Das Gemeindekind. Marie von Ebner-EschenbachЧитать онлайн книгу.
erglühte feuerrot bei den Reden, die er ihr zuflüsterte, und den Küssen, die er ihr raubte.
Über dem Anblick vergass Pavel seinen Hunger — seine Ungeduld wich einem rasenden, ihm unbegreiflichen Schmerz; wie in den Fängen eines Raubtieres wand er sich und brachte ein entsetzliches Röcheln hervor.
Die umstehenden erschraken; man stiess ihn hinweg, und er wehrte sich nicht; er schlich davon, durch die langsam hereinbrechende Dunkelheit, seinem unheimlichen Daheim zu. Aus der Hütte schimmerte ihm der ungewohnte Glanz einer brennenden Kerze entgegen. Sie war auf dem Fenstersimse aufgepflanzt, und in dem von ihrem Schein erhellten Stübchen sassen Virgil und sein Weib auf der Bank, und zwischen ihnen stand ein Teller mit Braten und eine Flasche Branntwein. Die beiden Alten sassen und tranken und waren guter Dinge. Pavel beobachtete sie eine Weile vom Feldrain aus, stieg dann zum Hohlweg hinab, den die Dorfstrasse bei den letzten Schaluppen bildete, und streckte sich auf die ausgebrochenen Ziegelstufen des Eingangs, den Kopf an die Tür gelehnt.
So musste, im Fall, dass er etwa einschlief, die Vinska ihn wecken, wenn sie ins Haus wollte.
Stunden vergingen; der matte Glanz, den das Licht im Fenster auf den Weg geworfen hatte, erlosch. Das treibende Gewölk am Himmel, der umschleierte Mond mahnten Pavel an die Winternacht, in der er ausgezogen war, Milada aus der Gefangenschaft zu befreien.
Was für ein Narr war er damals gewesen — was für ein Narr geblieben bis auf den heutigen Tag!
Von dem einzigen, der ihn nie beschimpft, dem einzigen, der ihm je eine Wohltat erwiesen, hatte er sich in blödsinnigem Misstrauen abgewendet, und war der Betrügerin unterwürfig gewesen, die ihn zum besten hatte, ihn bestahl und verlachte . . . O — ganz gewiss verlachte und verspottete! Sie spottete so gern, die Vinska, und so leicht bei viel geringeren Veranlassungen, als seine grenzenlose Dummheit eine war.
„Was tu ich ihr?“ fragte er sich plötzlich und antwortete auch sogleich: „Ich schlag sie tot.“
Keine Überlegung: — was dann? Nicht die geringste Angst, nicht der kleinste Skrupel, nicht einmal ein Zweifel an der Ausführbarkeit seines rasch gefassten Vorsatzes.
Er stand auf, öffnete leise die Tür, holte den Knüttel Virgils vom Herde und legte ihn neben sich, nachdem er seinen früheren Platz und seine frühere Stellung wieder eingenommen hatte.
Nun kam eine grosse Ruhe über ihn; die Augen fielen ihm zu, und er schlief ein. Nicht tief, so halb und halb, wie er zu schlafen pflegte, wenn er die Nacht mit den Pferden draussen auf der Hutweide zubrachte.
Der Morgen dämmerte, als leichte Schritte, die sich näherten, ihn weckten. Sie war’s. Heiter bequem und friedlich mit ihrer unschuldig-pfiffigen Miene kam sie einher, zögerte ein wenig, als sie Pavel daliegen sah, betrat dann ganz sachte die Stufen und beugte sich, um ihn zur Seite zu schieben. — Da packte er sie am Fuss und riss sie zu Boden. Sie fiel ohne einen Laut, erhob sich aber sogleich auf die Kniee, während er nach dem Knüttel griff . . . Ein Blick in des Jungen Gesicht, und aus dem ihrigen wich alles Blut.
„Pavel,“ stammelte sie, „was fällt dir ein — du wirst mich doch nicht schlagen?“
Sie stemmte beide Arme gegen seine Brust und sah angstvoll und bebend zu ihm empor.
„Schlagen nicht — erschlagen werd ich dich,“ antwortete er dumpf und wandte den Kopf, um ihren flehenden Augen auszuweichen. „Aber zieh zuvor meine Stiefel aus.“
„Jesus Marta! wegen der Stiefel willst mich umbringen?“
„Ja, ich will.“
„Schrei nicht so . . . die Alten wachen auf,“
„Alles eins.“
Sie schmiegte sich an ihn, ein schüchternes Lächeln umzuckte ihre Lippen. „Sie kommen mir zu Hilfe, wie kannst mich dann totschlagen? Geh — sei still, sei gut.“
Er suchte sich von ihrer Umarmung loszumachen, die ihn beseligte und empörte; er fühlte mit Zorn gegen sich, den Zorn gegen sie unter ihren Liebkosungen schwinden: „Spitzbübin!“ rief er.
„Mach keinen Lärm,“ mahnte sie; „wenn die Leute zusammenlaufen, was hast du davon? Sei still! Schlag mich tot meinetwegen, aber sei still, — schlag mich tot, du dummer Pavel —“ und nun kicherte sie schon völlig vergnügt und siegesgewiss.
Zwischen den wirren Haaren, die ihm über die Augen hingen, schoss ein Blitz voll düsterer Glut hervor, der sie von neuem schaudern machte. — Das war kein törichter Junge mehr, es war ein frühreifer Mann, der sie angeblickt hatte, und instinktmässig rettete sie sich in der Furcht vor ihm — an seine Brust.
„Tu mir nichts! wie leid wäre dir!“
Sie stand neben ihm und hielt seine Hand, der der Knüttel entsunken war. Sie bat, sie schmeichelte, sie suchte ihn zu rühren und hielt sich selbst eine Totenklage. „O wie leid wäre dir um mich, niemandem so leid wie dir um die arme Vinska.“
„Du bist nicht arm!“ fuhr er sie an. „Du nicht! . . . Schlecht bist du — und ich geh aufs Bezirksamt und verklag dich.“
„Wegen der Stiefel?“ fragte sie und lachte herzlich und sorglos.
„Ja.“
Flugs liess Vinska sich auf die Stufen nieder, zog die Stiefel aus und stellte sie vor Pavel hin. „Da hast sie, Geizhals! ich brauch sie nicht! — ich brauch nur dem Peter ein Wort zu sagen, so kauft er mir andere, viel schönere.“
Pavel brüllte förmlich auf: „Nein, nein! nimm die meinen, behalt sie, ich schenk sie dir. Nur geh nicht mehr mit dem Peter . . . Versprich’s!“ Er fasste sie an den Achseln und schüttelte sie, dass ihr Hören und Sehen verging: „Versprich’s, versprich’s!“
„Sei ruhig — ich verspreche es,“ antwortete Vinska; doch war der Ton, indem sie es sagte, so wenig überzeugend, und es flog ein so seltsamer Ausdruck über ihr Gesicht, dass Pavel die Faust ballend drohte:
„Nimm dich in acht!“
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