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20.000 Meilen unterm Meer. Jules VerneЧитать онлайн книгу.

20.000 Meilen unterm Meer - Jules Verne


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einer langen Pause ergriff der Kommandant wieder das Wort:

      „Ich habe also geschwankt, aber ich habe gedacht, mein Interesse lasse sich mit dem natürlichen Mitgefühl vereinigen, auf das jedes menschliche Wesen Anspruch hat. Sie sollen an Bord meines Schiffes bleiben, weil das Schicksal Sie hierher verschlagen hat. Sie sollen frei sein, und zum Entgelt für diese Freiheit will ich Ihnen nur eine einzige Bedingung auferlegen. Ihr Wort, sie anzunehmen, genügt mir!“

      „Sprechen Sie, ich hoffe, diese Bedingung kann ein Ehrenmann annehmen?“ versprach ich.

      „Ja, und ich will Sie Ihnen gleich mitteilen. Es wäre möglich, daß gewisse unvorhergesehene Ereignisse mich nötigen, Sie auf Stunden oder Tage in Ihrer Kabine einzuschließen. Da ich niemals Gewalt anzuwenden wünsche, erwarte ich in diesem Fall, mehr wie in jedem andern, freiwilligen Gehorsam. So tragen Sie keine Verantwortlichkeit, sehen nichts, was nicht gesehen werden darf. Sind Sie mit dieser Bedingung einverstanden?“

      Es gingen also an Bord des Fahrzeugs Dinge vor, die von Leuten, die nicht außerhalb der sozialen Gesetze standen, nicht gesehen werden durften!

      „Wir nehmen sie an“, sprach ich für uns alle.

      Dann fuhr er etwas sanfter fort:

      „Jetzt erlauben Sie mir, Herr Arronax, Ihnen vollständig mitzuteilen, was ich zu sagen habe. Ich kenne Sie, Herr Arronax. Sie, wenn auch nicht Ihre Gefährten, werden sich vielleicht über das Schicksal, das Sie an mein Los fesselt, nicht so sehr zu beklagen haben. Sie finden unter den Büchern, die zu meiner Lieblingslektüre gehören, das Werk über die großen Tiefen des Meeres, welches Sie herausgegeben haben. Ich habe es öfters gelesen. Sie sind in diesem Werk so weit vorgedrungen, als es die Wissenschaft auf der Erde Ihnen möglich machte. Aber Sie wissen nicht alles, haben nicht alles gesehen. Lassen Sie mich Ihnen also sagen, Herr Professor, daß Sie die an meinem Bord verbrachte Zeit nicht bereuen werden. Sie sollen im Land der Wunder reisen. Staunende Bewunderung wird Ihre Seele erfüllen. Das ununterbrochen Ihren Augen dargebotene Schauspiel wird Sie nicht leicht abstumpfen. Ich will eine nochmalige unterseeische Reise um die Welt — wer weiß?, vielleicht die letzte —vornehmen, um meine Studien zu wiederholen, und Sie sollen mein Studiengenosse sein. Von diesem Tag an werden Sie sehen, was noch kein Mensch zu sehen vermochte — denn ich und die Meinigen zählen nicht mehr —, und unser Planet wird Ihnen durch meine Vermittlung seine letzten Geheimnisse mitteilen.“

      Ich kann es nicht leugnen; diese Worte des Kommandanten machten einen tiefen Eindruck auf mich. Er hatte mich an meiner schwachen Seite gepackt, und ich vergaß auf einen Augenblick, daß die Anschauung dieser erhabenen Dinge die verlorene Freiheit nicht aufwiegen konnte. Allerdings rechnete ich auf die Zukunft, um diese wichtige Frage zu lösen.

      „Noch eine Frage, die letzte“, sagte ich, als dieser unerklärliche Mensch Anstalten traf, sich zurückzuziehen.

      „Reden Sie, Herr Professor.“

      „Mit welchem Namen darf ich Sie nennen?“

      „Mein Herr, ich bin für Sie nur der Kapitän Nemo, und Sie nebst Ihren Gefährten sind für mich nur die Passagiere des Nautilus.“

      Der Kapitän Nemo rief. Ein Steward erschien. Der Kapitän erteilte ihm seine Befehle in der fremdartigen Sprache, die ich nicht erkennen konnte. Darauf wendete er sich zu dem Kanadier und Conseil mit den Worten:

      „Ein Mahl wartet in Ihrer Kabine auf Sie. Folgen Sie gefälligst diesem Manne.“

      „Das läßt man sich gerne gefallen!“ erwiderte der Harpunier.

      Conseil verließ mit ihm endlich diese Zelle, worin sie seit länger als dreißig Stunden eingeschlossen waren.

      „Und nun, Herr Arronax, unser Frühstück ist bereit. Erlauben Sie mir, daß ich vorausgehe.“

      „Wie Sie befehlen, Kapitän.“

      Ich folgte dem Kapitän Nemo, und sobald wir aus der Tür getreten waren, gingen wir durch einen elektrisch erleuchteten, etwa zehn Meter langen Gang, dann öffnete sich vor uns eine zweite Tür.

      Wir traten nun in einen Speisesaal, der in strengem Stil möbliert und ausgeschmückt war. An seinen beiden Enden befanden sich hohe Anrichtetische aus Eichenholz mit eingelegten Verzierungen, und auf Fachbrettern prangten Fayence, Porzellan und Glasgefäße von unschätzbarem Wert. Das Silbergerät glänzte in den Strahlen, die von einer erleuchteten Decke herabfielen, deren Glanz durch feine Gemälde gemildert war.

      In der Mitte des Saales stand ein reich besetzter Tisch. Der Kapitän Nemo wies mir meinen Platz an:

      „Setzen Sie sich und essen Sie. Sie müssen ja einen furchtbaren Hunger haben.“

      Das Frühstück bestand aus einer Anzahl Gerichte, die lediglich das Meer geliefert hatte, und einigen, deren Beschaffenheit ich nicht erkennen konnte. Ich gebe zu, daß es gut war, aber mit einem besonderen Beigeschmack, an den ich mich leicht gewöhnte. Diese verschiedenen Speisen schienen mir reich an Phosphor zu sein, und ich dachte mir, sie müßten aus dem Meere stammen.

      Kapitän Nemo blickte mich an. Er erriet meine Gedanken:

      „Die meisten dieser Gerichte sind Ihnen wohl unbekannt, doch können Sie sie ohne Besorgnis genießen. Sie sind gesund und nahrhaft. Auf Nahrungsmittel von der Erde habe ich lange verzichtet und befinde mich darum nicht übler. Meine kräftige Mannschaft genießt dieselbe Nahrung wie ich.“

      „Sind diese Speisen alle Erzeugnisse des Meeres?“

      „Ja, Herr Professor, das Meer befriedigt alle meine Bedürfnisse. Bald werfe ich meine Zugnetze aus und ziehe sie zum Bersten voll wieder herein. Bald gehe ich mitten in diesem Element, das dem Menschen unzugänglich zu sein scheint, auf die Jagd und erlege Wild in meinen unterseeischen Waldungen. Meine Herden weiden, gleich denen des alten Hirten Neptun, ohne Furcht auf dem unermeßlichen Wiesenland des Ozeans. Ich habe da ein ungeheures Besitztum, das ich selbst nutzbar mache und das von der Hand des Schöpfers aller Dinge stets eingesät wird.“

      Ich blickte den Kapitän Nemo mit einigem Erstaunen an.

      „Ich begreife wohl, Kapitän, daß Ihre Netze Ihnen vortreffliche Fische für die Tafel liefern; aber nicht, daß Sie Wasserwild in Ihren unterseeischen Wäldern jagen; unbegreiflich, daß auch nur das kleinste Stück Fleisch unter Ihren Gerichten ist.“

      „Ich habe auch niemals Fleisch von Landtieren auf dem Tisch.“

      „Und das hier?“ Ich wies auf einen Teller, auf dem noch einige Filets lagen.

      „Was Sie für Fleisch halten, Herr Professor, ist nichts anderes als Meerschildkröte. Ebenso ist diese Leber vom Delphin, die Sie für Schweineragout nehmen würden. Mein Koch versteht sich vortrefflich darauf, diese verschiedenen Produkte des Meeres zuzubereiten und aufzubewahren. Kosten Sie nur alle diese Speisen. Diese Konserve von Holothurien würde ein Malaie für das beste Gericht auf der Welt halten. Jene Sahne dort ist von der Milch von Seesäugetieren, und der Zucker kommt von dem großen Fucus des Nordmeeres; endlich erlauben Sie mir, Ihnen von dem Anemonen-Konfekt anzubieten, das dem schmackhaftesten Obst gleichkommt.“

      Ich kostete mehr aus Neugierde, während der Kapitän Nemo mich durch seine unwahrscheinlichen Berichte ergötzte.

      „Ja, dieses Meer, Herr Arronax“, fuhr er fort, „gewährt mir nicht nur diese vortreffliche Nahrung, sondern auch Kleidung. Die Stoffe Ihrer Kleidung sind aus den Fasern einiger Muscheln gewebt und mit antikem Purpur gefärbt. Das Parfüm auf der Toilette Ihrer Kabine ist aus Seepflanzen destilliert. So sind Ihr Bett, Ihre Feder und die Tinte aus Produkten gemacht, die das Meer liefert. So ist es mit allem, wessen ich bedarf.“

      „Sie sind ein Freund des Meeres, Kapitän.“

      „Jawohl! Das Meer bedeckt sieben Zehntel der Erdoberfläche, und der Seewind ist rein und gesund. In dieser unermeßlichen Einöde ist der Mensch doch nie allein; denn er fühlt das Leben um sich herum; ein übernatürliches, wundervolles Dasein rührt sich da allenthalben; und wirklich, Herr Professor, finden wir die drei Naturreiche, Mineralien, Pflanzen und Tiere, zur Genüge


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