Odysseus und die Wiesel. Georg von WallwitzЧитать онлайн книгу.
Batavia nennen, gelingt es, nach und nach, einen immer größeren Teil des Asienhandels zu kontrollieren. Im Jahr 1641 wird das portugiesische Malakka erobert und damit die Kontrolle über die Straße von Malakka an der Westküste Malaysias. 1667 fällt die letzte nennenswerte Niederlassung der Portugiesen an die Ostindische Kompanie, die damit ein faktisches Monopol auf den Handel zwischen Asien und Europa hat. Hinzu kommt eine immer stärkere Rolle im innerasiatischen Handel. Die Ostindische Kompanie erhält vom Shogun das Privileg, als einzige ausländische Macht mit Japan Handel zu treiben.
Die finanziellen Möglichkeiten der Ostindischen Kompanie gehen weit über alles hinaus, was vor ihrer Gründung denkbar schien. Die East India Company, die etwa zeitgleich in London gegründet wird, ist lange keine Konkurrenz für die Niederländer, weil ihr das finanzielle Rückgrat fehlt. In den zwei Jahrhunderten ihres Bestehens hat die Ostindische Kompanie 4.700 Schiffe unter Segel und transportiert etwa eine Million Menschen. Die Aktiengesellschaft ist die wirtschaftliche Organisationsstruktur, die Voraussetzung ist für den sagenhaften Aufschwung der Niederlande in ihrem Goldenen Jahrhundert. Durch eine eher unscheinbare Idee ist es einem eher unscheinbaren Volk zwischen Ijsselmeer und Zeeland gelungen, zu einer Großmacht zu werden. Niederländische Schiffe beherrschen einen großen Teil der Weltmeere. Um 1670 verfügen die Niederlande über 15.000 Schiffe, fünfmal so viele wie unter englischer Flagge. Über ihre Handelsstationen, die sich zu Städten wie New York oder Jakarta ausweiten, üben die Kaufleute auch bis tief ins Landesinnere beträchtliche Macht aus.
Der Niedergang der Ostindischen Kompanie hat, wie ihr Aufstieg, sowohl militärische als auch wirtschaftliche Gründe. Den Engländern gelingt es immer besser, den Ärmelkanal zu kontrollieren und damit die entscheidende Seeroute für den Asienhandel der Niederländer. Im vierten Englisch-Niederländischen Krieg (1780–1784) kommt der niederländische Handel mit Asien völlig zum Erliegen, die Warenhäuser bleiben leer, und es finden keine Auktionen mehr statt. Hinzu kommt, dass die finanzielle Substanz der Ostindischen Kompanie weit weniger stark ist, als sie es hätte sein können. Über die Jahre ist Korruption ein immer Problem geworden Problem geworden größeres Problem geworden. Die Gouverneure in den fernen überseeischen Besitzungen sind oft genug Abenteurer, die zielstrebig in die eigene Tasche wirtschaften und am Wohlergehen der Aktionäre nur ein beiläufiges Interesse haben. Dieses Problem ist der Aktiengesellschaft bis heute geblieben und hat die Existenz der Ostindischen Kompanie überlebt, die im Jahr 1798 am Ende ist und verstaatlicht wird.
Das Konzept der Aktiengesellschaft ist aber nie wieder versickert. Es ist schnell nicht nur ein ordentlicher Bach daraus geworden, sondern ein breiter Strom. Der finanzielle Erfindungsreichtum der Niederländer bleibt nicht auf den Fernhandel beschränkt. Hugo Grotius verfasst 1605 ein Rechtsgutachten für die Ostindische Kompanie, worin er die Freiheit der Meere proklamiert und den entscheidenden Schritt zur Grundlegung des Völkerrechts tut. Im Jahr 1609 wird die Amsterdamer Wechselbank gegründet, die ihren Kunden den bargeldlosen Ausgleich zwischen verschiedenen Konten anbietet und damit das Buchgeld erfindet. Sie ist die erste Zentralbank der Geschichte. Zwei Jahre später kommt die Amsterdamer Warenbörse hinzu, wo ab 1612 der Wertpapierhandel aufgenommen wird. Die Erfindung der Aktiengesellschaft ist eine Art Urknall, aus dem sich die folgenden Innovationen fast selbstverständlich entwickeln. Der Auf- und Ausbau der finanziellen Institutionen geht, sobald der Knoten einmal geplatzt ist, extrem schnell. Die Niederländer bauen ein System, in dem sich effizient Geld verdienen lässt. Als Calvinisten wissen sie, dass Reichtum zwar ein äußeres, dafür aber zuverlässiges Zeichen von Gottes Segen ist. Das spornt an. In diesem System dominiert, jedenfalls in der Anfangsphase, die Rationalität der Kaufleute wie nie zuvor in der Geschichte.
Die Niederlande erleben nicht nur aufgrund ihrer finanziellen Phantasie ein Goldenes Zeitalter. Frömmigkeit, Fleiß, Wagemut, Kunstsinn, Tinte und der Geschmack an der Piraterie spielen eine ebenso große Rolle. Rembrandt und Vermeer sind auch ohne die Ostindische Kompanie genial, aber der Reichtum und die Offenheit, die über deren Handel in die Niederlande kommen, sind eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Entfaltung ihrer Kunst. Das alles gehört zusammen. Kein Kulturkreis hat jemals einen bemerkenswerten künstlerischen Aufschwung genommen ohne ein wirtschaftliches Fundament. Es ist kein Zufall, dass in den Niederlanden die künstlerische und geistige Revolution mit der finanziellen einhergeht. Ein Land, das Descartes und Spinoza anlockt, ist auch genial genug, um mit Tulpen zu spekulieren und dabei den Gewinn aus ungezählten Asienfahrten zu pulverisieren. Nicht nur die Not, auch die Freiheit und das Geld machen erfinderisch. Finanziers und Künstler sind nicht aufeinander angewiesen, aber sie gedeihen unter denselben Bedingungen und haben meist, aus sehr unterschiedlichen Motiven, ein lebhaftes Interesse aneinander.
Das Beispiel der Niederlande ist in gewisser Weise irreführend. Selten kann sich wirtschaftliche Rationalität so mühelos entfalten wie unter den Amsterdamer Kaufleuten des 17. Jahrhunderts. Das Wirtschaftssystem, die politische Ordnung und die Religion sind auf die Mehrung des persönlichen Wohlstands der Bürger hin berechnet. Es herrscht ein beinahe ideales Klima wirtschaftlicher Effizienz und Offenheit. Der Idealzustand ist die Ausnahme, und er kann nicht dauern, weil der Mensch nicht ideal ist. Er ist nie lange kühl berechnend und damit selbst berechenbar. Daher gelingen finanzielle Innovationen nur sehr selten so reibungslos wie in Amsterdam um 1600. In der Regel ist der Quellgrund einer finanziellen Idee über eine weite Strecke sumpfig, bevor sich ein Fluss entwickelt. Wenn ihre Zeit sie noch nicht trägt, können Ideen wie Rinnsale wieder in der Erde verschwinden, aus der sie gekommen sind.
Die Entstehung der neuzeitlichen Finanzmärkte ist gespickt mit Fehlversuchen. Das liegt daran, dass die Akteure an diesen Märkten (Finanziers, Investoren, Spekulanten) nicht dem Ideal eines klugen, geduldigen, listenreichen, verständigen und berechnenden Menschen entsprechen, der eigentlich nötig wäre, damit wirtschaftliche Rationalität sich entfalten kann. Jeder Unternehmer versucht, dem Ideal zu entsprechen, aber keiner rechnet ernsthaft damit, es zu erreichen.
Als Gründungsmythos für das Zeitalter der modernen Finanzmärkte taugt daher vielleicht am ehesten der Versuch von John Law, die französischen Staatsfinanzen zu sanieren. An Law zeigen sich die Licht- und Schattenseiten finanzieller Phantasie; wie eine gute Idee kurz aufscheint und dann wieder versickert, weil sie das Kind eines Hasardeurs ist und nicht eines frommen und vernünftigen Handelsherren.
John Law wird 1671 als Sohn eines schottischen Goldschmieds und Geldverleihers in Edinburgh geboren. Er geht früh nach London, um das Handwerk des Bankiers zu erlernen, verbringt dort aber die meiste Zeit beim Glücksspiel. Als Spieler verliert er viel Geld, lernt aber, mit Wahrscheinlichkeiten umzugehen. Bereits 1694 muss er seine Ausbildung unterbrechen, da er bei einem Duell dem Gegner ein Schwert in den Bauch rammt und wegen Mordes zum Tode verurteilt wird. Mit Hilfe einflussreicher Mitspieler kann er aber aus dem Gefängnis ausbrechen, bevor das Urteil rechtskräftig wird.
Er flieht nach Amsterdam, das zu dieser Zeit noch immer der Nabel der Welt ist. Dort sieht er nicht nur die Segnungen des Buchgeldes, sondern auch die Nachteile des Münzgeldes. Um ihre Vorräte zu halten, benötigen die Händler Geld. Gibt es nur Münzgeld, so ist die Geldmenge durch die Menge des verfügbaren Goldes und Silbers beschränkt. Es kann nur so viel Handel getrieben werden, wie Edelmetalle in Form von Münzen frei zur Verfügung stehen. In guten Zeiten bedeutet das einen deutlichen Dämpfer für jede wirtschaftliche Aktivität. Nur den Geldverleihern geht es dann richtig gut, denn sie können hohe Zinsen verlangen.
Law sieht, dass der Handel noch viel lebhafter sein könnte, wenn die Menge des Geldes Problem geworden Problem geworden größer wäre. Also schlägt er den Handelsherren einen großartigen Gedanken vor: Er will eine Bank gründen, die nichtrückzahlbare Noten ausgibt, die nicht nur mit Edelmetallen, sondern auch mit Land besichert sind. Solche Banknoten nennt man Papiergeld.
In Amsterdam sind die Kaufleute klug genug, sich nicht auf Laws Geschäftsmodell einzulassen. Papiergeld lebt von der Vertrauenswürdigkeit der Menschen, die es herausgeben, und da hat Law ein Defizit, das nicht schwer zu erkennen ist. In Paris hingegen hat man nicht viel Erfahrung und die Not ist größer. Ludwig XIV. hat durch permanente Kriegsführung und den falschen Glauben, Versailles sei der Nabel der Welt, erhebliche Schulden angehäuft. Schulden wirken bei Staaten ähnlich wie Schokolade bei Kindern: Sie wissen immer erst hinterher, ob sie des Guten zu viel hatten. Die Währung ist seit 1690 vierzigmal abgewertet worden. Dass Frankreich überschuldet