TEXT + KRITIK 228 - Gabriele Tergit. Группа авторовЧитать онлайн книгу.
Zit. nach Joseph Roth: »Briefe 1911–1939«, hg. von Hermann Kesten, Köln, Berlin 1970, S. 87 f. — 3 Vgl. Kurt Pinthus: »Männliche Literatur«, in: »Das Tage-Buch« 10 (1929), Nr. 1, S. 903–911. — 4 Walter Benjamin: »Einbahnstraße«, in: Ders.: »Gesammelte Schriften«, B. IV.1, Frankfurt/M. 1972, S. 103. — 5 Erhard Schütz: »›Kurfürstendamm‹ oder Berlin als geistiger Kriegsschauplatz. Das Textmuster Berlin in der Weimarer Republik«, in: Klaus Siebenhaar (Hg.): »Poetisches Berlin«, Wiesbaden 1992, S. 163–191. — 6 Christian Jäger / Erhard Schütz (Hg.): »Glänzender Asphalt. Berlin im Feuilleton der Weimarer Republik«, Berlin 1994. — 7 Vgl. Prof. Dr. Kirchberger: »›Das Auge sieht den Himmel offen‹. Das Berliner Planetarium«, in: »Berliner Tageblatt«, 9.11.1926. — 8 Gabriele Tergit: »Viertelstunde Ewigkeit«, in: »Berliner Tageblatt«, 4.8.1931. — 9 Gabriele Tergit: »Heutige Leistungen. Und ein notwendiger Rückblick«, in: »Berliner Tageblatt«, 21.1.1932. Morgenausgabe. — 10 Rolf Lindner: »Berlin – absolute Stadt. Eine kleine Anthropologie der großen Stadt«. Berlin 2016, S. 24. — 11 In: »Atem einer anderen Welt. Berliner Reportagen«, hg. von Jens Brüning, Frankfurt/M. 1994, S. 21–24. — 12 Gabriele Tergit: »Bekenntnis zur Margarine«, in: »Das Tage-Buch«, 4 (1923), H. 39, S. 1370–1371. — 13 Gabriele Tergit: »Gestalten aus dem Femeprozeß« (1927), in: Dies.: »Blüten der Zwanziger Jahre. Gerichtsreportagen und Feuilletons 1923–1933«, hg. von Jens Brüning, Berlin 1984, S. 98. — 14 Gabriele Tergit: »Wer schießt aus Liebe?« (1931), ebd., S. 197. — 15 Gabriele Tergit: »Helden der Straße« (1927), ebd., S. 104, und Gabriele Tergit: »Montag und Donnerstag Überfall« (1927), ebd., S. 103. — 16 Gabriele Tergit: »Der Held im Spiegel« (1925), ebd., S. 93. — 17 Gabriele Tergit: »Freigesprochen« (1932), ebd., S. 115. — 18 Vgl. Alfred Döblin / Gabriele Tergit u. a.: »Die verschlossene Tür. Kriminalrat Koppens seltsamster Fall«, hg. von Erhard Schütz, Berlin 2015. — 19 Gabriele Tergit: »Freigesprochen«, in: Tergit: »Blüten«, a. a. O., S. 120 f. — 20 Vgl. dazu Elizabeth Boa: »Urban Modernity and the Politics of Heimat. Gabriele Tergit’s ›Käsebier erobert den Kurfürstendamm‹«, in: »German Life and Letters«, 72 (2019), H. 1, S. 14–27. — 21 Vgl. dazu Erhard Schütz: »Berlin. Jüdische Heimat um Neunzehnhundert?«, in: »Zeitschrift für Germanistik« NF 7 (1997), H. 1, S. 74–90. — 22 Gabriele Tergit: »Effingers«, mit einem Nachwort von Nicole Henneberg, Frankfurt/M. 2019, S. 847.
Liane Schüller
»Der Menschheit anderer Teil, die Frau« Gabriele Tergit und die Neue Frau in der Weimarer Republik
1 Die Frauenfrage
Gabriele Tergits Reportagen, die in den 1920er und 1930er Jahren im Feuilleton verschiedener Publikationsorgane wie der »Vossischen Zeitung«, dem »Berliner Tageblatt« und der »Weltbühne« erschienen, rekurrieren häufig auf Typisierungen und Spielarten der sogenannten Neuen Frau – immer essayistisch pointiert und oftmals auf die für Tergits Schreiben konstitutive lakonisch-knappe Weise. Ihre Texte durchzieht spürbar der Modus »liebenswürdiger Ironie«, während sie sich von stereotypen Attitüden des Geschlechterkampfs samt forcierter Rhetorik abheben: »(Tergit) kämpft, indem sie für Frauen wirbt, die aber ganz ungeschoren auch nicht bleiben.«1 Später arbeitet die Autorin in literarischer Form verschiedene Aspekte der im öffentlichen Diskurs der Weimarer Republik hochaktuellen Gender-Debatte differenzierter heraus, etwa anhand der unterschiedlichen Frauenfiguren ihres Großstadtromans »Käsebier erobert den Kurfürstendamm« aus dem Jahr 1931.2
Mediale Bilder und literarische Inszenierungen der Neuen Frau der Zwischenkriegszeit und das ihnen zugrunde liegende kulturgeschichtliche Konzept sind in den vergangenen Jahrzehnten im Bereich der Kunst- und Mediengeschichte ikonografisch aufbereitet, kultur- und literaturwissenschaftlich besprochen und häufig ambivalent beurteilt worden. Bereits die öffentlichen Debatten in der Weimarer Republik dokumentieren die oft widersprüchliche Haltung gegenüber dem Phänomen, das sowohl die Wandlungen des Phänotypus als auch sich ändernde Moralvorstellungen fokussierte, tradierte Geschlechterrollen infrage stellte und die Entwicklung der Frauenrolle in Beruf, Haushalt und Ehe als ›neu‹ attribuierte.3 Bereits vor dem Ersten Weltkrieg war »neu« zu einem Leitbegriff avanciert, »der Aufbruch signalisierte und Utopien evozierte«4 und besonders im Zusammenhang mit dem weiblichen Geschlecht und dem Label »Neue Frau« in den folgenden Jahren allenthalben inflationär verwendet wurde.
Der Grundstein für das Herausbilden eines veränderten, selbständigen Frauentypus und der Weg zur Gleichstellung von Frau und Mann war vor allem den Ambitionen der Frauenbewegung um die Jahrhundertwende zu verdanken, die nicht nur das Wahlrecht für Frauen, sondern auch einen verbesserten Zugang zur Bildung zur Folge hatten. Zwar war in »Deutschland (…) die ›Neue Frau‹ (noch) zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht mehr als ein Versprechen, eine Jahrhundertphantasie«;5 der Kampf um soziale Gleichrangigkeit, adäquate Bildungschancen und die Möglichkeit, bis dato den Männern vorbehaltene Berufe auszuüben, war aber unübersehbar in Gang gekommen und positionierte die Frauen auf der Schwelle zwischen Tradition und Moderne.6 Im Jahr 1908 waren Frauen zum Studium zugelassen worden, was eine der »Segnungen der akademischen Bildung« bedeutete,7 die auch Gabriele Tergit nutzte und ihr Studium im Jahre 1925 mit einer Dissertation abschloss. Hatten zunächst viele Frauen, die sich der Gruppe ›neuer Frauen‹ zugehörig fühlten und »das Stadtbild vor allem der Großstadt nach dem Ersten Weltkrieg prägte(n)«,8 noch eine (groß-)bürgerliche Herkunft und somit die materiellen Grundbedingungen, alternative Lebenskonzepte auszuprobieren und sich aktiv an politischer Einflussnahme zu beteiligen, orientierten sich später vor allem Frauen aus der Mittelschicht an dem schönen Schein der dynamisch-modernen Frau, der sich freilich spätestens nach der Weltwirtschaftskrise als Schimäre entpuppte.9 Die wirtschaftlich veränderte Stellung der weiblichen Angestellten im tertiären Sektor der Dienstleistungen10 und das allerorts medial transportierte Bild einer »Hyperfrau«11 dienten nun