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Anfang und Ziel ist der Mensch. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Anfang und Ziel ist der Mensch - Heinrich Mann


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die Macht an sich zu reißen und die Verfassung außer Kraft zu setzen.

      Seit 1926 lebte Heinrich Mann überwiegend in Berlin. Ihn zog es in die Hauptstadt, weil dort die Kultur aufblühte. Immer mehr namhafte Künstler, Maler, Musiker, Schriftsteller und Schauspieler verließen die Großstädte in den Ländern, um in dem gärenden Musentempel Berlin dabei zu sein, wenn nahezu täglich eine neue Sensation die Gemüter erregte. Berlin schickte sich an, zum Babylon der Moderne zu werden und Paris als europäische Kulturmetropole den Rang abzulaufen. Einen Beitrag dazu leistete auch die Verfilmung seines 1905 erschienenen Romans Professor Unrat. Er wurde unter dem Titel Der blaue Engel mit Marlene Dietrich und Emil Jannings in den Hauptrollen zu einem Welterfolg und machte Heinrich Mann zum Star der frühen Dreißigerjahre. Aber nicht nur die Produktion dieses Films erforderte seine Anwesenheit in Berlin. Vor allem war es sein neues Amt in der Preußischen Akademie der Künste in der Sektion Dichtkunst. Hier prallten die wachsenden geistigen und politischen Auseinandersetzungen in der zweiten Hälfte der Zwanzigerjahre in wachsender Härte aufeinander. Trotzdem wurde er 1931 zu ihrem Präsidenten gewählt. Seine Bekanntheit und seine Persönlichkeit halfen den Mitgliedern der Sektion offensichtlich dabei, über seine ebenso entschiedene wie streitbare Haltung zur Weimarer Republik hinwegzusehen. Er wurde einvernehmlich per Akklamation gewählt. Seine häufige Anwesenheit in Berlin ließ ihm immer weniger Zeit, sich um seine Familie in München zu kümmern.

      Seine Ehe ging in die Brüche. Zuerst verliebte er sich in die Kabarettistin und Filmschauspielerin Trude Hesterberg, danach in die Bardame Nelly Kröger, die er 1939 im Exil zu Beginn des Zweiten Weltkrieges heiratete. Seine vielfältigen Verpflichtungen hinderten ihn nicht, neben seiner umfangreichen essayistischen Tätigkeit auch weiterhin Romane zu schreiben. Zeit für Novellen fand er nur noch selten. Hervorzuheben ist vor allem seine Generalabrechnung mit dem Kaiserreich in dem Roman Der Kopf, der 1925 erschien. Immer wieder kommt Heinrich in seinen Romanen auf die schmerzhafte Kontroverse mit seinem Bruder zu sprechen. Nirgendwo geschieht dies jedoch so ausführlich und unverhüllt wie hier. In den Figuren Terra und Mangolf schilderte er die Hintergründe und Rivalitäten. Terra, dem selbstlosen Gesellschaftskritiker steht Mangolf gegenüber, der Strebsame, Erfolgshungrige, dem es nicht schwerfällt, mit der Zeit zu gehen.

      Von dieser Kontroverse ist in den darauf folgenden sogenannten »Republik-Romanen« Mutter Marie, Eugénie oder Die Bürgerzeit und Die große Sache nichts mehr zu spüren. Darin ging es Heinrich vor allem darum, der entgleisenden Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten. Seine moralische Lehre lautete: »Lernt verantworten«, »lernt ertragen« und »lernt euch freuen«. Dieser Dreiklang verbindet die ansonsten thematisch sehr unterschiedlichen Handlungen und Begebenheiten der Romane.

      An seinem 60. Geburtstag 1931 befand er sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Er wurde in den Medien als Intellektueller gefeiert, der die Abgründe der Zeit aufgreift. Er schilderte sie, ermutigte die Zeitgenossen aber auch, nicht in sie hinabzusinken, sondern sich ihrem Sog zu erwehren.

      Eine Ausnahmestellung seiner Romane in der Weimarer Republik nimmt das Sozialdrama Ein ernstes Leben ein. Darin erzählt er die schillernde Lebensgeschichte seiner späteren Frau Nelly Kröger, die aus einfachsten Verhältnissen kommend ein Leben zwischen familiärer Fürsorge, Kriminalität und Bordell führt. Der Roman erschien am Ende der Republik; ihm blieb es nicht zuletzt deshalb versagt, eine Breitenwirkung zu erzielen. Mit Beginn des Nationalsozialismus fiel er in Vergessenheit. Heinrich Mann stellte mit Marie Lehning eine Frau in den Mittelpunkt der Handlung, die es wegen ihrer Authentizität, Originalität, Menschlichkeit und Ausstrahlungskraft verdient mit anderen großen Frauengestalten der Weltliteratur verglichen zu werden. Im Geist seines großen Lehrmeisters Honoré de Balzac inszenierte er mit Marie eine Frauenfigur, deren Kriminalität nicht einer Charakterschwäche, sondern den Zumutungen einer entgleisenden Gesellschaft entspringt, einer Gesellschaft, die den Armen die Möglichkeit nimmt, ein Leben in Anstand und Würde zu führen. In keinem anderen Roman gelingt es dem Autor eine ebenso plastische, authentische und ergreifende weibliche Romanfigur zu schaffen, die gerade in ihrer Widersprüchlichkeit zu überzeugen weiß und die Möglichkeit wertvoller Menschlichkeit trotz Kleinkriminalität aufzeigt. Wie bei Balzac ist es auch hier eine magische Macht in Gestalt eines Polizeikommissars, die Marie vor dem Abgrund rettet.

      Fast zeitgleich zu diesem Roman erschien der Essayband Das öffentliche Leben. Nach Macht und Mensch, Diktatur der Vernunft, Sieben Jahre und Geist und Tat war es der fünfte und letzte in der Weimarer Republik. Geist und Tat nimmt unter ihnen insofern eine Sonderstellung ein, da in ihm biografische Portraits französischer Schriftsteller vorgestellt werden. Das öffentliche Leben vereinigt politische und kulturelle Beiträge der letzten Jahre unterschiedlicher Art. Rückblickend sticht seine Auseinandersetzung mit dem aufkommenden Nationalsozialismus hervor. Heinrich Mann mutmaßte, dass der Nationalsozialismus zur Herrschaft gelangen könne, weil die Deutschen wieder einmal in sich den »Ruf des Abgrunds hören«. »Die Deutschen hören ihn reichlich oft«, stellte er fest. Doch noch schien es offen, ob sie ihm wirklich folgen würden. Heinrich Mann hoffte, dass die vorangegangenen Katastrophen das Volk belehrt hätten. Er hoffte vergebens, wie wir heute wissen.

      Im Februar 1933 wurde er von den Nazis aus der Akademie der Künste ausgestoßen, ebenso wie unter anderen auch Käthe Kollwitz. Nach einem mahnenden Hinweis des französischen Botschafters und wohl auch anderer verließ er wenige Tage später das »Dritte Reich«. Er glaubte an eine Abreise auf Zeit, nicht an einen Abschied für immer.

      Fremde Heimat

      Heinrich Mann fühlte sich in Nizza wohl. Schon in früheren Jahren hatte er diese wunderbare Metropole an der Grenze zwischen Italien und Frankreich, zwischen dem Glitzern des Mittelmeeres und der Kühle der nahen Berge schätzen und lieben gelernt. In Nizza erlebte er nicht die Bitternis des Exils. Frankreich empfand er als »Vorposten der menschlichen Freiheit«. Aber fern von seinen Lesern in Deutschland hafteten Nizza und der Côte d’Azur auch etwas Fremdes an. Es war ein Unterschied, ob er dort Urlaub machte und ausruhte, oder ob er als Schriftsteller dort sein Leben bestreiten musste. Die »Côte« konnte trotz ihrer unbestreitbaren Reize seine Heimat nicht ersetzen und es kam noch hinzu, dass Deutschland ihm während der nationalsozialistischen Diktatur immer fremder wurde.

      Nelly und Heinrich lebten gut sieben Jahre in Nizza, stets in der Nähe des Boulevard des Anglais. In dieser Zeit veröffentlichte er drei Essaybände. Der erste kam bereits Ende 1933 heraus, der letzte im Kriegsjahr 1939. In allen drei Büchern stand die Auseinandersetzung mit Hitler und seinen Helfershelfern im Vordergrund. Den schärfsten Ton schlug Heinrich Mann gegen sie in seinem ersten Band Der Haß an. Die Wunde der Flucht und die seelischen Folgen der Erniedrigung verleiteten ihn dazu, dem Regime mit blanker Verachtung und Hass zu begegnen. So nachvollziehbar dies nicht nur aus seiner persönlichen Situation heraus war, entsprach seine radikale Darstellung nicht der Wahrnehmung vieler Deutscher, Franzosen und der Einschätzung im europäischen Ausland. Sie sah darüber hinweg, dass es Hitler gelang, weite Teile der deutschen Bevölkerung für seine Politik einzunehmen und das Ausland zunächst zu beruhigen. Die Olympischen Spiele 1936 in Berlin wären nicht zu einem internationalen Festival des Nazi-Regimes geworden, wenn es auf breite Ablehnung im Deutschen Reich und seitens der bei den Spielen versammelten Welt gestoßen wäre. Heinrich Manns Schriften blendeten dies weitgehend aus. Zudem zog er einen dicken Trennungsstrich zwischen dem deutschen Volk und seinen Verführern, ohne zu erkennen, dass es ihnen allzu bereitwillig folgte. Auch wenn er in den beiden Folgebänden seinen hasserfüllten Ton milderte, hielt er an seinem Ziel fest. Er wollte das europäische Ausland, insbesondere Frankreich, vor den deutschen »Schreckensmännern« warnen und die Wachsamkeit und Solidarität gegen das »Dritte Reich« fördern. Zweitens kam es ihm darauf an, die in der Emigration lebenden Deutschen über weltanschauliche Gräben hinweg zu einen. Beide Ziele erreichte er mit seinen politischen Essays, wenn überhaupt, nur ansatzweise. Sie stießen weder in Frankreich noch im erweiterten europäischen Ausland auf eine breite Resonanz. In den Kreisen der Emigranten fanden sein Mut und seine Unerschrockenheit breite Anerkennung. Erst seit Mitte der Dreißigerjahre, als die Nazis ihr Regime gefestigt hatten, traten Heinrich Manns schlimmste Befürchtungen für alle, die es sehen wollten, ein. Trotzdem scheiterte sein Bemühen, eine Volksfront


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