Wolf unter Wölfen. Ханс ФалладаЧитать онлайн книгу.
– so schreibt sie auf dem Brett des geöffneten Fensters ihren Brief.
Sophie Kowalewski hat schön gepflegte Hände, doch führen sie den Bleistift nur ungeschickt. Grundstrich, Haarstrich, Häkchen, Komma, Haarstrich, Grundstrich … Ach, sie möchte so vieles sagen …: wie er ihr fehlt, wie die Zeit nicht vergehen will, fast noch drei Jahre und kaum erst ein halbes herum … Aber es wird nichts; Gefühle in Geschriebenes umzusetzen, hat Sophie Kowalewski, Tochter des Leutevogts Kowalewski in Neulohe, nicht gelernt. Ja, wenn er hier wäre, wenn es sich um Sprechen handelte, um eine Berührung –! Sie könnte alles ausdrücken, sie könnte ihn mit einem Kuß wild machen, mit einem leisen Anfassen glücklich … Aber so!
Sie starrt vor sich hin. Ach, sie möchte es ihn spüren lassen in diesem Brief! Aus der Fensterscheibe sieht sie mattfarbig eine zweite Sophie an. Unwillkürlich lächelt sie ihr rasch zu. Ein paar Löckchen haben sich gelöst, hängen dunkel in die Stirn. Die Schatten unter den Augen sind auch dunkel. Sie müßte sich wieder einmal die Zeit nehmen, gründlich auszuschlafen – aber gibt es denn Schlafenszeit in dieser Zeit, wo alles so merklich verrinnt, kaum da es deutlich wurde –? Alles zerfällt, nutze die Minute, heute lebst du noch, Sophie!
Sie mag morgens noch so müde sein, die Füße brennen, der Mund schmeckt schal nach all den Likören, dem Wein, den Küssen – am Abend zieht es sie doch wieder in eine der Bars. Tanzen, trinken und toben! Kavaliere genug, lappig wie ihr Geld, Hunderttausende, fünfzigfacher Zofenlohn, lose in einer Jackettasche. Sie ist auch letzte Nacht mit einem von den Kavalieren mitgegangen – was kommt es darauf an? Die Zeit rinnt, läuft, jagt. Vielleicht sucht sie auch Hans, den für dreiundeinviertel Jahr verlorenen Hans (Hochstapelei) in all den immer wiederholten Umarmungen, in all den Gesichtern, die sich über das ihre neigen, so gierig-ruhelos wie das ihre … Aber den Hans, strahlend, rasch, allen überlegen, gibt es kein zweites Mal!
Sophie Kowalewski, der harten Arbeit auf dem Rittergut entflohen, sucht in der Stadt – sie weiß nicht was, irgend etwas, das sie noch härter anfassen wird. Einmalig ist dieses Leben, vergänglich; wenn wir tot sind, sind wir so lange tot; und wenn wir alt sind, schon, wenn wir über fünfundzwanzig sind, sieht uns keiner mehr an. Hans, ach Hans … Sie trägt das Abendkleid der Gnädigen, es ist schnurz, ob die Köchin es sieht. Was die bei den Lieferanten schmuh macht, klaut sie an Seidenstrümpfen und Seidenwäsche. Keiner hat der andern etwas vorzuwerfen. Es ist gleich sieben, schnell noch den Schluß … Und verbleibe ich mit heißen Küssen Deine Dich ewig liebende Braut Sophie …
Sie legt keinen Wert auf das Wort Braut, sie weiß auch gar nicht, ob sie das möchte, ihn heiraten, aber sie muß es schreiben, damit sie ihm im Zuchthaus den Brief auch aushändigen.
Und der Zuchthausgefangene Hans Liebschner wird den Brief seiner Braut erhalten, er gehörte nicht zu denen, die wegen zu wilden Gebrülls in eine Arrestzelle gebracht worden waren. Nein, trotzdem er kaum erst ein halbes Jahr im Zuchthaus Meienburg wohnte, war er ganz gegen alle Hausordnung schon zum Kalfaktor aufgerückt und hatte es verstanden, mit besonderer Überzeugung von Erntekommandos zu reden. Das konnte er, er wußte: Neulohe lag nicht weit ab von Meienburg, und Neulohe war die Heimat einer süßen Puppe namens Sophie …
›Ich werde das Kind schon schaukeln‹, dachte er.
8
Das Mädchen war erwacht.
Den Kopf in die Hand gestützt, lag es und sah nach dem Fenster hinüber. Die gelblichgraue Gardine bewegte sich nicht. Das Mädchen glaubte, die riechende Hitze vom Hof her zu spüren. Es schauderte leicht.
Dabei sah es an sich herunter. Nicht daß es vor Kälte geschaudert hatte – es hatte wegen der häßlichen Hitze, wegen des üblen Geruches geschaudert. Es sah seinen Leib an; der Leib war weiß und fehlerlos; man mußte sich wundern, daß in einer Luft, die wie zersetzt, wie faulig war, etwas so fehlerlos bleiben konnte!
Das Mädchen hatte keinen genauen Begriff, welche Zeit es war, nach den Geräuschen konnte es neun oder zehn oder auch elf sein – die Vormittagsgeräusche blieben sich nach acht ziemlich gleich. Es war möglich, daß die Wirtin, Frau Thumann, gleich mit dem Morgenkaffee hereinkam. Nach Wolfgangs Wünschen hätte sie aufstehen und sich anständig bekleiden, auch ihn zudecken müssen. Nun gut, sie würde es gleich tun. Wolfgang hatte so überraschende Anfälle von Anstand …
Es ist doch gleich, sagte sie etwa zu ihm. Die Thumann ist es so und noch ganz anders gewöhnt. Wenn sie nur ihr Geld bekommt, stört sie gar nichts …
Stören –? hatte Wolfgang zärtlich gelacht. Stören, wenn sie dich so sieht –?!!
Er hatte sie angesehen. Immer wurde ihr unter solchen Blicken von ihm schwach und zärtlich. Sie hätte ihn an sich ziehen mögen, aber da sagte er schon ernster: Es ist doch unsertwegen, Peter, unsertwegen! Wenn wir jetzt auch drinsitzen im Dreck; richtig im Dreck sind wir erst, wenn wir nicht mehr auf uns aufpassen …
Ein Kleid macht doch nicht anständig, kein Kleid nicht unanständig, fing sie an.
Und wenn es nur ein Kleid ist! Darauf kommt es nicht an! hatte er fast heftig gesagt. Wenn es nur irgend etwas ist, was uns erinnert. Wir sind kein Dreck, ich nicht und du auch nicht. Und habe ich es erst einmal geschafft, wird uns alles viel leichter sein, wenn wir uns hier nicht wohlgefühlt haben, in diesem Dreckloch. Wir dürfen bloß nicht mitmachen mit denen hier!
Er murmelte nur noch, seine Worte verloren sich im Unverständlichen. Er dachte wieder daran, wie er es ›schaffen‹ würde, er war weg von ihr. (Er war viel weg von ihr, seinem Peter.)
Wenn du es geschafft hast, werde ich nicht mehr bei dir sein, hatte sie einmal gesagt.
Ein Weilchen war Stille gewesen, dann hatte ihn doch in seinem Grübeln erreicht, was sie gesagt hatte.
Du wirst bei mir sein, Peter! hatte er heftig geantwortet. Immer und immer. Glaubst du denn, ich vergesse das, wie du Nacht für Nacht auf mich wartest?! Ich vergesse das, wie du hier sitzt – in dem Loch – ohne alles?! Ich vergesse, daß du mich nie fragst und nie drängst, wie ich auch komme?! O Peter!! hatte er gerufen, und seine Augen leuchteten mit jenem Glanz, den sie nicht mochte, denn es war ein Glanz, den nicht sie entzündet. Letzte Nacht war es fast soweit! Es war ein Augenblick, wie ein Berg lag das Geld vor mir … Ich fühlte, es war beinahe soweit, nur noch ein-, zweimal … Nein, ich mache dir nichts vor. Ich habe an nichts Bestimmtes gedacht, an kein Haus, keinen Garten, kein Auto, nicht an dich … Es war wie eine plötzliche Helle vor mir, nein, eine strahlende Helle in mir, das Leben war so weit und klar, wie der Himmel, wenn die Sonne aufgeht, es war alles rein …
Dann … er senkte die Stirne … sprach mich eine Nutte an, und von da an ging alles verquer …
Er hatte mit gesenkter Stirn am Fenster gestanden. Sie fühlte, als sie seine zuckende Hand zwischen die ihren nahm, wie jung er war, wie jung seine Begeisterung, wie jung seine Verzweiflung, wie jung und ohne alle Verpflichtung, was er ihr sagte …
Du wirst es schaffen! sagte sie leise. Aber wenn du es geschafft haben wirst, werde ich nicht mehr bei dir sein.
Er zog seine Hand zwischen den ihren hervor.
Du wirst bei mir bleiben, sagte er kalt. Ich vergesse nichts.
Sie wußte, er hatte eben an seine Mutter gedacht, die ihr einmal ins Gesicht geschlagen. Sie wollte nicht darum bei ihm bleiben, weil seine Mutter sie einmal geschlagen hatte.
Und nun, von heute an, würde sie doch bei ihm bleiben, für immer. Noch hatte er es zwar nicht geschafft, und sie wußte längst, auf dem bisherigen Wege würde nie etwas draus werden. Aber was tat das? Weiter dieses schmierige Zimmer, weiter nicht wissen, wovon morgen leben, sich kleiden, weiter alles unklar – aber an ihn gebunden von heute mittag ein Uhr an!
Sie griff auf den Stuhl neben ihrem Bett, faßte die Strümpfe und fing an, sie überzustreifen. –
Plötzlich überfiel sie eine schreckliche Angst, es könne nichts daraus werden, es sei gestern alles fehlgegangen, völlig fehl, bis auf den letzten Tausendmarkschein. Sie wagte nicht aufzustehen,