Anfang und Ziel ist der Mensch. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.
er wieder an. Jedoch wollte er den Kreis nunmehr um alle diejenigen erweitern, die bereit waren, gegen die Hitler-Diktatur ihre Stimme zu erheben. Das Vorhaben scheiterte, weil die Kommunisten einen Führungsanspruch erhoben und sich weigerten, ein Bekenntnis für ein freies republikanisches Nachkriegsdeutschland abzulegen. Heinrich Manns Vermittlungsversuche liefen ins Leere, obwohl er den Kommunisten weit entgegenkam. Er trat für ein enges Einvernehmen mit der Sowjetunion und ihren – seiner Meinung nach – glorreichen Führern Lenin und Stalin ein. Ohne die Sozialistische Sowjetunion könne es keinen Frieden und auch keinen deutschen Volksstaat geben, schrieb er. In seinen Lebenserinnerungen bekräftigte er diese Position und sah in Stalin einen genialen Weltenlenker, und in der Sowjetunion ein Modell der Zukunft für die Welt. Diese Sichtweise irritiert. Dabei bleibt zu bedenken, dass die Welt erst später vom ganzen Ausmaß des stalinistischen Terrors erfuhr.
Neben den Essaybänden beschäftigte ihn die Niederschrift seines Doppelromans Die Jugend des Königs Henri Quatre und Die Vollendung des Königs Henri Quatre. Die Arbeit daran füllte nahezu die ganze Zeit seines Aufenthalts in Frankreich aus. Es entstand ein historisches Epos mit vielen Bezügen zur nationalsozialistischen Diktatur. Es hat Shakespear’sches Format. Im Mittelpunkt der Handlung steht Heinrich IV., der vom König von Navarra zum König von Frankreich während der Zeit der Religionskriege aufstieg. Heinrich Mann diente die historische Vorlage vor allem als Quelle der Inspiration. Er schrieb kein Geschichtswerk, sondern einen Roman, der sich vom Leben dieses sagenumwobenen Königs leiten ließ. Der Kristallisationspunkt der Handlung ist die Bartholomäusnacht im August 1572 in der tausende Protestanten niedergemetzelt wurden. Heinrichs Gefolgsleute hielten sich in Paris auf, um die Hochzeit der Versöhnung Heinrichs, dem Hugenotten, mit der Katholikin Margarete von Valois zu feiern. Sie zahlten mit dem Tod, Heinrich IV. überlebte.
Margarete war die Tochter des bösen Geistes im Louvre, Katharina von Medici, die im Hintergrund die Strippen dieser Bluttat zog. Die Bluttat stellt den zivilisatorischen Tiefpunkt der Religionskriege in Frankreich dar. Nach seiner Flucht aus dem Louvre versuchte Heinrich IV., der inzwischen zum Katholizismus konvertiert war, das Land zu befrieden, was ihm schließlich mit dem Edikt von Nantes 1598 als König von Frankreich gelang. Es garantierte die Gewissens- und Religionsfreiheit. Von der Bartholomäusnacht bis zum Edikt vergingen über 20 Jahre, in deren Mittelpunkt Henris Kampf gegen die immer einflussreicher werdende katholische Liga stand. In ihrer Radikalität und menschenverachtenden Herrschaft entdeckte Heinrich Mann Parallelen zur nationalsozialistischen Diktatur. Mit der Darstellung ihrer Führer und deren Wortwahl verwies er auf ihren gewaltsamen Weg zur Macht. In der Gestalt des Predigers Boucher skizzierte er das Portrait von Joseph Goebbels. Als Kontrast zu den Gewaltmenschen zeichnete er mit Henri einen Herrscher, der seine Macht auf Güte und Ausgleich gründete, der versuchte, in seiner Amtszeit den Menschen ein guter König zu sein. Heinrich Mann schildert seine Entwicklung vom kämpfenden Heerführer zum volksnahen Herrscher, der dafür eintritt, dass seine Untertanen ein auskömmliches Leben in Freiheit führen können. Am Ende des Romans zieht Henri die Bilanz seines Lebens: »Ich habe viel geliebt. Ich habe mich geschlagen und die Worte gefunden, die packen. Französisch ist meine Lieblingssprache: selbst die Fremden möchte ich daran erinnern, dass die Menschheit nicht dazu erschaffen ist, ihren Träumen zu entsagen, die nichts anderes sind als wenig bekannte Realitäten. (…). Das Glück, es gibt es. Erfüllung und Überfluß sind in Reichweite. Und die Völker kann man nicht erdolchen. Habt keine Angst vor den Messern, die man gegen euch aussendet. Ich habe sie nie gefürchtet. Macht es besser als ich. Ich habe zu lange gewartet. Die Revolutionen kommen nie zur rechten Zeit: deshalb muß man sie zu Ende führen, und zwar gewaltsam.«
Im Angesicht des Nationalsozialismus trat Heinrich Mann für einen kämpferischen Humanismus ein, um die Freiheit zu verteidigen. Er war ein Idealist, der spürte, dass in der Stunde der Not die Ideale nicht allein mit Ideen und Worten verteidigt werden können. Im zweiten Teil des Romans heißt es: »Unser König ist kein Künstler, sondern ein Soldat«.
Neubeginn ohne Erfolg
Als die nationalsozialistischen Truppen Paris besetzten, konnten Nelly und Heinrich nicht länger in Frankreich bleiben. Sie flohen über die östlichen Ausläufer der Pyrenäen nach Lissabon und von dort mit dem Schiff nach New York. Nach einem kurzen Aufenthalt bei seinem Bruder Thomas in Princeton zog Heinrich mit seiner Frau nach Los Angeles. Dort versammelten sich – wie einst in Nizza – viele deutsche Migranten. Auch sein Bruder Thomas ließ sich bald darauf in Pacific Palisades nieder, wo er eine geräumige Villa baute, das sogenannte »Weiße Haus«. Ein Jahr erhielt Heinrich eine großzügige Unterstützung von der Filmgesellschaft Warner Brothers. Doch ihm fehlte das Talent, Drehbücher à la Hollywood zu schreiben. So war er fortan darauf angewiesen, von seinen Büchern zu leben. Im amerikanischen Exil gelangen ihm noch drei Romane und sein Memoirenbuch Ein Zeitalter wird besichtigt. Bei den Romanen handelt es sich um Lidice, Der Atem und Empfang bei der Welt. In diesen Arbeiten schlug er einen neuen Ton an. Sein Bruder Thomas sprach von einem »Greisen-Avantgardismus«, ohne genau zu erklären, was er damit meinte. Heinrich jedoch fühlte sich geehrt. Neben der politischen Dimension dieser zum Teil sehr aufwändigen Arbeiten lag es vielleicht auch an dem neuen poetischen – teils extravaganten, teils geheimnisvollen, surrealistischen – Ton, dass es nicht gelang, einen Verlag in den USA dafür zu finden. Mit großen Hoffnungen gestartet, gerieten seine Frau Nelly und er in Not. Nur mit finanzieller Hilfe seines Bruders und anderer Migranten konnte sich das Paar über Wasser halten. Nelly versuchte mit verschiedenen Tätigkeiten ihre schwierige wirtschaftliche Lage zu verbessern. Ihrer labilen Befindlichkeit war dies nicht förderlich. 1944 starb sie beim fünften Versuch, sich das Leben zu nehmen. Heinrich Mann fiel in tiefe Trauer und vereinsamte. Nur noch wenige Freunde besuchten ihn. Lion Feuchtwanger und seine Frau, Ludwig Marcuse und dann und wann der eine oder andere der in Los Angeles lebenden Migranten. Mit seinem Bruder telefonierte er fast täglich. Einmal in der Woche wurde er ins »Weiße Haus« eingeladen. Vor allem das Schreiben gab ihm Halt. Besucher berichteten, dass die ihn im Alltag begleitende Melancholie Heinrich nicht davon abhielt, im Gespräch seinen Witz und Geist aufblitzen zu lassen. Aufmerksam verfolgte er bis zuletzt das Weltgeschehen.
Heinrich Mann verstarb am 11. März 1950 in Santa Monica. Sein Tod kam überraschend, obwohl er seit Längerem krank war. Am Tag zuvor hatte sein Bruder ihn noch gemeinsam mit seiner Frau Katia nachmittags in seiner kleinen Wohnung besucht. Noch lange Musik hörend, verbrachte Heinrich den Abend. Es ging ihm den Umständen entsprechend gut. Spröde vermerkte Thomas zu Heinrichs unerwartetem Ableben in seinem Tagebuch: »Gehirntod, bei noch schwach fortarbeitendem Herzen. K. dort. Das Ableben eine Frage von Stunden. Natürliche Erschütterung ohne Widerstand gegen dies Geschehen, da es nicht zu früh kommt und die gnädigste Lösung ist.« Die Trauerfeier fand in kleinem Kreis statt. Die DDR rühmte ihn als großen deutschen Dichter, Freund des Friedens und der Sowjetunion. Sie förderte sein Werk, benannte Straßen und öffentliche Plätze nach seinem Namen und ehrte sein Gedenken mit einem Heinrich-Mann-Preis, der bis heute jährlich an seinem Geburtstag verliehen wird. Zu den frühen Preisträgern zählten u. a. Stefan Heym, Franz Fühmann und Christa Wolf. Aus der Bonner Republik trafen keine offiziellen Reaktionen ein. Dort galt Heinrich Mann als Kommunist und Stalin-Verehrer. Als Walter Ulbricht bei der Beisetzung seiner Urne – nach diplomatischem Tauziehen kam sie aus Los Angeles nach Berlin – auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof im März 1961 kurz und bündig formulierte: »Heinrich Mann ist unser«, instrumentalisierte er sein Werk. Diese Vereinnahmung trug dazu bei, dass der S. Fischer Verlag erst Mitte der Achtzigerjahre damit begann, es nach und nach in einer Taschenbuchausgabe einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Noch heute haftet Heinrich Mann das Stigma an, ein Parteigänger des Kommunismus gewesen zu sein. Doch er stand auf der Seite der Freiheit. Als er gebeten wurde, ein Vorwort zum Verfassungsentwurf der DDR zu schreiben, notierte er der SED-Führung ins Stammbuch: »wer die ganze Wahrheit wünscht, rechnet mit der Verschiedenheit der Meinungen.«
In dem nachfolgenden »Lesebuch« werden Ausschnitte aus Heinrich Manns Romanen, Novellen und Essays dokumentiert. Sie eröffnen dem Leser die Möglichkeit, seine literarische und zeitkritische Entwicklung nachzuvollziehen. Sie bieten nicht nur Einblicke in das Werk Heinrich Manns, sondern ermöglichen auch, sich in den Menschen Heinrich Mann und seine Zeit hineinzufühlen. Dennoch vermitteln