LEICHENSCHMAUS. Christina UngerЧитать онлайн книгу.
ihre weißen Zombiegesichter zu und Gertrud schnitt ihnen eine Grimasse.
Der Blitz, der in diesem Augenblick über den schwarzen Himmel zuckte, erleuchtete kurz die Straße, aber in diesen wenigen Sekunden sah Gertrud etwa fünfzig Meter vor sich eine männliche Gestalt im Regenmantel über die Straße eilen und hinter einer Straßenbiegung verschwinden. Dem Blitz folgte ein Donnerschlag und Gertrud Klampfl bekam es mit der Angst zu tun. Zwar sagten sie, dass der Blitz zuerst in die hohen Bäume einschlug, aber hielt sich der Blitz auch daran? Nur noch dreihundert Meter bis zu ihrer kleinen Wohnung, dachte sie bange, dann war sie hoffentlich in Sicherheit.
Plötzlich durchdrang ein furchtbares Kreischen die Nachtluft und Gertrud Klampfl stockte beinahe das Herz. Es hatte sich angehört, als ob ein Kind schrie. Unwillkürlich hielt sie im Gehen inne. Das Kreischen kam von einem Wesen, das furchtbare Schmerzen erleiden musste. Gertrud fasste sich ein Herz, um zu sehen, was passiert war, denn schließlich war das ihre staatsbürgerliche Pflicht. Und da – schon wieder! Dieses Mal war es ein einziger blutgerinnender Schrei, der langsam in ein ersticktes Gurgeln überging.
Gertrud setzte sich in Bewegung und erschrak. Vor ihr überquerte der Mann im Regenmantel schon wieder die Straße, diesmal in die andere Richtung. Und jetzt konnte sie direkt in seine fiesen kleinen Augen sehen, die einen böse funkelnden Blick herüberwarfen.
Vor dem Mann fürchtete sich Gertrud nicht. Sie fürchtete sich eher vor dem, was sie finden würde. Mit eingezogenem Kopf verschwand der Mann in einem alten Haus auf der anderen Straßenseite und Gertrud versuchte mit zusammengekniffenen Augen die Hausnummer zu lesen. Es war die Nummer 32. Dort wohnte der alte Wallner. Dessen Junior war schon vor Jahren ins nahe Mödling geflohen, wahrscheinlich weil er es neben seinem asozialen und bösartigen Vater nicht länger ausgehalten hatte.
Wer oder was aber hatte vorhin so schlimm geschrien?
Langsam setzte sie einen Fuß vor den anderen, und als sie die Straßenbiegung erreichte, blieb sie einige Meter dahinter abrupt stehen. Neben einer Gartenmauer lag, wie weggeworfen, ein schwarzes wimmerndes Bündel. Gertrud bückte sich, um zu sehen, wen es da erwischt hatte. Es war eine Katze! Eine noch junge schwarze, schwer verletzte Katze.
Eigentlich mochte sie selbst keine Haustiere, weil sie so viel Dreck machten, und Katzen mochte sie am wenigsten, besonders keine schwarzen, denn die brachten Unglück. Andererseits brachte sie es nicht über sich, das arme Tier so halbtot im Regen liegenzulassen. Vielleicht gehörte es der Familie, die hier wohnte? Gertrud trat an das Gartentor und las das Namensschild: Burkhardt. Sie kannte die Familie vom Sehen. Einmal hatte sie sie bei einem Grätzelfest gesehen und einige Male beim Einkaufen im Supermarkt. Eine noch relativ junge und nette Familie.
Die schneeweiße Fassade eines einstöckigen modernen Einfamilienhauses schimmerte durch zwei hohe Silbertannen in die Schwärze des Abends. Neben dem Namensschild war ein gelbes Plastikschild montiert, auf dem stand in schwarzer Schrift: Achtung Kampfkatze! Das war wohl eines dieser Spaßschilder, die man in Papiergeschäften kaufen konnte. Die Kampfkatze hatte vorläufig ausgedient, so wie es aussah.
Gertrud Klampfl schob ihren Einkaufswagen unter den Schutz der Tannen nahe an die hüfthohe Steinmauer, die das Grundstück eingrenzte, und bückte sich, um das Kätzchen hochzuheben. Da entdeckte sie, dass man dem Tier beide Hinterbeine abgehackt hatte, und Gertrud hätte es beinahe vor Schreck fallen gelassen. Furchtbar verstümmelt, aber immer noch am Leben.
Mit einem Mal wurde es Gertrud richtig schlecht. Der Anblick des armen Tieres und das röchelnde Wimmern gingen ihr nahe. Die gequälten Augen bohrten sich direkt in Gertruds Herz und vertieften dort die Abscheu vor der Menschlichkeit, die sie ihr ganzes Leben mit sich herumgetragen hatte. Irgendjemand wollte dieses arme Tier nicht nur töten, sondern erst furchtbar leiden lassen. Ratlos hielt es Gertrud in den Armen, während über beide der Regen strömte.
Irgendetwas musste sie jedoch unternehmen, sagte sie sich, und so läutete sie kurz entschlossen am Gartentor. Der Blutverlust war enorm und das Tier würde es wohl nicht mehr lange machen. Endlich ging im Flur das Licht an. Die Haustür öffnete sich und eine attraktive blonde Frau um die vierzig trat heraus.
»Ja, bitte?«, fragte sie mit heller Stimme.
Gertrud räusperte sich. »Entschuldigen Sie die Störung. Mein Name ist Gertrud Klampfl. Ich wohne am Ende der Straße. Besitzen Sie vielleicht eine schwarze Katze?«
Die blonde Frau erschrak. »Jaaa«, antwortete sie leise. »Ist etwas passiert?« Die Frau spannte einen bunten Regenschirm auf und kam zögernd ans Gartentor. Ihr hübsches Gesicht drückte Sorge aus.
»Bevor Sie sie ansehen, muss ich Sie warnen. Sie ist … wie soll ich sagen … es ist nur mehr die Hälfte übrig – quasi.«
»Was soll denn das heißen?«, rief Frau Burkhardt erschrocken, während sie hastig das Gartentor öffnete.
»Möglicherweise ist sie in eins dieser illegalen Fangeisen getappt oder jemand hat ihr mit einer Axt …« Noch während Gertrud sprach, spürte sie, wie das kleine unschuldige Lebewesen sich kurz aufbäumte, zuckte, und mit einem letzten Gurgeln in ihren Armen sein Leben aushauchte.
»Ich glaub«, sagte Gertrud Klampfl betrübt, »sie ist soeben gestorben.«
Frau Burkhardt wagte sich einen halben Schritt näher und warf einen entsetzten Blick auf das triefende Bündel im Arm der Frau. »Das ist Black Sabbath!«, stammelte sie unter aufschießenden Tränen. »Der Kater von Stefanie.«
»Ihre Tochter?«
Die blonde Frau nickte.
»Und was machen wir jetzt mit ihm?«, fragte Gertrud ratlos. »Wollen Sie ihn vielleicht begraben?«
Frau Burkhardt rang mit sich selbst. Sie verspürte eine natürliche Abscheu vor dem Tod. Andererseits konnte sie die fremde Frau mit dem toten Tier nicht vor ihrem Haus stehenlassen.
»Kommen Sie doch bitte herein«, bat sie. »Wenn Stefanie das erfährt, bricht es ihr das Herz.«
Gertrud erinnerte sich an ein etwa sechzehnjähriges Mädchen, das schon öfters mit dem Rad an ihr vorbeigefahren war. Stets schwarz gekleidet, lange schwarz gefärbte Haare, schwarze Lippen und viel Metall im Gesicht. Na ja, ihre Tochter war es ja nicht. Ging sie auch überhaupt nichts an. Dafür war ihre Mutter umso sympathischer.
Frau Burkhardt lief ins Badezimmer, um ein Handtuch zu holen und Black Sabbath darin einzuwickeln. Verzweifelt bemühte sie sich dabei, das verstümmelte Tier nicht ansehen zu müssen.
»Sobald der Regen nachlässt, werde ich ihn begraben«, sagte sie und trug Black Sabbath in den Wintergarten. Sie legte das tote Kätzchen behutsam auf den Fliesen ab und begab sich zurück ins Vorzimmer, wo Gertrud wartete.
»Darf ich Ihnen den Mantel abnehmen?«, fragte Frau Burkhardt. »Sie holen sich sonst eine Erkältung!«
Erschrocken sah sie, dass ein rotes Bächlein Blut von Gertruds Regenmantel auf den Vorzimmerboden tropfte.
Gertrud blickte dem Blut hinterher und ihr blieb beinahe das Herz stehen. »Ich mach Ihnen alles voller Dreck!«, rief sie entsetzt. »Entschuldigung …«
»Ich bitte Sie! Sie können doch nichts dafür.«
»Wenn Sie mir zeigen, wo Ihre Putzlappen sind, mach ich das sofort wieder weg!«
»Soweit kommt‘s noch!«, rief Frau Burkhardt. »Geben Sie mir bitte den Mantel, ich werde ihn im Badezimmer abwaschen.«
Gertrud schlug die Kapuze zurück und schälte sich, von schlechtem Gewissen geplagt, aus dem Mantel. Sie war klein und untersetzt, aber von kräftiger Statur. Die kleinen braunen Augen in dem farblosen Gesicht sahen aus wie Rosinen in einem Kuchen.
»Bitte kommen Sie weiter«, bat Frau Burkhardt, während sie den triefenden Mantel in der Hand hielt.
Gertrud Klampfl fragte schüchtern: »Darf ich vorher meinen Einkauf hereinholen? Er steht immer noch vor Ihrem Haus.«
»Um Gottes willen! Bei diesem Regen! Warten Sie bitte hier, ich hole ihn sofort herein.«