TEXT + KRITIK 228 - Gabriele Tergit. Группа авторовЧитать онлайн книгу.
die äußerlich errungenen Freiheiten der Frauen nun auch im Wortsinn zu verinnerlichen: »(…) daß wir mit unseren errungenen Freiheiten innerlich nichts anfangen können, weil es männliche Freiheiten sind (…). Das Weibliche ist nur noch ein Anachronismus oder erst nur eine Verheißung.«12 Die Frauenfrage in der Weimarer Republik blieb durch das »festgelegte ikonographische System (…), das zum Massenphänomen und Leitbild der Bildmedien werden sollte«,13 ein zentrales Thema im öffentlichen Diskurs und immer wieder auch bei Gabriele Tergit.
Als soziopolitische Kategorie war die Neue Frau innerhalb eines Jahrzehnts massiven Modifikationen unterworfen. Nicht zuletzt durch Typisierungen wie »Girl«, »Garçonne« und »Flapper«,14 von denen vor allem die letzte Gruppe sich als »explizit apolitisch gerierte«,15 fand ein zunehmender Transfer auf Oberflächenphänomene statt. Die beiden vorherrschenden Bildwelten der Magazine und des Films konstituierten und variierten zeitgenössisch aktuelle Konzepte der Neuen Frau und prägten die Repräsentationen von Weiblichkeit und ihr visuelles Framing.16 Dabei überlagerten sich verschiedene Diskurse und deren soziale Realität unter den besonderen historischen Bedingungen der Weimarer Republik: die Neue Frau und die Geschlechterproblematik, die Angestelltenkultur, die Strömung der Neuen Sachlichkeit und die Medien. Die »lebensweltliche Umwälzung (ließ) dabei wenig aus, was bisher Bestand hatte«.17 Und die Literatur – zumal von Autorinnen der Weimarer Republik, die als »Vivisekteure der Zeit«18 den Forderungen neusachlicher Programmatik folgten – erwies sich einmal mehr als Reflex auf gesellschaftliche Prozesse und als ein Medium, »in dem das Leben sich selbst zu erkennen versucht«,19 wenn sie Frauenfiguren abbildete, die wie die »ersten It-Girls« zwischen zwei Polen, nämlich »der aktiven Selbstgestaltung als Funktionselement von Gesellschaft und dem hedonistischen Selbstbezug«, angesiedelt waren.20
Die kosmopolitische und selbstbewusste Neue Frau wurde in der diffusen Atmosphäre der 1920er Jahre zur ambivalenten (Identifikations-)Figur mit großer Strahlkraft. Sie war durch die Ambivalenz von Wünschen und Normen, Selbstverwirklichung und Grenzerfahrung markiert und geriet zur Chiffre für die Idee der intellektuellen, kulturellen und gesellschaftlichen Gleichberechtigung. Aber nicht nur die Bemühungen zur Gleichstellung von Frau und Mann mündeten in einer Sackgasse; auch die Wirkmächtigkeit und der mediale Glanz der heterogenen (modischen) Varianten des Konzepts ›Neue Frau‹ als konsumorientiertem Kulturwesen begann mit der Weltwirtschaftskrise 1929 langsam zu verebben und wurde durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten von einem rückwärtsgewandten Frauenbild abgelöst.21
2 Herausforderung der Moderne – Typologien der Neuen Frau bei Gabriele Tergit
Tergit schreibt in ihren Reportagen und Prosatexten über junge und alte Frauen, über Berufstätige und Hausfrauen, über Grandes Dames, Reinigungskräfte und Stars. Verschiedene Aspekte des zeitgenössischen Diskurses um die Neue Frau grundieren dieses Spektrum. Tergits Texte spiegeln immer die gesellschaftlichen Verhältnisse, streifen verschiedene soziale Milieus und thematisieren tagesaktuelle politische und kulturelle Begebenheiten sowie zeittypische Phänomene: Arbeit in der Großstadt, Präsenz und Einfluss populärer Massenkultur, soziale Missstände, Arbeitslosigkeit und Machtverhältnisse.
Dabei repräsentiert Tergit selbst den neuen Typus von Schriftstellerinnen, der, so Erika Mann, neben Beiträgen für Zeitschriften auch Prosatexte veröffentlicht, die häufig besonders Frauen adressieren.22 Dass sich die Autorin hierbei immer wieder – dies sei nebenbei bemerkt – in der gemeinhin als feminin geltenden ›Kleinen Form‹ des Feuilletons auch über Geschlechterkonstellationen ausließ, ist bemerkenswert und doppelbödig, da sie sich vor allem mit ihren Gerichtsreportagen in einer deutlich durch männliche Autorschaft geprägten Tradition befand.23 Wohlwissend hatte Tergit ihre frühen Arbeiten auch aus diesem Grund unter männlichem Pseudonym verfasst.24 Als promovierte Historikerin verfügte sie »über keinerlei rechtswissenschaftliche Vorkenntnis«.25 Auch zeichnen ihre Gerichtsreportagen zu aktuellen Prozessen und Urteilen keine Emanzipationsgeschichten nach, sondern dokumentieren vor allem ihr poetologisches Programm, die sozialen Zusammenhänge einer Epoche zu diagnostizieren,26 die sich beispielsweise in den populären Debatten um den § 218 zeigten.27 In vielen ihrer Texte kontrastiert die Autorin Facetten des neuen Frauenbilds mit den Vorstellungen älterer Generationen, etwa in ihrem 1928 im »Berliner Tageblatt« veröffentlichten Beitrag »Kleine Diskussion«, in dem sie die Differenzen zwischen der »alten« Generation der Frauen der Jahrhundertwende, »die uns unsere Freiheit verschafften, von dieser Freiheit (aber) selber noch nicht ergriffen sind«, und der neuesten Generation, »der alles selbstverständlich geworden ist«, aufgreift.28 Sie fasst zusammen, was bis dato erreicht worden ist – »die Möglichkeit zu materieller Unabhängigkeit, zur Bildung, und die Ausdehnung des männlichen Sittengesetzes auf uns«29 –, und kommt zu dem appellhaften Schluss, dass nicht allein gesetzliche Regelungen den Umgang der Geschlechter in Hinblick auf Moral, Liebesleben und Privilegien regeln könnten, sondern – hier argumentiert sie ähnlich wie Rühle-Gerstel – gemeinsam daran gearbeitet werden müsse, »die ganze erkämpfte Freiheit und materielle Unabhängigkeit innerhalb und außerhalb der Ehe« zu manifestieren.30 So regt sie, wie auch in ihrem Text »Die Frauen-Tribüne«,31 zum Diskurs zwischen den Generationen an, während sie etwa in ihrer Reportage über »Anspruchsvolle Mädchen« den Fokus auf das Phänotypische, das »make up«, als den schwierigen Lebensumständen geschuldetes ökonomisches Verwertungsprinzip identifiziert:32 »Das neue Mädchen, die junge Frau von heute, ist in unsicheren Zeiten aufgewachsen, in Zeiten, in denen das Notwendigste in Frage gestellt wurde. Sie kennt das Leben, und sie ist bereit, jeden Tag zu arbeiten (…) sie muß und will nett aussehen. Das Hübschaussehen, das ›make-up‹ (…) ist ja keine Sache der Koketterie mehr, geschieht nicht, um einen reichen Mann zu finden, wie in früheren Zeiten, sondern seidene Strümpfe und gewellte Haare sind Waffen im Lebenskampf geworden.«33 Darüber hinaus stellt die Autorin die Mehrfachbelastung der Frauen als signifikanten Teil des vielschichtigen, zwischen Wunsch und Wirklichkeit changierenden Konzepts der Neuen Frau dar: »(…) manche (Frau) unterstützt daheim eine alte Mutter und die Familie des arbeitslosen Bruders«.34 Und ihr Artikel über den Club der Soroptimisten, dem sie zeitweise angehörte, skizziert Frauen als überaus wandlungs- und anpassungsfähig und endet mit den lapidaren Worten: »Die Männer sind die gleichen geblieben, haben Konflikte, Gefahren und Ängste und Arbeit, sie legen Grundsteine, eröffnen Ausstellungen, machen Transaktionen, Pleite und gewaltige Erfindungen, geändert hat sich überall in den Ländern der Menschheit anderer Teil, die Frau.«35
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