechtsextreme Akteure sie unmittelbar mit postfaktischen Inhalten beeinflussen können, stellt indes ein Einfallstor für faschistische Dynamiken dar, die stets auf der Manipulation der Realität basieren.
Rechtsextreme Bedrohungsmythen im digitalen Kontext
Der Begriff des Faschismus ist freilich selbst Gegenstand von Kontroversen. Immerhin handelt es sich dabei um einen Kampfbegriff par excellence, der links wie rechts verwendet wird, um politische Gegner als Feinde der Freiheit zu stigmatisieren. Ja, tatsächlich auch von rechts. Diese merkwürdige Karriere des Begriffs lässt sich gut an einem Zitat des Schriftstellers Ignazio Silone verdeutlichen: »Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: ›Ich bin der Faschismus.‹ Nein, er wird sagen: ›Ich bin der Antifaschismus.‹ « Der angeblich 1944 in die Welt gesetzte Lehrspruch des italienischen Sozialisten erfreut sich heute großer Beliebtheit in rechten Kreisen. Dort führt man ihn gerne an, um antifaschistische Aktivitäten, insbesondere »der Antifa«, als freiheitsfeindlich zu entlarven und sich selbst so als wahrer Antifaschismus zu gerieren. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass sich in dieser rechten Instrumentalisierung des Zitats genau jene perfide Wendung zeigt, vor der das Zitat warnte.23 Hier soll uns der Umgang damit aber vor allem als Beispiel dafür dienen, welch widersprüchliche Lesarten dem Begriff anhaften.
Vor dem Hintergrund ebendieser Widersprüche ist immer wieder zu hören, dass der Begriff des Faschismus für sachliche Debatten nutzlos geworden sei. Denn dass er polemisch genutzt wird, um zwischen politischen Gegnern und historischen Ereignissen irreführende Parallelen zu ziehen, scheint eher die Regel als die Ausnahme zu sein. Zumindest aber wird er häufig unpräzise verwendet. Auch Acker ist davon nicht ganz frei, wenn er den Eindruck erweckt, unter Faschismus seien allgemein illiberale oder rechtsextreme Entwicklungen zu fassen. Genauer nehmen es da schon Definitionen aus der Faschismusforschung, wenngleich sich auch hier tiefe Gräben zwischen unterschiedlichen Denkschulen feststellen lassen. Da wäre etwa die marxistische Perspektive, die Faschismus vorwiegend als eine Herrschaftstechnik zur Unterdrückung der Arbeiterklasse analysiert. Andere Betrachtungsweisen machen das Phänomen an ideologischen Merkmalen fest oder definieren es anhand seiner politischen Kultur und seiner sozialen Praktiken.
Die zahlreichen Definitionen von Faschismus stehen nicht unbedingt im Widerspruch zueinander, setzen aber unterschiedliche Schwerpunkte, die sich nicht alle ins Gleichgewicht bringen lassen. Da sie verschiedenen Theorien folgen, interessiert sie jeweils etwas anderes an dem Phänomen. Entsprechend lässt sich nur schwer eine Bedeutung von Faschismus finden, die von allen Seiten als analytisch hilfreich angesehen wird. Der Faschismusforscher Roger Griffin beispielsweise hat sich Anfang der 1990er-Jahre an solch einer »konsensualen« Definition versucht, die auf Basis einer eingehenden Analyse faschistischer Grundlagentexte eine möglichst große Schnittmenge der verschiedenen Sichtweisen bieten soll.24 Seinen Vorschlag, Faschismus als eine revolutionäre Form des Nationalismus zu begreifen, lehnen einige Forscher jedoch ab. Sie erkennen darin eine zu starke Ausrichtung auf ideologische Merkmale, die man ihrer Meinung nach – je nach Schwerpunkt – um diskursive, kulturelle oder psychologische Aspekte erweitern müsste. Insofern besteht auch in der Wissenschaft nach wie vor kein einheitliches Verständnis von Faschismus.
Die Vielgestaltigkeit des Faschismusbegriffs macht diesen aber nicht automatisch nutzlos. Entscheidend ist allerdings, deutlich zu machen, in welchem Sinne man ihn verwendet. Und das hängt wiederum vom konkreten Erkenntnisinteresse ab. In unserem Falle kreist dieses darum, wie die sozialen Medien politische Praktiken fördern, die der Dynamik des Rechtsextremismus zugutekommen. Für diesen Zweck bietet sich ein Verständnis an, das vom Faschismusforscher Robert Paxton entwickelt wurde. Er untersuchte verschiedene Bewegungen der Zwischenkriegszeit, die gemeinhin als faschistisch angesehen werden, und leitete aus ihren Gemeinsamkeiten drei Merkmale des Faschismus ab. Auf zwei davon werden wir später noch zu sprechen kommen. Hier ist zunächst einmal jenes von Interesse, das Paxton als Hauptmerkmal der untersuchten Bewegungen ausmachte: ein politisches Verhalten, »das sich durch eine obsessive