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20.000 Meilen unterm Meer. Jules VerneЧитать онлайн книгу.

20.000 Meilen unterm Meer - Jules Verne


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Nacht, die wir mit dem Tode zu ringen hatten.

      „Meiner Seel, ich möchte gerne schlafen“, sagte Conseil.

      „Und ich schlafe schon!“ grunzte Ned-Land.

      Meine beiden Gefährten streckten sich auf die Matte der Kabine und sanken bald in tiefen Schlummer.

      Ich aber vermochte nicht so leicht Schlaf zu finden. Zu viele Gedanken wirbelten in meinem Kopf, zu viele unlösbare Fragen drängten sich. Wo befanden wir uns? Welche seltsame Macht hatte uns gefangen? Ich fühlte — oder vielmehr glaubte es — wie das Fahrzeug zum tiefsten Meeresgrund hinabsank. Es befiel mich eine arge Beklemmung. Endlich ward mein Gehirn ruhig, meine Gedanken gingen über in Schlaftrunkenheit, ich versank in einen düsteren, aber tiefen Schlaf.

      Wie lange dieser Schlaf gedauert haben mochte? Zweifellos recht lange, da er uns von unseren Strapazen völlig wiederherstellte. Ich wachte zuerst auf. Meine Gefährten rührten sich noch nicht und lagen wie Säcke regungslos da.

      Voller Freude fühlte ich meinen Kopf frei, meinen Geist klar. Ich besah mir unsere Zelle . . .

      Und doch hatte sich nichts geändert. Der Kerker war noch Kerker und die Gefangenen noch in Haft. Der Steward hatte nur während unseres Schlafes die Tafel abgedeckt. Eine baldige Änderung unserer Lage war durch nichts angezeigt, und ich fragte mich ernstlich, ob es unser Los sein werde, ewig in diesem Käfig zu leben.

      Ned und Conseil erwachten. Sie rieben sich die Augen, streckten die Arme und waren in einem Augenblick auf den Beinen.

      „Mein Herr hat gut geschlafen?“ fragte mich Conseil mit gewohnter Höflichkeit.

      „Sehr gut, mein Lieber. Und Sie, Meister Ned-Land?“

      „Tief, Herr Professor.“ Und er begann zu schnuppern. „Irre ich nicht, so atme ich Seeluft. Na, da hätten wir die Erklärung für das zischende Brausen, das wir hörten, als der vermeintliche Narwal dem ‚Abraham Lincoln’ in Sicht kam. Aber Herr Arronax, ich habe keine Ahnung, wieviel Uhr es ist, außer daß es höchste Zeit für ein Mittagessen wäre . . .“

      „Mittagessen, Ned? Sagen Sie wenigstens Frühstück, denn wir haben offenbar den folgenden Tag von gestern.“

      „Also haben wir volle vierundzwanzig Stunden geschlafen.“ Conseil war sachlich wie immer.

      „Das glaube ich“, lachte ich.

      Ned-Land geriet vor Hunger immer mehr in Zorn, und ich befürchtete trotz seines Versprechens eine Explosion, falls ihm ein Mann von den Leuten an Bord in den Wurf käme.

      Noch zwei Stunden lang steigerte sich Ned-Lands Zorn. Der Kanadier rief, schrie, aber vergebens. Die blechernen Wände waren taub. Es war, als sei das Fahrzeug ausgestorben. Es lag unbeweglich, keine zitternde Bewegung der Schraube war zu spüren. Hatte man es in die Tiefe versenkt? Das düstere Schweigen um uns war erschreckend.

      Da ließ sich von außen ein Geräusch vernehmen. Fußtritte hallten auf dem metallenen Boden. Die Riegel wurden weggeschoben, die Pforte öffnete sich, der Steward trat ein.

      Bevor ich mich nur regen konnte, um ihn zurückzuhalten, war der Kanadier über den Unglücklichen hergefallen, hatte ihn zu Boden geworfen und faßte ihn bei der Kehle. Der Steward drohte zu ersticken.

      Conseil war bereits bemüht, das halb erwürgte Opfer den Händen des Harpuniers zu entreißen, und ich war im Begriff, ihm dabei zu helfen, als mich plötzlich eine französische Anrede an meinen Platz bannte:

      „Beruhigen Sie sich, Meister Land, und Sie, Herr Professor, wollen mich anhören!“

      Es war der Kommandant an Bord, der dies sprach.

      Ned-Land sprang auf. Der Steward verließ auf einen Wink seines Herrn wankend die Zelle; aber — so zauberhaft wirkte der Wink des Kommandanten — nicht eine Gebärde verriet den Groll, den dieser Mensch gegen den Kanadier tragen mußte. Schweigend harrten wir auf das Weitere.

      Der Kommandant, an eine Ecke des Tisches gelehnt, die Arme gekreuzt, beobachtete uns mit gespannter Achtsamkeit. Man konnte meinen, er bereute die soeben gesprochenen Worte.

      Nach einer kleinen Pause sprach er mit ruhigem, eindringlichem Ton in die bange Stille:

      „Meine Herren, ich spreche Französisch, Englisch, Deutsch und Latein. Ich hätte Ihnen also gleich bei unserer ersten Zusammenkunft antworten können, aber ich wollte Sie erst kennenlernen. Ihr vierfacher, übereinstimmender Bericht hat mich auch über Ihre Persönlichkeit aufgeklärt. Ich weiß nun genau, wen der Zufall des Schicksals zu mir geführt hat.“ Und er nannte unsere Namen.

      Ich verneigte mich stumm. Da mir keine Frage gestellt war, konnte ich nichts antworten.

      Der Mann sprach leicht, ohne Pathos. Seine Sätze waren klar, seine Ausdrücke richtig. Und dennoch fühlte ich, daß er nicht mein Landsmann war.

      Er fuhr folgendermaßen fort:

      „Es ist Ihnen gewiß aufgefallen, daß ich so lange mit meinem zweiten Besuch gezögert habe. Allein ich wollte reiflich erwägen, welche Maßnahmen ich Ihnen gegenüber zu ergreifen hätte. Ich habe lange geschwankt. Sehr bedauerliche Umstände haben Sie in die Nähe eines Mannes gebracht, der mit der Menschheit gebrochen hat. Sie stören durch Ihre Anwesenheit meine Existenz . . .“

      „Ohne es zu wollen“, warf ich ein.

      „Ohne zu wollen?“ der Unbekannte hob seine Stimme. „Verfolgt mich der ‚Abraham Lincoln’ wider Willen auf allen Meeren? Haben Sie sich wider Willen an Bord dieser Fregatte eingefunden? Sind Ihre Kugeln wider Willen gegen mein Schiff abgeschossen worden? Hat mich Meister Ned-Land wider Willen mit seiner Harpune zu treffen versucht?“

      Er sprach immer gereizter. Doch ich hatte auf alle diese Beschuldigungen eine ganz natürliche Antwort zu geben und gab sie.

      „Mein Herr“, begann ich, „Sie wissen ohne Zweifel nicht, was in Amerika und Europa über Sie geredet worden ist. Sie wissen nicht, daß verschiedene Unfälle, die sich durch einen Stoß Ihres unterseeischen Fahrzeuges ereigneten, die öffentliche Meinung auf beiden Kontinenten außerordentlich aufgeregt haben. Ich verschone Sie mit den zahllosen Hypothesen, mit denen man die unerklärliche Erscheinung, deren Geheimnis einzig in Ihrer Hand lag, zu erklären suchte. Aber wissen Sie, daß wir bei der Verfolgung meinten, ein starkes Seeungeheuer zu jagen, von dem der Ozean um jeden Preis befreit werden müsse.“

      Ein verhaltenes Lächeln auf den Lippen, fuhr der Kommandant in ruhigerem Tone fort:

      „Herr Arronax, Sie werden wohl nicht zu behaupten wagen, daß Ihre Fregatte nicht ebenso ein unterseeisches Boot verfolgt und kanoniert hätte, wie ein Ungeheuer?“

      Diese Frage brachte mich in Verlegenheit, denn gewiß hätte Kommandant Farragut nicht das leiseste Bedenken gehabt, es zu tun. Er hätte es geradezu für seine Pflicht gehalten, ein solches Fahrzeug ebenso wie einen Riesen-Narwal zu vernichten.

      „Sie müssen also verstehen, daß ich Sie als Feinde zu behandeln durchaus berechtigt bin.“

      Ich blieb die Antwort schuldig. Wozu? Wir befanden uns in der Gewalt dieses Mannes.

      „Ich habe lange geschwankt“, fuhr er fort. „Ich hatte keine Verpflichtung, Sie gastlich aufzunehmen. Wenn ich mich von Ihnen trennen wollte, hätte ich kein Interesse daran gehabt, Sie wiederzusehen. Ich hätte Sie wieder auf die Plattform meines Schiffes bringen lassen können, auf die Sie sich geflüchtet hatten; ich wäre in die Tiefe getaucht und hätte Ihr Dasein vergessen. War ich nicht dazu berechtigt?“

      „Ein Wilder vielleicht“, warf ich ein, „aber nicht ein zivilisierter Mensch.“

      „Herr Professor“, seine Worte waren schärfer geworden, „ich gehöre nicht zu denen, die Sie zivilisiert nennen! Ich habe mit der ganzen menschlichen Gesellschaft gebrochen, aus Gründen, die ich allein zu beurteilen berechtigt bin. Ich befolge also auch nicht ihre Regeln und fordere Sie auf, sich bei mir nie auf diese zu berufen.“

      Das sagte er klar und bestimmt. Zorn und Verachtung strahlten aus dem Auge


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