Die Vollendung des Königs Henri Quatre. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.
war, daß er sollte das Königreich retten. ,Ich ehre Gott‘, so rechtfertigte Henri seine Untreue, was sogar mit dem Allwissenden nicht leicht ist. ,Ihm gehorch ich gegen das Andenken meiner Mutter und des Admirals, aller unserer Gewissenskämpfer, gegen das Bekenntnis der Pastoren und ungeachtet einer ganzen Million Opfer der Religionskriege.‘ Eine neue, erschreckende Einsamkeit befiel hier seinen Geist. ,Nicht alte Freunde, nicht Partei noch die geschützten Städte, in denen wir beten durften, La Rochelle am Meer, nicht einmal du! Keine einmütige Verbundenheit mit denen meines Glaubens, kein Psalm in der Schlacht: nichts hält stand, da das Königreich ruft. Das Königreich, das ist mehr als Meinung oder Absicht, ist mehr sogar als Ruhm: es sind menschliche Wesen wie ich’; so beteuerte er und fühlte hier wirklich: er war gerettet., Menschliche Wesen — aber einige von ihnen, über der Mauer, die ich mit Augen sehe, vergehen sich gegen die Natur! Dorthin kommt es mit ihnen, sobald nicht mehr der König sie bei ihrer Menschenpflicht erhalten kann. Das will ich tun, das allein soll mich retten bei Gott und Menschen.‘
„Wollen wir denn die beiden Gottlosen empfangen“, sagte er, meinte aber eine Zusammenkunft mit dem Kardinal von Paris und dem Erzbischof von Lyon. Er nannte sie gottlos, um seinen Glauben an das Königreich zu bekräftigen, während solche Wesen davon nichts halten. Mit mehr als tausend Edelleuten begab er sich an einem Augusttag um zwölf Uhr nach dem Kloster außerhalb der belagerten Hauptstadt, wo ihre Abgesandten ihn aufsuchten. Es waren Herren von Würde und Gewicht, hatten bis jetzt keinen Mangel gelitten, wie auch ihre gesamte Begleitung nicht. Sie verneigten sich vor dem König, aber nicht gerade zu tief: das hatte die belagerte Hauptstadt noch nicht nötig, wenn man ihre Gesandten sah. So gemessen wie diese konnte der König sich nicht benehmen, das Gedränge um ihn war zu dicht. Er sagte ihnen: „Wundern Sie sich nicht, wie ich gedrückt werde. In der Schlacht ist es ärger.“
Nun mochte er sich denken, daß sie hier nichts weiter wollten, als Zeit gewinnen, bis Mayenne die Hilfstruppen aus Flandern bekam und Paris entsetzte. Ihre Verhandlung mit dem König sollte das hungernde Volk von Paris hinhalten, weil es sonst versuchte, sich zu empören. Die beiden Bischöfe waren ihrerseits überzeugt, daß ihm der Hungertod einiger tausend Gemeiner so gleichgültig wäre wie ihnen selbst. Fragte sich nur, ob er dies zugeben durfte um seiner Volkstümlichkeit willen. Das Klügste schien beiderseits, alle Förmlichkeiten genau zu befolgen, weshalb der König von den Abgeordneten ihre schriftliche Vollmacht verlangte, und sie überreichten sie ihm. Darin stand verzeichnet, daß die Herren Kardinal und Erzbischof zu dem „König von Navarra“ gehen sollten, um ihn flehentlich zu ersuchen, er möge in eine allgemeine Befriedung des Königreiches willigen; dann aber zum Herzog von Mayenne, damit auch dieser darauf bedacht wäre. Eitle Worte, und eine Mißachtung des königlichen Ranges.
Henri wies sie darauf hin, daß ein „König von Navarra“ natürlich nicht berufen wäre, Paris und Frankreich den Frieden zu geben. Indessen wollte er sein Königreich in Ruh und Frieden sehen, und somit keinen Streit um Titel. Er versicherte sogar, er würde einen Finger geben, und legte weiterhin den zweiten dazu. Den einen Finger war eine Schlacht ihm wert, aber zwei versprach er für den allgemeinen Frieden. Die beiden geistlichen Diplomaten fanden ihn stark im Heucheln, und er stieg in ihrer Achtung. „Aber!“ rief er zu ihrer vermehrten Überraschung. „Aber Paris würde vergeblich auf den allgemeinen Frieden warten, solange es die Schreckensherrschaft und Hungersnot in seinen Mauern hat. Was wären das für körperlose Friedensworte. Paris darf nicht länger hungern. Ich liebe meine Stadt Paris. Sie ist meine älteste Tochter.“ Hiermit entlarvte er ihre Friedensbotschaft; aber nicht jeder, dessen Blöße schon offen ist, merkt es.
„Gefangen hat er gesessen in Paris, das ist alles“, bemerkten für sich die beiden. „Vater dieses Volkes nennt er sich, aber nur an einer Niederlage hängt es, und er sitzt nochmals hinter Gittern, kommt auch lebend nicht mehr frei. Als er sich überdies mit der wahren Mutter bei Salomo verglich, und wollte auf Paris lieber verzichten, als daß er es aus Trümmern und Toten hervorzöge und an sich brächte“ — bewunderten sie ihn nicht ohne Belustigung und streiften einander kurz mit den Blicken. Hierauf unternahmen sie es, ihn in der geschickten Falschheit noch zu überbieten. Sie stellten sich, als bezweifelten sie seine militärische Stärke sowie die Echtheit seiner Siege und rechneten mit einer Wendung. Wenn Paris vor der Herstellung des allgemeinen Friedens sich ihm ergäbe, würden Mayenne und der König von Spanien es wieder nehmen und hart bestrafen. Da aber erlebten sie etwas Neues.
Ein Soldat, dem die Gnade der Majestät zufällt vor ihren Augen. Sie begreifen nicht mehr, wer hier spricht, und von wo herab. Er schwört, unterbricht sich, selbst erschüttert, wiederholt aber den furchtbaren Schwur beim lebendigen Gott. „Wir werden sie schlagen.“ Seine tausend Edelleute riefen durcheinander, was einen eingeübten Gleichklang weit übertrifft: „Wir werden sie schlagen! Wahr geschworen! Die Schande nie, solange Gott lebt!“ Betroffen erkannten die Abgesandten, daß er eingesetzt war als Feind ihrer Welt; und gegenüber dem verkrüppelten Erdenbeherrscher Philipp, der unmenschlichen Weltmacht Habsburg, erhob ihren Anspruch eine lebendige Majestät. Man muß dies erblicken, damit man es glaubt. Im Leben geschieht fast alles ohne Auftrag — das ist die tägliche Erfahrung hochgestellter, ungläubiger Herren, die daher jeden Mächtigen für einen Betrüger halten und ihn dafür hinnehmen. Ein Schlag durchlief die Glieder dieser beiden, vor ihren Augen zitterte das irdische Bild, da sie die wirkliche Majestät erfuhren. Majestät — ein schwaches Wort für eine schlechthin überwältigende Gnade Gottes: — wie schwach und weitläufig verhält man sich zu Gott und Gnade. Zwei Kirchenfürsten hatten sich so lange nichts dabei gedacht, bis sie dies erlebten: ein Soldat, dem die Gnade der Majestät zufällt vor ihren Augen.
Henri hatte seitdem seine Gegner in der Hand während dieser Verhandlung. Nach dem Augenblick der hohen Berufung machte er von seinem Vorteil vor ihnen reichlichen Gebrauch. Er nahm sie nicht mehr ernst, sondern verlangte die Übergabe von Paris innerhalb acht Tagen, als wär es eine Kleinigkeit. Die Majestät darf niemals lange währen, wir werden sie nicht abnutzen, da die Gnade selten erscheint, und übrigens halten wir die guten Leute lieber zum besten, als daß wir sie durch Größe auf die Knie zwingen.
„Acht Tage habt ihr, meine Guten. Wollt ihr lieber warten mit der Übergabe, bis euch die Lebensmittel ganz ausgehen, dann schön, für euch eine Henkersmahlzeit und nachher der Strick.“
„So unbarmherzig wird kein König von Frankreich mit seiner Hauptstadt verfahren, und kein Christ mit zwei Dienern Gottes.“
„Dann laßt es darauf ankommen.“
„Zu fürchten ist allerdings, daß gerade wir beide wieder zu Ihnen hinausgeschickt werden, diesmal aber mit dem Strick um den Hals.“
„Dann übergebt mir die Stadt sogleich.“
„Wenn die Spanier und die sechzehn das hören, hängen sie uns auf.“
„Dann wartet auf Mayenne und die Hilfstruppen aus Flandern.“
„Eure Majestät könnten sie am Ende besiegen, um so sicherer würden wir aufgehängt.“
„Dann befürwortet die Übergabe.“
„Sire! Sie würden unsere Dienste vergessen und uns der Rache des Volkes ausliefern.“
„Dann laßt es nur ja weiter verhungern.“
„Sire! Sie sind falsch berichtet, noch hungert niemand.“
„Dann mög es euch immer wohl ergehen. Es gibt noch viel mehr auf den Friedhöfen, und genug Kinder sind unbewacht, die Mutter hat einen Anfall von Schwäche.“
Hierauf wagten sie keine Antwort, sondern ließen die Köpfe sinken, so frech bis jetzt ihr Sinn gewesen war. Da sie wahrhaftig den Boden verloren, schien es ihnen, daß sie sich von dem König hatten hinreißen lassen. ,Ja, ein Frag’und Antwortspiel hat er mit uns getrieben, nach dem Vorbild einer berühmten Szene im Rabelais, der nichts als ein Possenreißer gewesen ist. Das ist auch dieser König, und hält uns zum Narren.‘ Ihre Würde war dahin und ihre Verwirrung unaufhaltsam. Der König erlaubte ihnen nicht, sich zu fassen, im Gegenteil gab er ihnen den Rest. Das letzte sprach er nicht mehr schnell und leicht, sondern mit dem Nachdruck des Richters.
„Herr de Lyon“, sagte er zu dem Erzbischof.