Seine Schriften zur Wissenschaftslehre. Max WeberЧитать онлайн книгу.
Erscheinungen auf der einen, den Gedanken der Gebundenheit an »Regeln« auf der anderen Seite. Das »Wirken« als sachlicher Gehalt der Kausalkategorie und damit der Begriff der »Ursache« verliert seinen Sinn und verschwindet überall da, wo im Wege der quantifizierenden Abstraktion die mathematische Gleichung als Ausdruck der rein räumlichen Kausalbeziehungen gewonnen ist. Soll ein Sinn der Kausalitätskategorie hier noch festgehalten werden, so kann es nur der einer Regel zeitlichen Aufeinanderfolgens von Bewegungen sein, und auch dieses nur in dem Sinn, daß sie als Ausdruck der Metamorphose eines seinem Wesen nach ewig Gleichen gilt. – Umgekehrt verschwindet der Gedanke der »Regel« aus der Kausalkategorie, sobald auf die schlechthinnige qualitative Einmaligkeit des durch die Zeit ablaufenden Weltprozesses und die qualitative Einzigartigkeit auch jedes räumlich-zeitlichen Ausschnittes daraus reflektiert wird. Für eine schlechthin einmalige gesamtkosmische oder partialkosmische Entwickelung verliert dann der Begriff der Kausalregel ganz ebenso seinen Sinn, wie für die Kausalgleichung der Begriff des kausalen Wirkens, und will man für jene von keiner Erkenntnis je zu umspannende Unendlichkeit des konkreten Geschehens einen Sinn der Kausalkategorie festhalten, so bleibt nur der Gedanke des »Bewirktwerdens« in dem Sinn, daß das in jedem Zeitdifferential schlechthin »Neue« eben gerade so und nicht anders aus dem »Vergangenen« entstehen »mußte«, was aber im Grunde nichts anderes bedeutet als die Angabe der Tatsache, daß es eben schlechthin so und nicht anders in seinem »Jetzt«, in absoluter Einzigartigkeit und doch in einem Kontinuum des Geschehens, »entstand«.
Diejenigen empirischen, mit der Kategorie der Kausalität arbeitenden Disziplinen, welche die Qualitäten der Wirklichkeit bearbeiten, und zu ihnen gehört die Geschichte und gehören alle »Kulturwissenschaften« gleichviel welcher Art, verwenden diese Kategorie durchweg in ihrer vollen Entfaltung: sie betrachten Zustände und Veränderungen der Wirklichkeit als »bewirkt« und »wirkend« und suchen teils aus den konkreten Zusammenhängen durch Abstraktion »Regeln« der »Verursachung« zu ermitteln, teils konkrete »ursächliche« Zusammenhänge durch Bezugnahme auf »Regeln« zu »erklären«. Welche Rolle aber die Formulierung der »Regeln« dabei spielt, und welche logische Form diese annehmen, ob überhaupt eine Formulierung von Regeln stattfindet, ist Frage des spezifischen Erkenntnisziels. Ihre Formulierung in Gestalt von kausalen Notwendigkeitsurteilen aber ist nicht das ausnahmslose Ziel, die Unmöglichkeit der apodiktischen Form keineswegs auf die »Geisteswissenschaften« beschränkt. Für die Geschichte speziell folgt die Form der kausalen Erklärung überdies aus ihrem Postulat verständlicher »Deutung«. Gewiß will und soll auch sie mit Begriffen von hinlänglicher Bestimmtheit arbeiten, und erstrebt sie das nach Lage des Quellenmaterials mögliche Maximum von Eindeutigkeit der kausalen Zurechnung. Die Deutung des Historikers wendet sich aber nicht an unsere Fähigkeit, »Tatsachen« als Exemplare in allgemeine Gattungsbegriffe und Formeln einzuordnen, sondern an unsere Vertrautheit mit der täglich an uns herantretenden Aufgabe, individuelles menschliches Handeln in seinen Motiven zu »verstehen«. Die hypothetischen »Deutungen«, welche unser einfühlendes »Verstehen« uns bietet, werden von uns dann allerdings an der Hand der »Erfahrung« verifiziert. Wir sahen aber an dem Beispiel mit dem Felsabsturz, daß die Gewinnung von Notwendigkeitsurteilen als ausschließliches Ziel für jede kausale Zurechnung einer individuellen Mannigfaltigkeit des Gegebenen nur an abstrahierten Teilbeständen vollziehbar ist. So auch in der Geschichte: sie kann nur feststellen, daß ein »ursächlicher« Zusammenhang bestimmter Art bestanden hat und dies durch die Bezugnahme auf Regeln des Geschehens »verständlich« machen. Bleibt so die strikte »Notwendigkeit« des konkreten historischen Geschehens für die Geschichte nicht nur ein ideales, sondern ein in der Unendlichkeit liegendes Postulat, so ist anderseits aus der Irrationalität auch jedes partialkosmischen individuellen Geschehens natürlich keinerlei für die historische Forschung spezifischer und relevanter Begriff einer indeterministischen »Freiheit« abzuleiten. Speziell die »Willensfreiheit« ist für sie etwas durchaus Transzendentes, und als Grundlage ihrer Arbeit gedacht geradezu Sinnloses. Negativ gewendet, ist die Sachlage die, daß für sie beide Gedanken jenseits jeder durch sie zu verifizierenden »Erfahrung« liegen, und beide ihre praktische Arbeit faktisch nicht beeinflussen dürfen.
Wenn sich also in methodologischen Erörterungen nicht selten der Satz findet, daß »auch« der Mensch in seinem Handeln (objektiv) einem »immer gleichen« (also: gesetzlichen) »Kausalnexus« unterworfen »sei«194, so ist dies eine das Gebiet der wissenschaftlichen Praxis nicht berührende und nicht unbedenklich formulierte protestatio fidei zugunsten des metaphysischen Determinismus, aus welcher der Historiker keinerlei Konsequenzen für seinen praktischen Betrieb ziehen kann. Vielmehr ist aus dem gleichen Grunde die Ablehnung des metaphysischen Glaubens an den »Determinismus« – in welchem Sinne immer sie gemeint sein mag – seitens eines Historikers, etwa aus religiösen oder anderen jenseits der Erfahrung liegenden Gründen, prinzipiell und auch erfahrungsgemäß, so lange gänzlich irrelevant, als der Historiker in seiner Praxis an dem Prinzip der Deutung menschlichen Handelns aus verständlichen, prinzipiell und ausnahmslos der Nachprüfung an [Hand] der Erfahrung unterworfenen »Motiven« festhält. Aber: der Glaube, deterministische Postulate schlössen für irgendein Wissensgebiet das methodische Postulat der Aufstellung von Gattungsbegriffen und »Gesetzen« als ausschließlichen Ziels ein, ist kein größerer Irrtum195, als die ihm im umgekehrten Sinne entsprechende Annahme: irgendein metaphysischer Glaube an die »Willensfreiheit« schlösse die Anwendung von Gattungsbegriffen und »Regeln« auf menschliches Sich-Verhalten aus, oder die menschliche »Willensfreiheit« sei mit einer spezifischen »Unberechenbarkeit« oder überhaupt irgendeiner spezifischen Art von »objektiver« Irrationalität des menschlichen Handelns verknüpft. Wir sahen, daß das Gegenteil der Fall ist. – Wir haben nunmehr, nach dieser langen Abschweifung auf das Gebiet moderner Problemstellungen, zu Knies zurückzukehren und uns zunächst klarzumachen, auf welcher prinzipiellen philosophischen Basis sein »Freiheits«begriff ruht, und welche Konsequenzen dies für seine Tragweite in der Logik und Methodik der Wirtschaftswissenschaft hat. – Da zeigt sich nun alsbald, daß – und in welchem Sinne – auch Knies durchaus im Banne jener historisch gewendeten »organischen« Naturrechtslehre steht, welche, in Deutschland vorwiegend unter dem Einfluß der historischen Juristenschule, alle Gebiete der Erforschung menschlicher Kulturarbeit durchdrang. – Am zweckmäßigsten beginnen wir mit der Frage, welcher »Persönlichkeitsbegriff« denn bei Knies mit seinem »Freiheits«gedanken kombiniert ist. Es zeigt sich dabei, daß jene »Freiheit« nicht als »Ursachlosigkeit«, sondern als Ausfluß des Handelns aus der notwendig schlechthin individuellen Substanz der Persönlichkeit gedacht ist, und daß die Irrationalität des Handelns infolge dieses der Persönlichkeit zugeschriebenen Substanzcharakters alsbald wieder ins Rationale umgebogen wird.
Das Wesen der »Persönlichkeit« ist für Knies zunächst: eine »Einheit« zu sein. Diese »Einheit« aber verwandelt sich in den Händen von Knies alsbald in den Gedanken einer naturalistisch-organisch gedachten »Einheitlichkeit«, und diese wiederum wird als (»objektive«) innere »Widerspruchslosigkeit«, also im letzten Grunde rational, gedeutet196. Der Mensch ist ein organisches Wesen und teilt daher mit allen Organismen den »Grundtrieb« der »Selbsterhaltung« und »Vervollkommnung«, einen Trieb, welcher – nach Knies – als »Selbstliebe« durchaus »normal« und deshalb »sittlich« ist, insbesondere keinen Gegensatz gegen »Nächstenliebe« und »Gemeinsinn« enthält, sondern nur in seiner »Ausartung« zur »Selbstsucht« sowohl eine »Abnormität« ist als, eben deshalb, im Widerspruch mit jenen sozialen »Trieben« steht (S. 161). Beim normalen Menschen sind hingegen jene beiden Kategorien von »Trieben« nur verschiedene »Seiten« eines und desselben einheitlichen Vervollkommnungsstrebens (S. 165), und liegen mit dem von Knies gelegentlich (ebendort) als »dritter wirtschaftlicher« – soll heißen: »wirtschaftlich relevanter« – »Haupttrieb« bezeichneten »Billigkeits-und Rechtssinn« ungeschieden in der Einheit der Persönlichkeit. An die Stelle der konstruktiven Allgemeinheit bestimmter konkreter »Triebe«, insbesondere des »Eigennutzes«, in der älteren Nationalökonomie, und an Stelle des auf dieser Grundlage aufgebauten religiös bedingten ethischen Dualismus der Triebe bei Roscher, tritt bei Knies die konstruktive Einheitlichkeit des konkreten Individuums an sich, welche daher mit »fortschreitender Kulturentwickelung« die »einseitige