Italienische Reise. Johann Wolfgang GoetheЧитать онлайн книгу.
Wir geben unser Bestes schwarz auf weiß: jeder kauzt sich damit in eine Ecke und knopert daran, wie er kann.
Es lässt sich denken, dass Palladio auch diesmal an allen Orten und Enden war, es mochte von Erfinden oder Nachahmen die Rede sein. Zuletzt, wo immer das Scherzhafteste gefordert wird, hatte einer den glücklichen Einfall, zu sagen, die andern hätten ihm den Palladio weggenommen, er wolle dagegen den Franceschini loben, den großen Seidenfabrikanten. Nun fing er an zu zeigen, was die Nachahmung der Lyoner und Florentiner Stoffe diesem tüchtigen Unternehmer und durch ihn der Stadt Vicenza für Vorteil gebracht habe, woraus erfolge, dass die Nachahmung weit über die Erfindung erhaben sei. Und dies geschah mit so gutem Humor, dass ein ununterbrochenes Gelächter erregt ward. Überhaupt fanden die, welche für die Nachahmung sprachen, mehr Beifall; denn sie sagten lauter Dinge, wie sie der Haufen denkt und denken kann. Einmal gab das Publikum mit großem Händeklatschen einem recht groben Sophism seinen herzlichen Beifall, da es viele gute, ja treffliche Sachen zu Ehren der Erfindung nicht gefühlt hatte. Es freut mich sehr, auch dieses erlebt zu haben, und dann ist es höchst erquickend, den Palladio nach so viel Zeit immer, noch als Polarstern und Musterbild von seinen Mitbürgern verehrt zu sehen.
Den 22. September.
Heute früh war ich in Tiene, das nordwärts gegen die Gebirge liegt, wo ein neu Gebäude nach einem alten Risse aufgeführt wird, wobei wenig zu erinnern sein möchte. So ehrt man hier alles aus der guten Zeit und hat Sinn genug, nach einem geerbten Plan ein frisches Gebäude aufzuführen. Das Schloss liegt ganz trefflich in einer großen Plaine, die Kalkalpen ohne Zwischengebirg hinter sich. Vom Gebäude her neben der schnurgeraden Chaussee fließt zu beiden Seiten lebendiges Wasser dem Kommenden entgegen und wässert die weiten Reisfelder, durch die man fährt.
Ich habe nun erst die zwei italienischen Städte gesehen und mit wenig Menschen gesprochen, aber ich kenne meine Italiener schon gut. Sie sind wie Hofleute, die sich fürs erste Volk in der Welt halten und bei gewissen Vorteilen, die man ihnen nicht leugnen kann, sich’s ungestraft und bequem einbilden können. Mir erscheinen die Italiener als eine recht gute Nation: man muss nur die Kinder und die gemeinen Leute sehen, wie ich sie jetzt sehe und sehen kann, da ich ihnen immer ausgesetzt bin und mich ihnen immer aussetze. Und was das für Figuren und Gesichter sind!
Besonders muss ich die Vicentiner loben, dass man bei ihnen die Vorrechte einer großen Stadt genießt. Sie sehen einen nicht an, man mag machen, was man will; wendet man sich jedoch an sie, dann sind sie gesprächig und anmutig, besonders wollen mir die Frauen sehr gefallen. Die Veroneserinnen will ich nicht schelten, sie haben eine gute Bildung und entschiedene Profile; aber meistens bleich, und der Zendal tut ihnen Schaden, weil man unter der schönen Tracht auch etwas Reizendes sucht. Hier aber finde ich gar hübsche Wesen, besonders eine schwarzlockige Sorte, die mir ein eigenes Interesse einflößt. Es gibt auch noch eine blonde, die mir aber nicht so behagen will.
Padua, den 26. September, abends.
In vier Stunden bin ich heute von Vicenza herübergefahren, auf ein einsitziges Chaischen, Sediola genannt, mit meiner ganzen Existenz gepackt. Man fährt sonst bequem in vierthalb Stunden; da ich aber den köstlichen Tag gern unter freiem Himmel genießen wollte, so war es mir angenehm, dass der Vetturin hinter seiner Schuldigkeit zurückblieb. Man fährt in der fruchtbarsten Ebene immer südostwärts, zwischen Hecken und Bäumen, ohne weitere Aussicht, bis man endlich die schönen Gebirge, von Norden gegen Süden streichend, zur rechten Hand sieht. Die Fülle der Pflanzen- und Fruchtgehänge über Mauern und Hecken, an Bäumen herunter, ist unbeschreiblich. Kürbisse beschweren die Dächer, und die wunderlichsten Gurken hängen an Latten und Spalieren.
Die herrliche Lage der Stadt konnte ich vom Observatorium aufs Klärste überschauen. Gegen Norden Tiroler Gebirge, beschneit, in Wolken halb versteckt, an die sich in Nordwest die vicentinischen anschließen, endlich gegen Westen die näheren Gebirge von Este, deren Gestalten und Vertiefungen man deutlich sehen kann. Gegen Südost ein grünes Pflanzenmeer, ohne eine Spur von Erhöhung, Baum an Baum, Busch an Busch, Pflanzung an Pflanzung, unzählige weiße Häuser, Villen und Kirchen aus dem Grünen hervorblickend. Am Horizont sah ich ganz deutlich den Markusturm zu Venedig und andere geringere Türme.
Padua, den 27. September.
Endlich habe ich die Werke des Palladio erlangt, zwar nicht die Originalausgabe, die ich in Vicenza gesehen, deren Tafeln in Holz geschnitten sind, aber eine genaue Kopie, ja ein Faksimile in Kupfer, veranstaltet durch einen vortrefflichen Mann, den ehemaligen englischen Konsul Smith in Venedig. Das muss man den Engländern lassen, dass sie von lange her das Gute zu schätzen wussten, und dass sie eine grandiose Art haben, es zu verbreiten.
Bei Gelegenheit dieses Ankaufs betrat ich einen Buchladen, der in Italien ein ganz eigenes Ansehen hat. Alle Bücher stehen geheftet umher, und man findet den ganzen Tag über gute Gesellschaft. Was von Weltgeistlichen, Edelleuten, Künstlern einigermaßen mit der Literatur verwandt ist, geht hier auf und ab. Man verlangt ein Buch, schlägt nach, liest und unterhält sich, wie es kommen will. So fand ich etwa ein halb Dutzend beisammen, welche sämtlich, als ich nach den Werken des Palladio fragte, auf mich aufmerksam wurden. Indes der Herr des Ladens das Buch suchte, rühmten sie es und gaben mir Notiz von dem Originale und der Kopie, sie waren mit dem Werke selbst und dem Verdienst des Verfassers sehr wohl bekannt. Da sie mich für einen Architekten hielten, lobten sie mich, dass ich vor allen andern zu den Studien dieses Meisters schritte, er leiste zu Gebrauch und Anwendung mehr als Vitruv selbst, denn er habe die Alten und das Altertum gründlich studiert und es unsern Bedürfnissen näherzuführen gesucht. Ich unterhielt mich lange mit diesen freundlichen Männern, erfuhr noch einiges, die Denkwürdigkeiten der Stadt betreffend, und empfahl mich.
Da man denn doch einmal den Heiligen Kirchen gebaut hat, so findet sich auch wohl darin ein Platz, wo man vernünftige Menschen aufstellen kann. Die Büste des Kardinals Bembo steht zwischen ionischen Säulen, ein schönes, wenn ich so sagen soll, mit Gewalt in sich gezogenes Gesicht und ein mächtiger Bart; die Inschrift lautet:
Petri Bembi Card. imaginem Hier. Guerinus Ismeni f. in publico ponendam curavit ut cujus ingenii monumenta aeterna sint ejus corporis quoque memoria ne a posteritate desideretur.
Das Universitätsgebäude hat mich mit aller seiner Würde erschreckt. Es ist mir lieb, dass ich darin nichts zu lernen hatte. Eine solche Schulenge denkt man sich nicht, ob man gleich als Studiosus deutscher Akademien auf den Hörbänken auch manches leiden müssen. Besonders ist das anatomische Theater ein Muster, wie man Schüler zusammenpressen soll. In einem spitzen, hohen Trichter sind die Zuhörer übereinander geschichtet. Sie sehen steil herunter auf den engen Boden, wo der Tisch steht, auf den kein Licht fällt, deshalb der Lehrer bei Lampenschein demonstrieren muss. Der botanische Garten ist desto artiger und munterer. Es können viele Pflanzen auch den Winter im Lande bleiben, wenn sie an Mauern oder nicht weit davon gesetzt sind. Man überbaut alsdann das Ganze zu Ende des Oktobers und heizt die wenigen Monate. Es ist erfreuend und belehrend, unter einer Vegetation umherzugehen, die uns fremd ist. Bei gewohnten Pflanzen sowie bei andern längst bekannten Gegenständen denken wir zuletzt gar nichts, und was ist Beschauen ohne Denken? Hier in dieser neu mir entgegentretenden Mannigfaltigkeit wird jener Gedanke immer lebendiger, dass man sich alle Pflanzengestalten vielleicht aus einer entwickeln könne. Hiedurch würde es allein möglich werden, Geschlechter und Arten wahrhaft zu bestimmen, welches, wie mich dünkt, bisher sehr willkürlich geschieht. Auf diesem Punkte bin ich in meiner botanischen Philosophie steckengeblieben, und ich sehe noch nicht, wie ich mich entwirren will. Die Tiefe und Breite dieses Geschäfts scheint mir völlig gleich.
Der große Platz, Prato della Valle genannt, ist ein sehr weiter Raum, wo der Hauptmarkt im Juni gehalten wird. Hölzerne Buden in seiner Mitte geben freilich nicht das vorteilhafteste Ansehn, die Einwohner aber versichern, dass man auch bald hier eine Fiera von Stein wie die zu Verona sehen werde. Hiezu gibt freilich schon jetzt die Umgebung des Platzes gegründete Hoffnung, welche einen sehr schönen und bedeutenden Anblick gewährt.
Ein ungeheures Oval ist ringsum mit Statuen besetzt, alle berühmten Männer vorstellend, welche hier gelehrt und gelernt haben. Einem jeden Einheimischen und Fremden ist erlaubt, irgendeinem Landsmann oder Verwandten hier eine Bildsäule von bestimmter Größe zu errichten, sobald das Verdienst