Deutschland – deine Politiker. Friedemann Weckbach-MaraЧитать онлайн книгу.
Joachim Gauck18 wollte Geis raten, seine „persönlichen Verhältnisse zu ordnen, um nicht angreifbar zu sein“. Was immer das heißen sollte: Rückkehr zur Ehefrau, von der Gauck getrennt lebt, oder Trennung von der heutigen Lebensgefährtin? Unsinn. Über solches Ansinnen ist die Zeit erfreulicherweise hinweg.
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Ein so kompliziertes Privatleben allerdings, wie es Horst Seehofer19 jahrelang praktizierte, finden die Bürger (und vor allem die Bürgerinnen) wohl zu jeder Zeit spannend.
Angefangen hat diese Seehofer-Berichterstattung mit dem Hinweis, dass sich der Familienvater in Berlin eine Geliebte hält. Das machte richtig neugierig, als Anfang Januar 2007 auch noch herauskam, dass die Neue an seiner Seite schwanger war. Klar: Die Abende im Regierungsviertel fernab der Familie sind einsam. Im fünften Stock des riesigen schlangenförmigen Appartement-Hauses für Politiker nahe dem Reichstag aß Horst Seehofer oft zum Tagesabschluss allein eine deftige Brotzeit oder er ging zum Abschluss noch zu einem der vielen Empfänge. Genau dabei hat er 2004 die gut 20 Jahre jüngere quirlige Büroleiterin seines damaligen Fraktionskollegen Laurenz Meyer kennengelernt. Sie war mehr als einen Kopf kleiner, schlank, sehr gebildet – und eben da. Aus interessanten Gesprächen bei Abendempfängen wurden Gemeinsamkeiten während der Berliner Tage des Horst Seehofer. Zunächst in großer Verschwiegenheit.
Der erste Wohnsitz Ingolstadt blieb seine eine Welt, Berlin die andere. In beiden fühlte er sich wohl.
Plötzlich ist seine Berlinerin im vierten Monat schwanger. Sie vertraut ihr süßes Geheimnis Kolleginnen auf dem Flur und im Fitnessraum an, zeigt stolz das Ultraschallbild. Seehofer selbst schwieg dazu („Kein Kommentar“) und verzichtete nach Mitteilung seines Ministeriums „vorerst“ auf öffentlichkeitswirksame Auftritte. Dazu verschickte das Bundeslandwirtschaftsministerium am 18. Januar 2007 um 11.16 Uhr dieses Fax auf Briefbogen der Anwaltskanzlei Prinz, Neidhardt, Engelschall in Hamburg und Berlin:
„Zu den zahlreichen Medien-Veröffentlichungen der vergangenen Tage über mein Privatleben möchte ich nur folgendes mitteilen. Über meine privaten und familiären Angelegenheiten werde ich mich in der Öffentlichkeit nicht äußern. Eine Diskussion auf dieser Ebene ist unter meinem Niveau. Als Politiker bin ich es gewohnt, wenn die Sache es erfordert, mit harten Bandagen zu kämpfen. Dies ist auch der Maßstab, an dem ich meine politische Arbeit gemessen sehen will. Traurig finde ich allerdings, dass in bestimmten Medien eine Kampagne läuft, die insbesondere auch meine Familie stark beeinträchtigt. Ich werde hiergegen nachhaltig mit allen rechtlichen Möglichkeiten vorgehen und habe diese Vorgänge an meine Anwälte von der Sozietät Prinz übergeben. Berlin, den 17. Januar 2006 Horst Seehofer.“
Dabei feierte Horst Seehofer noch einen Monat zuvor im bayerischen Ingolstadt fernab von seiner Geliebten mit Ehefrau Karin und den drei Kindern im gemütlichen Vororthaus seinen 21. Hochzeitstag.
In seinem Wahlkreis ist er zu der Zeit die absolute Nummer Eins, wird mit dem Rekordergebnis von 65,9 Prozent gewählt. Sein Versprechen seit zehn Jahren: „Die Kinder sind jetzt in einem Alter, wo die Probleme von meiner Frau allein nicht mehr zu bewerkstelligen sind. Ich werde mir da auch mehr Zeit nehmen müssen.“ Daran hält er sich nach außen sichtbar, gibt sich gern als Familienmensch. Die weiß-blaue Welt scheint für ihn in Ordnung, die Kinder haben viel Verständnis für den arbeitsintensiven Berufsalltag. Sich selbst sah Seehofer zu keiner Zeit als Querdenker, sondern „schlicht und einfach als standfest: Ich bemühe mich, dass Denken, Reden und Handeln übereinstimmen – eigentlich die natürlichste Sache für jeden Menschen.“ In seiner persönlichen Alltagspraxis sah das dann allerdings so aus: Seehofer ließ lange Zeit offen, ob er mit neuer Frau und deren Kind oder mit seiner bisherigen Ehefrau und deren Kindern künftig zusammenleben wolle.
Da es in Bayern gleichzeitig um das politische Erbe des langjährigen Landesvaters Edmund Stoiber ging, geriet das Privatleben zum Politikum. Ganz nach dem Motto: „Horst Seehofer hat sich im Kampf um den CSU-Vorsitz disqualifiziert.“ Wer die heile Familie als politisches Argument zelebriert, obwohl er sich gleichzeitig mit einer weiteren Frau auf ein Kind freut und sie in der Hoffnung auf ein gemeinsames Leben wiegt, der erschien so manchem Beobachter schlicht unglaubwürdig. Genau das habe ich ihm an einem langen Abend bei Rotwein erzählt, während er sich über die Verfolgung durch Journalisten beklagte – in einigen Fällen nicht ganz zu Unrecht. Im Beisein seiner damaligen Sprecherin saßen wir im Steak-Restaurant, das in den Innenhof des ZDF-Hauptstadtstudios reicht. Die Kellnerin stellte schon Stühle hoch, brachte uns aber trotzdem noch Rotwein. Seehofers unterhaltsame Ausdauer kannte ich nicht zuletzt von meiner eigenen Geburtstagsparty Jahre zuvor. Nur diesmal war das Gespräch ernster und, ehrlich gesagt, ohne richtiges Ergebnis, denn wir verabschiedeten uns herzlich, aber mit geteilter Meinung.
Im folgenden Februar gab es erste Anzeichen für eine Neuordnung. Es hieß, die Aussöhnung mit Ehefrau Karin (damals 48) in Ingolstadt komme „gut voran“. Allerdings war das Problem mit seiner gut 20 Jahre jüngeren Ex-Geliebten in Berlin noch nicht gelöst. Sie fand sich nur schwer damit ab, dass Seehofer nun doch bei seiner Familie bleiben und sie in der Hauptstadt allein lassen könnte.
Am 14. Februar kritisierte der Kölner Kardinals Joachim Meisner im dortigen „Express“: „Wenn ein Politiker permanent ein Desaster nach dem anderen in seiner Familie erlebt, heißt es bei uns: Blendet das Private aus, in der Politik geht es um etwas ganz anderes. Warum? Haben wir es denn bei ihm mit zwei verschiedenen Menschen zu tun? Oder ist er eine gespaltene Persönlichkeit? Dann ist er schizophren und gehört zum Arzt, aber nicht auf einen Ministersessel. Wenn wir über Wertevermittlung reden, muss man an das private Leben öffentlicher Personen besondere Ansprüche stellen dürfen. Was soll denn ein mehrfach geschiedener Politiker über eheliche Treue sagen? Da lachen doch alle.“ Im Fall Seehofers müsse man sich fragen: „Wie will er denn Vorsitzender einer christlichen Partei werden?“ Wurde er auch diesmal nicht.
Offiziell verkündete Seehofer zu der Zeit noch, er werde sich „in absehbarer Zeit zu Medienberichten über eine angebliche Affäre äußern.“ Seine Wähler hätten ein Recht auf eine klare Aussage, aber man müsse ihm die Chance für die nötige Klärung zubilligen. Seine Geliebte ließ sogar von ihrem Anwalt verkünden, dass sie schweigen werde.
Doch nicht von langer Dauer.
Als ihr dämmerte, dass Seehofer zu seiner Frau zurückkehren werde, ging sie in die Offensive. Auf Seite Eins der „Bunten“ vom 1. August präsentierte sie sich mit vollem Namen samt Tochter Anna Felicia und beklagte, die Art und Weise der Trennung habe sie „tief getroffen und verletzt. Ich war bestürzt und konnte es nicht begreifen“. Seehofer habe zuerst seine Parteifreunde und erst dann sie informiert. Die junge Mutter weiter: „Leider hat er mir seine Entscheidung nicht persönlich, sondern am Telefon mitgeteilt. Vor allem hätte ich sie als Betroffene gern als Erste erfahren.“ Sie sei jedoch „erleichtert, dass jetzt endlich diese Ungewissheit weg ist.“ Der CSU-Politiker habe ihr „bis zum Schluss Hoffnungen gemacht.“ Sie hätte nicht gedacht, dass es so lange dauert, bis er sich entscheidet. Mit einem druckfrischen Exemplar dieser Anklage unterm Arm fuhr ich ins bayerische Markt Rettenbach. Dort hatte die CSU zur Diskussion mit Seehofer geladen. Der Adlersaal war proppenvoll, die Gäste gespannt auf ihren großen Redner aus dem fernen Berlin. Der kommt pünktlich um 20.00 Uhr, redet viel über die Bedeutung der Landwirtschaft, EU, Hilfen aus Brüssel und über die CSU, deren Vorsitzender er gern würde. Als er mit korrekt weiß-blauer Krawatte verspricht: „Ich werde die deutschen Interessen in der EU mit Nachdruck vertreten“, kommt Gemurmel auf. Seehofer irritiert: „Was ist das für ein Echo?“ Parteifreund Kurt Rossmanith aus der Region: „Die wollen wissen, wie lange du noch im Amt bist.“
Seehofer, mit dem „Bunte“-Titel konfrontiert
Seehofer ballt die Faust: „Da werden sich manche noch wundern, wie lange ich im Amt bin. Ich bin schon durch so manches Stahlbad gegangen.“
Ich wechsle im Saal mehrfach meinen Platz. Mit Bierkrug in der Hand, Wurstsalat auf dem Teller, sagt mir mancher hinter vorgehaltener Hand, was er heute von Seehofer hält: „Die Art des Umgangs mit seiner Ex-Freundin und seine Entscheidungsschwäche