Angst. Petra RamsauerЧитать онлайн книгу.
„Kriegsreporterin“ schwer. Da schwingt ein Image mit, das für mich wenig stimmig ist: Es vermittelt den Hang dazu, das eigene Risiko-Leben zur Schau zu stellen, es zeichnet uns als Adrenalin-Junkies, die für eine „Story“ die Angst einfach abstreifen. Mit meiner Realität hat dies wenig zu tun. Wenn ich arbeite, vermeide ich tunlichst draufgängerische Aktionen, und je gefährlicher ein Terrain ist, desto eher überlege ich mir jeden Schritt. Ich fürchte mich, bekomme es mit der Angst zu tun. Da gilt es, besonders vorsichtig zu sein, damit sie nicht in Panik abgleitet, mir die lebensrettende Klarheit nimmt. Die Ruhe im Sturm muss ich mir selbst vermitteln: durch exakte Vorbereitung, die mir festen Gedanken-Boden bietet. Durch die tief in mir verankerte Zuversicht, dass die schlimmsten Szenarien, die ich mir ausmale, zwar eine Möglichkeit, aber keine Prognose sind. Wenn das Herz zu rasen beginnt, geht es in erster Linie darum, dass ich mir exakt dann klar mache: Ich kann das. Gut sogar.
Dabei war und ist mein wichtigster Schutz, eine Frau und sehr klein zu sein. Ich kann mit der passenden Kleidung in der Menge verschwinden und unter weiten Gewändern sogar kugelsichere Westen, die Kamera und die Computertasche verstecken. In meinem Schrank hängen ein paar Shalwar Khamiz für Afghanistan, ein in Bagdad maßgeschneiderter, bodenlanger, schwarzer, dünner Mantel, sowie zwei Amateurinnen-Kopftücher, die fix halten (auch beim Laufen und Fotografieren), ohne gut gebunden sein zu müssen. Derzeit arbeiten viel mehr Reporterinnen in Krisengebieten als noch vor einigen Jahrzehnten. Diese Veränderung ist maßgeblich. Ein Beispiel dafür ist die wachsende Aufmerksamkeit, die sexuelle Gewalt im Krieg nun endlich erfährt. Frauen sind in den Kriegsgebieten des 21. Jahrhunderts gefährdeter als Kämpfer und Soldaten. Sexuelle Gewalt ist epidemisch. Umso wichtiger ist es, davon zu berichten. Und auch schlicht und ergreifend da zu sein. Manchmal sind Reporterinnen wie ich die Einzigen, die zuhören, die stundenlang bei einem Tee sitzen. Weil ich eine Fremde, aber auch eine Frau bin, die es in Kauf nimmt, die gleiche Angst wie ihre Gesprächspartnerinnen zu fühlen, fällt es vielen leichter, sich mir anzuvertrauen. In meiner Gegenwart einmal eine Stunde zu weinen. Oder länger.
Ausziehen, um das Fürchten zu lernen
Essenzieller Teil meiner Arbeit ist es, exakt dann näherzurücken, wenn der normale Instinkt eigentlich sagt: Weg hier. Schnell. Dabei bin ich an meine Grenzen, manchmal auch über sie hinausgegangen. An ein „Hoch“ nach einem überlebten Gefahren-Kick kann ich mich nicht erinnern. Eher an eine schweigsame, bittere Ernüchterung. Dieses Gefühl habe ich nach meinen Recherchen beim Kampf um Mossul 2017 lang mit mir herumgeschleppt. Monate hatte es gedauert, bis es der irakischen Armee gelang, die Millionenstadt von der Terrormiliz „Islamischer Staat“ zurückzuerobern. Trotz des heftigen Bombardements der US-Armee und ihrer Verbündeten bot ein harter Kern der Terrormiliz im Westen der Stadt heftigen Widerstand. Scharfschützen nahmen auch über weite Distanzen alles ins Visier, was sich bewegte. IS-Kämpfer feuerten selbstgezimmerte, schwere Artillerie tief in jene Stadtteile, die schon als „erobert“ galten. Straßenzug für Straßenzug wurde von Raketen und Kampfjets sturmreif gebombt, dann von der irakischen Armee erobert.
Über 10.000 Menschen starben bei dieser Offensive. Die Bevölkerung wurde zwischen den Fronten regelrecht zerrieben. Beim Versuch, sich vor den chaotischen Kämpfen in Sicherheit zu bringen, irrten die flüchtenden Menschen orientierungslos umher. Vor allem ältere Leute und Kinder waren völlig geschwächt, einige waren, als sie sich endlich aus den Häusern wagten, am Verdursten. Mit Kriegsbeginn war die Versorgung mit Wasser und Lebensmitteln zusammengebrochen.
Zuvor war die Millionenstadt drei Jahre lang vom Terror-Regime des „Islamischen Staates“ tyrannisiert worden. Doch erst die „Befreiung“ entlarvte sich als Horrortrip. Getötete Terroristen wurden am Straßenrand liegen gelassen, ihre aufgeblähten Leichen von Hunden zerfleischt. Das Bild eines Mädchens in rosa Rüschenkleid und Sandalen, das völlig verschreckt an einer dieser Leichen vorbeiging, mit tastendem Schritt, habe ich noch vor mir. Unentwegt schlugen mit ohrenbetäubendem Krach Raketen ein, am Horizont waren bisweilen nur Rauchsäulen der Detonationen zu sehen: Es schien mir, als wäre ich in ein apokalyptisches Film-Set geraten. „Was will die Welt von uns? Warum kämpfen alle immer im Irak?“, brüllte mich ein Mann an, der soeben seinen 19-jährigen Neffen in einer Gefechtspause beerdigte. Der war ums Leben gekommen, weil die Terror-Miliz einen Sprengsatz am Rollladen seines Geschäfts versteckt hatte. Als er in einer Waffenruhe den Shop öffnen wollte, entlud sich der Funken Hoffnung auf ein wenig Normalität in einer tödlichen Detonation. Ich saß nach der schnellen Beerdigung mit den Hinterbliebenen im Gras, eingemummt in eine 24 Kilo schwere Schutzweste, erschöpft, regennass und rechnete nach. Es war meine 23. Reise in den Irak.
Als ich wenige Tage später meine Reportage über diese Tage in Mossul schrieb, von einer Großfamilie mit zwei Schwangeren und einem Mädchen im Rollstuhl erzählte, die unter Beschuss gekommen waren, wurde mir klar: Moment. Ich hatte doch neben ihnen gestanden. Erst in diesem Moment begriff ich, dass ich in größter Lebensgefahr gewesen war, ohne einen Funken Angst verspürt zu haben. Ein Indiz, dass mir diese Reise fast zu viel geworden wäre.
Dies steht allerdings in keinem Verhältnis zu dem „Zuviel“, das der irakischen Bevölkerung zugemutet wird, wo ich eine Generation im Krieg aufwachsen gesehen habe. Von 2003 bis 2020. Laut den Daten der Organisation Iraq Body Count sind in den Konflikten und Kriegen des Iraks in dieser Phase bis zu 200.000 Zivilisten umgekommen; inklusive Soldaten und Milizen waren es 288.000. Der überwiegende Teil – wie die Opfer in Mossul – starb bei den internationalen Luftangriffen.
„Moralische Verwundung“: Dieser neue Fachbegriff beschreibt das Spannungsgefühl jener, die sich emotional zu nahe an die Ungleichheit der Wertigkeit von Menschenleben heranwagen. Und sich ihrer Hilflosigkeit ausgeliefert fühlen. Mit dieser Verwundung habe ich zweifelsfrei zu kämpfen. Was mir bei diesem Beruf mehr zusetzt als die Angst um Leib und Leben, ist das Ertragen dieser Ungleichheit. Gleichzeitig liegt der Sinn meiner Arbeit darin, sie aufzuzeigen. Auch wenn ich einiges in Kauf nehme.
Jede Biografie erreicht wenigstens einmal Krisenmomente, wo die Angst auf ihre Plätze verwiesen werden muss. Nur so legt sich ihre Dominanz und das Leben braucht nicht in einer sicheren Komfortzone abgewartet werden, sondern kann getrost dort stattfinden, wo für jeden und jede sein und ihr Glück liegt. Mit der Nervosität, die man fühlt, wenn man vor einem Sprung an einer Klippe steht, verglich der Philosoph Sören Kierkegaard die Angst. In seinem 1844 verfassten Traktat Der Begriff Angst schreibt er, dies sei jenes Schwindelgefühl, das beim Blick auf die Freiheit der eigenen Möglichkeiten einsetzt: „Dies ist ein Abenteuer, das jeder zu bestehen hat: Dass er lerne sich zu ängstigen, denn sonst geht er dadurch zugrunde, dass ihm nie angst war, oder dadurch, dass er in der Angst versinkt. Wer hingegen gelernt hat, sich recht zu ängstigen, der hat das Höchste gelernt.“ Er präzisiert sehr anschaulich: Das Frei-Sein von Angst ist nicht das Leben ohne Furcht, sondern der im Durchgehen durch die Angst erlebte Reflexionsprozess. Man fürchtet sich „vor“ etwas, aber man „hat“ Angst. – Und um Letzteres geht es hier.
Der Sprung ins Nichts
Als wir den gefährlichen Abschnitt der Strecke erreichten, verwandelte sich meine Haut in das hauchdünne Häutchen unter einer Eischale. So verwundbar fühlte ich mich. Der Fahrer unseres Autos drückte das Gaspedal durch. Wir rasten mit 144 km/h über Schlaglöcher. Die kräftigen Erschütterungen überlagerten mein Zittern. Danach fühlte ich mich nicht als glorreiche Heldin. Ich war schlicht und ergreifend froh, zu leben und in Aleppo zu sein. Viel mehr konnte ich am Beginn dieser Reise im Sommer 2013 nicht denken.
Der Ostteil dieser syrischen Stadt war während des Bürgerkrieges drei Jahre lang eine Hochburg der bewaffneten Opposition. Um dorthin zu gelangen, musste man illegal aus der Türkei nach Syrien einreisen; ein Pressevisum des syrischen Regimes für den Besuch von Aufständischen war ausgeschlossen. Die sechzig Kilometer lange Route von der Grenze bis Ost-Aleppo galt als „sicher“. Mit einer Ausnahme. Die letzte Etappe vor der Stadt führte über einige Kilometer dicht an Stellungen der syrischen Armee vorbei. Hier waren auf einer Anhöhe Scharfschützen in Stellung. Sie zielten auf Autos, die vorbeifuhren. Wer nach Aleppo wollte, in ein wichtiges Zentrum des syrischen Aufstandes, musste hier durch.
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