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Italienische Reise. Johann Wolfgang GoetheЧитать онлайн книгу.

Italienische Reise - Johann Wolfgang Goethe


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ein Wassergraben. Auf den vier Brücken, die hinaufführen, stehen Päpste und Dogen kolossal, die übrigen, kleiner, sind von Zünften, Partikuliers und Fremden gesetzt. Der König von Schweden ließ Gustav Adolfen hinstellen, weil man sagt, derselbe habe einmal in Padua eine Lektion angehört. Der Erzherzog Leopold erneuerte das Andenken Petrarchs und Galileis. Die Statuen sind in einer braven modernen Manier gemacht, wenige übermanieriert, einige recht natürlich, sämtlich im Kostüm ihrer Zeit und Würden. Die Inschriften sind auch zu loben. Es findet sich nichts Abgeschmacktes und Kleinliches darunter.

      Auf jeder Universität wäre der Gedanke sehr glücklich gewesen, auf dieser ist er am glücklichsten, weil es sehr wohltut, eine völlige Vergangenheit wieder hervorgerufen zu sehen. Es kann ein recht schöner Platz werden, wenn sie die hölzerne Fiera wegschaffen und eine von Stein erbauen, wie der Plan sein soll.

      In dem Versammlungsorte einer dem heiligen Antonius gewidmeten Brüderschaft sind ältere Bilder, welche an die alten Deutschen erinnern, dabei auch einige von Tizian, wo schon der große Fortschritt merklich ist, den über den Alpen niemand für sich getan hat. Gleich darauf sah ich einiges von den neusten. Diese Künstler haben, da sie das hohe Ernste nicht mehr erreichen konnten, das Humoristische sehr glücklich getroffen. Die Enthauptung Johannes’, von Piazetta, ist, wenn man des Meisters Manier zugibt, in diesem Sinne ein recht braves Bild. Johannes kniet, die Hände vor sich hinfaltend, mit dem rechten Knie an einen Stein. Er sieht gen Himmel. Ein Kriegsknecht, der ihn hinten gebunden hält, biegt sich an der Seite herum und sieht ihm ins Gesicht, als wenn er über die Gelassenheit erstaunte, womit der Mann sich hingibt. In der Höhe steht ein anderer, der den Streich vollführen soll, hat aber das Schwert nicht, sondern macht nur mit den Händen die Gebärde, wie einer, der den Streich zum Voraus versuchen will. Das Schwert zieht unten ein dritter aus der Scheide. Der Gedanke ist glücklich, wenn auch nicht groß, die Komposition frappant und von der besten Wirkung.

      In der Kirche der Eremitaner habe ich Gemälde von Mantegna gesehen, einem der älteren Maler, vor denen ich erstaunt bin. Was in diesen Bildern für eine scharfe, sichere Gegenwart dasteht! Von dieser ganz wahren, nicht etwa scheinbaren, effektlügenden, bloß zur Einbildungskraft sprechenden, sondern derben, reinen, lichten, ausführlichen, gewissenhaften, zarten, umschriebenen Gegenwart, die zugleich etwas Strenges, Emsiges, Mühsames hatte, gingen die folgenden Maler aus, wie ich an Bildern von Tizian bemerkte, und nun konnte die Lebhaftigkeit ihres Genies, die Energie ihrer Natur, erleuchtet von dem Geiste ihrer Vorfahren, auferbaut durch ihre Kraft, immer höher und höher steigen, sich von der Erde heben und himmlische, aber wahre Gestalten hervorbringen. So entwickelte sich die Kunst nach der barbarischen Zeit.

      Der Audienzsaal des Rathauses, mit Recht durch das Augmentativum Salone betitelt, das ungeheuerste abgeschlossene Gefäß, das man sich nicht vorstellen, auch nicht einmal in der nächsten Erinnerung zurückrufen kann. Dreihundert Fuß lang, hundert Fuß breit und bis in das der Länge nach ihn deckende Gewölbe hundert Fuß hoch. So gewohnt sind diese Menschen, im Freien zu leben, dass die Baumeister einen Marktplatz zu überwölben fanden. Und es ist keine Frage, dass der ungeheure überwölbte Raum eine eigene Empfindung gibt. Es ist ein abgeschlossenes Unendliches, dem Menschen analoger als der Sternhimmel. Dieser reißt uns aus uns selbst hinaus, jener drängt uns auf die gelindeste Weise in uns selbst zurück.

      So verweil ich auch gern in der Kirche der heiligen Justine. Diese vierhundertfünfundachtzig Fuß lang, verhältnismäßig hoch und breit, groß und einfach gebaut. Heut Abend setzt ich mich in einen Winkel und hatte meine stille Betrachtung; da fühlt ich mich recht allein, denn kein Mensch in der Welt, der in dem Augenblick an mich gedacht hätte, würde mich hier gesucht haben.

      Nun wäre auch hier wieder einmal eingepackt, morgen früh geht es zu Wasser auf der Brenta fort. Heute hat’s geregnet, nun ist’s wieder ausgehellt, und ich hoffe, die Lagunen und die dem Meer vermählte Herrscherin bei schöner Tageszeit zu erblicken und aus ihrem Schoß meine Freunde zu begrüßen.

      Venedig

      So stand es denn im Buche des Schicksals auf meinem Blatte geschrieben, dass ich 1786 den achtundzwanzigsten September, abends, nach unserer Uhr um fünfe, Venedig zum erstenmal, aus der Brenta in die Lagunen einfahrend, erblicken und bald darauf diese wunderbare Inselstadt, diese Biberrepublik betreten und besuchen sollte. So ist denn auch, Gott sei Dank, Venedig mir kein bloßes Wort mehr, kein hohler Name, der mich so oft, mich, den Todfeind von Wortschällen, geängstiget hat.

      Als die erste Gondel an das Schiff anfuhr (es geschieht, um Passagiere, welche Eil haben, geschwinder nach Venedig zu bringen), erinnerte ich mich eines frühen Kinderspielzeuges, an das ich vielleicht seit zwanzig Jahren nicht mehr gedacht hatte. Mein Vater besaß ein schönes mitgebrachtes Gondelmodell; er hielt es sehr wert, und mir ward es hoch angerechnet, wenn ich einmal damit spielen durfte. Die ersten Schnäbel von blankem Eisenblech, die schwarzen Gondelkäfige, alles grüßte mich wie eine alte Bekanntschaft, ich genoss einen langentbehrten freundlichen Jugendeindruck.

      Ich bin gut logiert in der »Königin von England«, nicht weit vom Markusplatze, und dies ist der größte Vorzug des Quartiers; meine Fenster gehen auf einen schmalen Kanal zwischen hohen Häusern, gleich unter mir eine einbogige Brücke und gegenüber ein schmales, belebtes Gässchen. So wohne ich, und so werde ich eine Zeitlang bleiben, bis mein Paket für Deutschland fertig ist, und bis ich mich am Bilde dieser Stadt satt gesehen habe. Die Einsamkeit, nach der ich oft so sehnsuchtsvoll geseufzt, kann ich nun recht genießen; denn nirgends fühlt man sich einsamer als im Gewimmel, wo man sich allen ganz unbekannt durchdrängt. In Venedig kennt mich vielleicht nur ein Mensch, und der wird mir nicht gleich begegnen.

      Venedig, den 28. September 1786.

      Wie es mir von Padua hierher gegangen, nur mit wenig Worten: Die Fahrt auf der Brenta, mit dem öffentlichen Schiffe in gesitteter Gesellschaft, da die Italiener sich vor einander in Acht nehmen, ist anständig und angenehm. Die Ufer sind mit Gärten und Lusthäusern geschmückt, kleine Ortschaften treten bis ans Wasser, teilweise geht die belebte Landstraße daran hin. Da man schleusenweis den Fluss hinabsteigt, gibt es öfters einen kleinen Aufhalt, den man benutzen kann, sich auf dem Lande umzusehen und die reichlich angebotenen Früchte zu genießen. Nun steigt man wieder ein und bewegt sich durch eine bewegte Welt voll Fruchtbarkeit und Leben.

      Zu so viel abwechselnden Bildern und Gestalten gesellte sich noch eine Erscheinung, die, obgleich aus Deutschland abstammend, doch hier ganz eigentlich an ihrem Platze war, zwei Pilger nämlich, die ersten, die ich in der Nähe sah. Sie haben das Recht, mit dieser öffentlichen Gelegenheit umsonst weitergebracht zu werden; allein weil die übrige Gesellschaft ihre Nähe scheut, so sitzen sie nicht mit in dem bedeckten Raume, sondern hinten bei dem Steuermann. Als eine in der gegenwärtigen Zeit seltene Erscheinung wurden sie angestaunt und, weil früher unter dieser Hülle manch Gesindel umhertrieb, wenig geachtet. Als ich vernahm, dass es Deutsche seien, keiner andern Sprache mächtig, gesellte ich mich zu ihnen und vernahm, dass sie aus dem Paderbornischen herstammten. Beides waren Männer schon über funfzig, von dunkler, aber gutmütiger Physiognomie. Sie hatten vor allem das Grab der heiligen drei Könige zu Köln besucht, waren sodann durch Deutschland gezogen und nun auf dem Wege, zusammen bis Rom und sodann ins obere Italien zurückzugehen, da denn der eine wieder nach Westfalen zu wandern, der andere aber noch den heiligen Jakob zu Compostell zu verehren gedachte.

      Ihre Kleidung war die bekannte, doch sahen sie aufgeschürzt viel besser aus, als wir sie in langen Taffetkleidern auf unsern Redouten vorzustellen pflegen. Der große Kragen, der runde Hut, der Stab und die Muschel als das unschuldigste Trinkgeschirr, alles hatte seine Bedeutung seinen unmittelbaren Nutzen, die Blechkapsel enthielt ihre Pässe. Das Merkwürdigste aber waren ihre kleinen rotsaffianen Brieftaschen; in diesen befand sich alles kleine Geräte, was nur irgendeinem einfachen Bedürfnis abzuhelfen geeignet sein mochte. Sie hatten dieselben hervorgezogen, indem sie an ihren Kleidern etwas zu flicken fanden.

      Der Steuermann, höchst zufrieden, dass er einen Dolmetscher fand, ließ mich verschiedene Fragen an sie tun; dadurch vernahm ich manches von ihren Ansichten, besonders aber von ihrer Reise. Sie beklagten sich bitterlich über ihre Glaubensgenossen, ja Weltpriester und Klostergeistliche. Die Frömmigkeit, sagten sie, müsse eine sehr seltene Sache sein, weil man an die ihrige nirgends


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