Die Propeller-Insel. Jules VerneЧитать онлайн книгу.
zu nennen ist. Mit hinreichender Menge von Material, das in einem Strome, einem See oder einem Meer versenkt wird, liegt es für Menschen nicht außer der Möglichkeit, eine solche herzustellen. Das hätte hier aber nicht genügt. Mit Rücksicht auf ihre Bestimmung, auf die Anforderungen, denen sie entsprechen sollte, musste diese Insel ihre Lage verändern können, also schwimmfähig sein. Hierin lag eine Schwierigkeit, die jedoch nicht über die Leistungsfähigkeit der Werkstätten für Eisenbearbeitung hinausging, denen Maschinen von sozusagen unbegrenzter Kraft zu Gebote standen.
Schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatten die Amerikaner bei ihrer Vorliebe für das Große, ihrer Bewunderung für das »Enorme«, den Plan entworfen, mehrere hundert Kilometer vom Festlande in offener See ein riesenhaftes, durch Anker festgehaltenes Floß zu bauen. Das wäre, wenn auch keine Stadt, so doch im Atlantischen Meere eine Station geworden, mit Restaurants, Hotels, Theatern, Klublokalen usw., wo die Touristen alle Annehmlichkeiten der beliebtesten Badeorte gefunden hätten. Eben dieses Projekt war nun hier, nur in mehr vollkommener Weise, zur Ausführung gebracht … statt des festliegenden Floßes hatte man eine bewegliche Insel geschaffen.
Sechs Jahre vor der Zeit, wo unsere Geschichte beginnt, war eine amerikanische Gesellschaft unter der Firma Standard Island Company limited mit einem Kapitale von fünfhundert Millionen Dollar (zwei Milliarden Mark), geteilt in fünfhundert Anteilscheine, gegründet worden, um die künstliche Insel herzustellen, die den Nabobs der Vereinigten Staaten alle die Vorteile bieten sollte, welche den an die Stelle gebundenen Gebieten der Erdkugel fehlen. Die Anteilscheine wurden schnell untergebracht, so zahlreich sind in Amerika die ungeheuern Vermögen, die der Ausbeutung der Eisenbahnen oder Bankoperationen, dem Ertrage von Petroleumquellen oder dem Handel mit gepökeltem Schweinefleisch entsprangen.
Die Herstellung der Insel nahm vier Jahre in Anspruch. Es dürfte hier angebracht sein, die wichtigsten Größenverhältnisse, die innere Einrichtung und die Apparate zur Fortbewegung anzugeben, die ihr gestatten, immer die angenehmsten Teile der ungeheuern Fläche des Stillen Weltmeeres aufzusuchen.
Schwimmende Dörfer gibt es in China auf dem Yang-Tse-Kiang, in Brasilien auf dem Amazonasstrome, in Europa auf der Donau und wenn man will, in kleinerem Maßstabe auf vielen schiffbaren Gewässern. Das sind aber nur für kurze Zeit berechnete Konstruktionen mit einigen Häuschen, die auf langen Flößen errichtet wurden. Am Bestimmungsorte angelangt, wird der Holzbau auseinandergenommen, die Häusergruppe abgebrochen und das Dörfchen hat ausgelebt.
Mit der Insel, von der wir hier reden, liegt die Sache ganz anders; sie sollte auf dem Meere schwimmen … für immer, soweit das Werk der Menschenhand eben Bestand hat.
Wer weiß denn, ob die Erde nicht eines Tages zu klein werden wird für ihre Bewohner, deren Anzahl im Jahre 2072 der Rechnung nach auf sechstausend Millionen steigen dürfte, wie es Ravenstein und andere Gelehrte mit erstaunlicher Sicherheit behaupten? Wenn das Festland dann überfüllt ist, muss man sich doch entschließen, als Wohnstätte das Meer zu Hilfe zu nehmen.
Standard Island ist eine Insel aus Stahlplatten, und die Tragfähigkeit und Widerstandskraft ihres Rumpfes wurden unter Berücksichtigung des ungeheuern Gewichtes, das darauf lasten sollte, berechnet. Sie ist aus zweihundertsiebzigtausend Einzelbehältern zusammengesetzt, von denen jeder sechzehn Meter siebzig Zentimeter hoch und je zehn Meter lang und breit ist. Die Oberfläche jedes Behälters misst also zehn Meter an jeder Seite oder umfasst ein Ar, gleich hundert Quadratmeter. Alle durch Bolzen und Nieten miteinander verbundene Behälter bilden die etwa siebenundzwanzig Millionen Quadratmeter oder siebenundzwanzig Quadratkilometer große Insel. Bei der ihr gegebenen ovalen Gestalt misst sie sieben Kilometer in der Länge und fünf Kilometer in der größten Breite und hat in runder Zahl einen Umfang von achtzehn Kilometern. Zur Vergleichung diene, dass die Befestigungslinie von Paris neununddreißig, die alte Mauer um die Stadt dreiundzwanzig Kilometer lang ist. Der eingetauchte Teil des Rumpfes hat bei voller Belastung etwa zehn Meter, der über Wasser stehende gegen sieben Meter Höhe. Daraus ergibt sich, dass das Volumen von Standard Island vierhundertzweiunddreißig Millionen Kubikmeter misst und sein Deplacement (Wasserverdrängung), gegen drei Fünftel des Volumens, zweihundertneunundfünfzig Millionen Kubikmeter erreicht.
Der ganze untertauchende Teil der Behälter ist mit einem lange Zeit vergeblich gesuchten Präparate – der Erfinder desselben wurde dadurch Milliardär – bestrichen, das jedes Anlegen von Muscheln und Seetieren verschiedener Art an die vom Wasser bespülten Teile unbedingt verhindert.
Der »Untergrund« der neuen Insel ist gegen Formveränderung und Bruch vollständig gesichert, denn der stählerne Rumpf wird durch mächtige Querriegel versteift, und auf das Vernieten und Verbolzen aller Teile wurde die denkbarste Sorgfalt verwendet.
Natürlich mussten zur Herstellung dieses riesenhaften Bauwerkes erst besondere Werften geschaffen werden. Das übernahm die »Standard Island Company«, nachdem sie die Magdalenenbucht nebst deren Uferland am Ausläufer der langen Halbinsel Nieder-Kalifornien, ganz nahe dem Wendekreise des Krebses, zu diesem Zwecke erworben hatte. In dieser Bucht wurde die Arbeit ausgeführt, und zwar unter Leitung der Ingenieure der Standard Island Company und unter der Oberleitung des berühmten William Terson, der wenige Monate nach Vollendung seines Riesenwerkes ebenso mit Tod abging, wie Brunnel, nachdem er seinen, leider ziemlich nutzlosen »Great-Eastern« vom Stapel gelassen hatte. Standard Island ist ja auch kaum etwas anderes als ein modernisierter Great-Eastern, nur nach einem tausendfach vergrößerten Modell geschaffen.
Selbstverständlich konnte von einem wirklichen Stapellauf der Insel keine Rede sein. Sie wurde vielmehr stückweise hergestellt, indem man die einzelnen Stahlbehälter auf dem Wasser der Bucht selbst miteinander verband. Diese Stelle der amerikanischen Küste wurde auch der Nothafen der beweglichen Insel, nach dem sie sich zur Vornahme etwaiger Reparaturen allemal begibt.
Der Unterbau der Insel, ihr Rumpf, wie man sagen könnte, der,