Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de MaupassantЧитать онлайн книгу.
Abstand voneinander marschieren, wollten sie nicht Gefahr laufen, wie ein abgenickter Hase hinzustürzen.
Nachdem dies besorgt war, lachte Mohammed, mit seinem eigentümlichen stillen Lachen, bei dem sein Bauch wackelte, ohne dass der Mund einen Ton hören ließ.
»Ha! das ist die Arabische Kette« sagte er. Wir selbst fingen an, ein Grausen bei dem erschreckten und erbärmlichen Anblick der Gefangenen zu empfinden.
»Jetzt einen Pfahl an jedes Ende« schrie unser Führer, »und bindet es mir daran fest, meine Kinder.«
In der Tat wurde an jedes Ende dieser bandartigen Kolonne Gefangener, die gespensterbleich und unbeweglich wie Bildsäulen dastanden, ein Pfahl befestigt.
»Nun zum Essen!« befahl der Türke.
Am schnell entzündeten Feuer wurde ein Hammel gekocht, den wir mit unseren Händen zerlegt hatten. Dann assen wir von den vorgefundenen Datteln und tranken von der aufbewahrten Stutenmilch. Einige Kostbarkeiten, die die Flüchtlinge vergessen hatten, wurden als gute Beute mitgenommen.
Wir waren ruhig noch beim Schluss unserer Mahlzeit, als ich auf dem Hügel gegenüber eine eigentümliche Ansammlung bemerkte. Es waren die Weiber, die sich bei Zeiten geflüchtet hatten, keine Männer dabei. Sie kamen sehr schnell auf uns zu gerannt, und als ich sie Mohammed zeigte, sagte er lächelnd:
»Das ist unser Dessert.«
Jawohl! ein schönes Dessert.
Sie kamen jetzt, wie toll, im Galopp heran, und bald sauste uns ein Hagel von Steinen um die Ohren, die sie, ohne im Laufen einzuhalten, auf uns schleuderten. Wir sahen jetzt, dass sie sich mit Messern, Zeltpfählen und alten Scherben bewaffnet hatten.
»Zu Pferde!« rief Mohammed. Es war die höchste Zeit. Sie versuchten den Strick zu durchschneiden, um die Gefangenen zu befreien. Als der Türke die Gefahr begriff, wurde er wie rasend und heulte: »Haut sie nieder! Haut sie nieder!« Und als wir durch diesen neuartigen Angriff verwirrt einen Augenblick zögerten und vor der Niedermetzelung von Weibern zurückscheuten, sprengte er allein auf die anstürmende Masse los.
Er attackierte ganz allein diese Schar in Fetzen gehüllter Weiber, und begann wie toll darauf los zu säbeln, der Kerl, mit solcher Wut und solchem Nachdruck, dass man bei jedem Säbelhieb einen weißen Körper niederstürzen sah.
Es war so furchtbar, dass die überraschten Frauen schliesslich ebenso schnell davonliefen, als sie vorhin herangekommen waren, nachdem sie ein Dutzend Toter und Verwundeter auf dem Platze gelassen hatten, deren rotes Blut ihre weißen Kleider färbte.
»Vorwärts, Kinder, vorwärts! Sie kommen noch mal wieder« rief Mohammed, als er mit verzerrtem Gesicht zu uns zurückkam.
Und wir zogen mit unseren Gefangenen ab, welche die Furcht erdrosselt zu werden, völlig widerstandslos machte.
Am nächsten Tage war es gerade Mittag, als wir mit dieser Kette lebendiger Gehenkter in Boghar anlangten. Nur sechs waren unterwegs gestorben. Aber mehrmals hatten wir die Schlingen längs dem ganzen Zuge wieder lockern müssen, denn jede Erschütterung würgte ihrer zehn auf einmal.
Der Kapitän war mit seiner Geschichte zu Ende.
Ich wusste Nichts zu sagen und musste nur immer an dies seltsame Land denken, wo man so etwas noch erleben konnte. So starrte ich wortlos in die dunkle Nacht mit ihrem zahlreichen und glänzenden Sternenheere.
*
Der Waldhüter
Man war daran, sich nach dem Essen Jagderlebnisse und ähnliche Abenteuer zu erzählen.
Plötzlich sagte unser gemeinsamer alter Freund Herr Bonifaz, ein ebenso großer Schütze wie Trinker, ein zäher starker Mann, voll Witz, Verstand und Philosophie, die sich in beissenden Scherzen, aber niemals in Traurigkeit offenbart:
»Ich weiß auch eine Jagdgeschichte oder vielmehr ein ziemlich seltenes Jagddrama. Es gleicht in keiner Weise dem, was wir bis jetzt hörten, auch habe ich es noch nie erzählt, weil ich dachte, es würde Niemanden ergötzen.
Es ist nicht sehr ansprechend, verstehen Sie! d. h. es erweckt nicht jene Art von Interesse, die begeistert, bezaubert oder angenehm bewegt.
Doch hören Sie:
Ich war schon ungefähr fünfunddreissig Jahr alt und die Jagd war mein höchstes Vergnügen.
Damals besass ich ein Landgut, welches ziemlich einsam in der Gegend von Jumieges lag und mit seinem guten Waldbestand sich sehr zur Hasen- und Kaninchen-Jagd eignete. Ich pflegte dort jährlich vier oder fünf Tage ganz allein zuzubringen, da die Einrichtung mir nicht erlaubte, Bekannte einzuladen.
Als Waldhüter hatte ich einen alten ehemaligen Gensdarm angestellt, einen braven Kerl, etwas heftig, streng auf seinen Dienst, scharf auf die Wilddiebe und absolut furchtlos. Er wohnte ganz allein, fern von der Villa, in einem kleinen Häuschen oder besser gesagt, einem verfallenen Gemäuer, welches aus zwei Räumen im Souterrain, Küche und Keller, und zwei Zimmern im ersten Stock bestand. Eins der letzteren, gerade groß genug für ein Bett, einen Stuhl und einen Schrank, war für mich reserviert.
Vater Cavalier bewohnte das andere. Wenn ich sagte, dass er ganz allein hier hauste, dann habe ich mich nicht ganz genau ausgedrückt. Er hatte noch einen Neffen bei sich, einen Lümmel von vierzehn Jahren, der den Hausbedarf aus dem drei Kilometer weiten Dorfe holte und dem Alten bei seiner täglichen Beschäftigung half.
Dieser magere aufgeschossene und etwas bucklige Galgenstrick hatte so leichtes gelbes Haar, das man glauben konnte, es sei der Flaum eines gerupften Huhnes; dabei war es so dünn, dass man ihn für kahlköpfig halten konnte. Ausserdem besass er enorme Füsse und Hände wie ein riesiger Koloss. Er schielte etwas und sah einem nie ins Gesicht. Er machte auf mich den Eindruck, als sei er unter den Menschen ungefähr das, was unter den Tieren das Raubzeug ist. Entweder war dieser Bursche ein Marder oder ein Fuchs.
Seine Schlafstätte hatte er in einer Art Loch, das sich oberhalb der zu den zwei Zimmern führenden Treppe befand.
Aber während meines jeweiligen kurzen Aufenthaltes im »Pavillon« – so nannte ich das alte Gemäuer – musste Marius seine Höhle einer