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Deutschland – deine Politiker. Friedemann Weckbach-MaraЧитать онлайн книгу.

Deutschland – deine Politiker - Friedemann Weckbach-Mara


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raten ihm die Ärzte zu mehr Bewegung und das Pfeiferauchen aufzugeben. Wie zur Bestätigung sagt er mir: „Ich weiß, nach dem Schlaganfall ist vor dem Schlaganfall.“ Er nimmt zahlreiche Medikamente und ist froh, noch einmal davongekommen zu sein, denn mit erkennbaren Sprachproblemen wäre seine Politikerlaufbahn jäh zu Ende gegangen.

      Stattdessen folgten noch glückliche Jahre, bis ihn der dritte Herzinfarkt kurz vor Weihnachten 2012 einholte. Die Beerdigung am 3. Januar verlief in Uelzen (vom Regenwetter abgesehen) ganz nach seinen Wünschen mit militärischen Ehren und beim Gottesdienst in St. Marien mit Bonhoeffers Lied „Von guten Mächten treu und still umgeben …“

      Ähnlich wie Struck nach seinem schweren Schlaganfall fürchtete auch Wolfgang Schäuble26 nach seiner schweren Schussverletzung trotz fortschreitender Genesung um seine politische Zukunft. Gemeint ist nicht der Rollstuhl, mit dem er sich unglaublich schnell zurechtfand, sondern eine Gesichtsoperation, die durch seine Schussverletzungen notwendig wurde. Diese OP war hochgradig riskant.

      Dazu ein kurzer Rückblick auf das, was er seinen Unfall nennt. Den Vertrag zur Wiedervereinigung (294 Seiten lang) hatte Schäuble bis zum 31. August 1990 maßgeblich verhandelt. Nun ist Wahlkampf. Freitagabend, 12. Oktober. Sechs Beamte des Bundeskriminalamtes sichern die Umgebung und den Innenraum der Brauereigaststätte „Bruder“ in Oppenau (Schwarzwald). Ein Streifenwagen steht vor der Tür. Drinnen spricht Innenminister Wolfgang Schäuble über die Widervereinigung. 280 Zuhörer applaudieren lautstark. Um 21.55 Uhr geleitet der örtliche CDU-Chef Gerd Hoferer seinen prominenten Gast zum Ausgang. Dort wartet Schäubles Tochter Christine (damals 19). Als ihr Vater fast den Ausgang erreicht hat, zieht Dieter Kaufmann (damals 37) unter seiner Lederjacke eine entsicherte Pistole vom Typ „Smith & Wesson“, Kaliber 38, feuert aus 60 Zentimeter Entfernung und trifft den Minister mit zwei Kugeln in Brust und Unterkiefer. Die dritte Kugel verletzt Schäubles Leibwächter Klaus-Dieter Michalski (damals 28) an Bauch und Hand, als der Hauptwachtmeister schützend vor den Minister springt. Zehn Minuten später ist der Notarzt da. Eine Kugel steckt bei Schäuble noch im Kiefer, die zweite in der Wirbelsäule. Hubschrauber, Krankenhaus, Notoperation.

      Der Täter gesteht, die Waffe seinem Vater gestohlen zu haben und erweist sich als psychisch krank.

      Am nächsten Tag wacht Schäuble gegen 16.00 Uhr aus der Narkose auf. In einem langen Telefonat gibt er mir aus seinem Krankenzimmer das erste Interview. Dabei schildert er seine Umgebung so genau, dass mir unser Gespräch vorkommt, als wäre ich bei ihm vor Ort: Im hellgestrichenen Krankenzimmer der Rehaklinik von Langensteinbach sitzt neben einem Berg von Akten ein Mann, der sein schweres Schicksal akzeptiert hat. Gefasst und voller Zukunftspläne spricht er zum ersten Mal darüber: „Den Umständen entsprechend geht es mir inzwischen ganz ordentlich, wobei die Ungewissheit, was aus der Lähmung wird, bleibt. Ich konzentriere mich einstweilen darauf, das Leben im Rollstuhl zu lernen und hoffe, in absehbarer Zeit wieder zumindest zeitweilig in Bonn zu sein.“

      In seinem Ministerium sind die schweren Türen schnell ausgetauscht, damit er sie vom Rollstuhl aus selbst öffnen kann, Fußschwellen werden beseitigt. Bald kann Schäuble mit dem Rollstuhl perfekt umgehen, sich selbst herausstemmen. Sein Privathaus in Gengenbach (Baden-Württemberg) wird rollstuhlgerecht umgebaut. Er meistert das neue Leben.

       Wolfgang Schäuble auf Sylt vor dem Attentat und danach mit dem Hand-Bike

      Doch da war noch ein anderes Problem, das Außenstehenden verborgen blieb: Die zweite Kugel hatte Schäubles Wange schwer verletzt. Da musste noch etwas geschehen. Dazu sagte er mir: „Mein Arzt hat zu Vorbereitung die Operation an einer Leiche geübt, denn er musste sehr vorsichtig mit den Nervensträngen sein. Ein Schnitt auch nur um einen halben Millimeter daneben und mein Gesicht wäre unweigerlich schief geblieben. Mit einem so schiefen Mund wäre meine Politikerlaufbahn zu Ende gewesen.“ Wäre. War sie aber nicht. Die Operation verlief erfolgreich.

      Wie zäh er auch physisch kämpft, konnte ich später mehrmals erleben. So lud er mich zum Interview „mit Radtour“ in seine Heimat ein. Bei dem Wort entstand bei mir eine kleine Schrecksekunde der Sprachlosigkeit, bis er erläuterte: „Ich fahre mit meinem Hand-Bike.“ Gemeint war der Rollstuhl mit Handkurbel, die im Gegensatz zum Fahrrad parallel gedreht wird. Da mein Rad nicht in den Kofferraum ging, nahm ich meine Inline-Skates mit.

      So fuhren wir gemeinsam über die asphaltierten Wege der Weinberge von Gengenbach in der Nähe von Offenburg. Er hielt problemlos das Tempo und zeigte mir mit einem Hauch von Stolz, dass sein T-Shirt über den starken Muskeln der Oberarme schon bedenklich spannte. Und in Berlin staunte ich jedes Mal, wenn wir uns beim Sommerfest des Bundespräsidenten trafen. Traditionell regnet es an dem Tag, zumindest ist meist der Rasen nass und schwer. Trotzdem schuftete Schäuble sich mit bewundernswerter Energie durch das Menschengetümmel.

      Bei jeder Begegnung habe ich seine Energie gespürt, mit der er kämpft, privat wie in der Politik. Daher war es für mich geradezu selbstverständlich, dass Schäuble auch 2013 erneut für den Bundestag kandidierte.

      ◆

       Georg Leber vor seiner Erkrankung

      Bei dem legendären Sozialdemokraten Georg Leber ging es 1976 auch buchstäblich ums Überleben.

      Am Dienstag, den 10. November, hat er bei starken Schmerzen im Bauchbereich 40 Grad Fieber. Die Wehrdebatte im Bundestag wird abgesetzt. Oberstabsarzt Dr. Schiefgen gibt ihm eine Penicillinspritze. Mitten in Generals- und Spionageaffären will Leber unbedingt weiter arbeiten. Mittwochmorgen sitzt Leber27 mit Schüttelfrost kreidebleich am Kabinettstisch (sein Staatssekretär kuriert gerade eine Lungenentzündung aus, der Generalinspekteur liegt mit Schädelbruch im Krankenhaus).

      Schmerzgebeugt steigt er nach der Sitzung in seinen dunkelblauen Opel Diplomat, bricht auf der Fahrt zusammen. Ein Rettungshubschrauber bringt ihn nach Koblenz ins Bundeswehrzentralkrankenhaus. In einer zweistündigen Operation entfernen die Ärzte den Blinddarm. Da wir seit Jahren vertrauensvoll miteinander umgehen, empfängt er mich früh in seinem Krankenzimmer, schenkt mir ein Bundeswehrtaschenmesser (wie scharf es ist, spürte unsere Tochter später unfreiwillig am Finger) und erzählt mir mit seiner tiefen, ruhigen Stimme: „Der Blinddarm war so vereitert, dass jeden Moment die akute Gefahr des Durchbruchs bestand. Ich hatte Riesenglück, dass ich noch einmal davongekommen bin.“

      ◆

      Das konnte auch Johannes Gerster28 sagen, obwohl seine Chancen besonders problematisch waren. Die Diagnose: Krebs an den Lymphknoten.

      Es ist Freitag, nicht gerade der 13., sondern der 23. April 1993, als wir uns in seiner Mainzer Wohnung treffen. Äußerlich ruhig erzählt der erfahrene CDU-Politiker: „Ende November kam ich nach einer langen Klausurberatung über Asylgesetze nach Hause mit einem dicken Hals. Meine Frau sagte gleich, das kommt nicht vom Ärger, morgen gehst du zum Arzt. Gut, dass ich ihrem Rat gefolgt bin, denn am folgenden Montag ging alles Schlag auf Schlag. Vom Hausarzt zum Radiologen. Mein Hals war wirklich inzwischen so geschwollen, dass Speise- und Luftröhre bereits verbogen wurden. Das hätte ich nicht lange überlebt. Am Donnerstag wurden mir Lymphknoten herausoperiert, um zu sehen, was los ist.“ Statt auszuruhen, fährt er wieder nach Bonn zu den Beratungen über neue Asylgesetze: „Ich wollte dabei sein, wenn wir das Ergebnis langer harter Arbeit einfahren.“ Danach zu Hause der nächste Besuch im Krankenhaus: „Die Ärzte machten so ein komisches Gesicht, das ließ nichts Gutes ahnen. Dann haben sie mir eröffnet, dass die Lymphknoten von Krebs befallen waren. Das nennen die Ärzte wohl Hodgkinsche Krankheit. Ich war zuerst sehr niedergeschlagen, bin richtig in die Knie gegangen. Dann habe ich an meine Familie gedacht, wie schwer es für sie ist, eine solche Nachricht aufzunehmen. Nach schweren Stunden und Tagen hatte ich mich wieder gefangen und bin seitdem entschlossen,


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