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Radetzkymarsch. Йозеф РотЧитать онлайн книгу.

Radetzkymarsch - Йозеф Рот


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Ungeduld, mit der man einem Angriff entgegensieht, die schwerfälligen Vorbereitungen des Wachtmeisters, die Anstrengung, mit der er den nassen Zwirnhandschuh abstreifte und seine beflissene Hingabe an dieses Unterfangen und seinen gesenkten Blick. Endlich legte sich die entblößte Hand feucht, breit und ohne Druck in die des Leutnants. «Danke für den Besuch, Herr Baron!» sagte der Wachtmeister, als wäre der Leutnant nicht eben gekommen, sondern im Begriff zu gehn. Der Wachtmeister holte den Schlüssel hervor. Er sperrte die Tür auf. Ein Windstoß peitschte den prasselnden Regen gegen die Veranda. Es war, als triebe er den Leutnant ins Haus. Dämmrig war der Flur. Leuchtete nicht ein schmaler Streifen auf, schmal, silbern, irdische Spur der Toten? Der Wachtmeister machte die Küchentür auf, die Spur ertrank im einströmenden Licht. «Bitte abzulegen!» sagte Slama. Er steht selbst noch im Mantel und gegürtet. «Herzliches Beileid!» denkt der Leutnant. «Ich sage es jetzt schnell und gehe dann wieder.» Schon breitet Slama die Arme aus um Carl Joseph den Mantel abzunehmen. Carl Joseph ergibt sich in die Höflichkeit, die Hand Slamas streift einen Augenblick den Nacken des Leutnants, den Haaransatz über dem Kragen, just an jener Stelle, an der sich die Hände der Frau Slama zu verschränken pflegten, zarte Riegel der geliebten Fessel. Wann, genau, zu welchem Zeitpunkt, wird man endlich die Kondolenzformel abstoßen können? Wenn wir in den Salon treten oder erst, wenn wir uns gesetzt haben? Muß man sich dann wieder erheben? Es ist, als ob man nicht den geringsten Laut hervorbringen könnte, bevor nicht jenes dumme Wort gesagt ist, ein Ding, das man auf, den Weg mitgenommen und die ganze Zeit im Mund getragen hat. Es liegt auf der Zunge, lästig und unnütz, von schalem Geschmack.

      Der Wachtmeister drückt die Klinke nieder, die Salontür ist verschlossen. Er sagt: «Pardon!», obwohl er nichts dafür kann. Er greift wieder nach der Tasche im Mantel, den er bereits abgelegt hat — es scheint schon sehr lange her — und klirrt mit dem Schlüsselbund. Niemals war diese Tür verschlossen gewesen, zu Lebzeiten der Frau Slama. «Sie ist also nicht da!» denkt der Leutnant auf einmal, als wäre er nicht hergekommen, weil sie eben nicht mehr da ist, und merkt, daß er die ganze Zeit noch die verborgene Vorstellung gehegt hat, sie könnte da sein, in einem Zimmer sitzen und warten. Nun ist sie bestimmt nicht mehr da. Sie liegt in der Tat draußen unter dem Grab, das er eben gesehn hat. Ein feuchter Geruch liegt im Salon, von den zwei Fenstern ist eines verhangen, durch das andere schwimmt das graue Licht des trüben Tages. «Bitte einzutreten!» wiederholt der Wachtmeister. Er steht hart hinter dem Leutnant. «Danke!» sagt Carl Joseph. Und er tritt ein und geht an den runden Tisch, er kennt genau das Muster der gerippten Decke, die ihn verhüllt, und den zackigen kleinen Fleck in der Mitte, die braune Politur und die Schnörkel der gerillten Füße. Hier steht die Kredenz mit den Glasfenstern, Pokale aus Neusilber dahinter und kleine Puppen aus Porzellan und ein Schwein aus gelbem Ton mit einem Spalt für Sparmünzen im Rücken. «Erweisen mir die Ehre, Platz zu nehmen!» murmelt der Wachtmeister. Er steht hinter der Lehne eines Sessels, umfaßt sie mit den Händen, er hält sie vor sich wie einen Schild. Vor mehr als vier Jahren hat ihn Carl Joseph zuletzt gesehn. Damals war er im Dienst. Er trug einen schillernden Federbusch am schwarzen Hut, Riemen überkreuzten seine Brust, das Gewehr hielt er bei Fuß, er wartete vor der Kanzlei des Bezirkshauptmanns. Er war der Wachtmeister Slama, der Name war wie der Rang, der Federbusch gehörte wie der blonde Schnurrbart zu seiner Physiognomie. Jetzt steht der Wachtmeister barhäuptig da, ohne Säbel, Riemen und Gurt, man sieht den fettigen Glanz des gerippten Uniformstoffs auf der leichten Wölbung des Bauchs, über der Lehne, und es ist nicht mehr der Wachtmeister Slama von damals, sondern der Herr Slama, ein Wachtmeister der Gendarmerie im Dienst, früher Mann der Frau Slama, jetzt Witwer und Herr dieses Hauses. Die kurzgeschnittenen blonden Härchen liegen, in der Mitte gescheitelt, wie ein zweiflügeliges Bürstchen über der faltenlosen Stirn mit dem waagrechten rötlichen Streifen, den der dauernde Druck der harten Mütze hinterlassen hat. Verwaist ist dieser Kopf ohne Mütze und Helm. Das Angesicht ohne den Schatten des Schirmrandes ein regelmäßiges Oval, ausgefüllt von Wangen, Nase, Bart und kleinen, blauen, verstockten, treuherzigen Augen. Er wartet, bis Carl Joseph sich gesetzt hat, rückt dann den Sessel, setzt sich ebenfalls und zieht seine Tabatiere. Sie hat einen Deckel aus buntbemaltem Email. Der Wachtmeister legt sie in die Mitte des Tisches, zwischen sich und den Leutnant und sagt: «Eine Zigarette gefällig?» — Es ist Zeit, zu kondolieren, denkt Carl Joseph, erhebt sich und sagt: «Herzliches Beileid, Herr Slama!» Der Wachtmeister sitzt, beide Hände vor sich an der Tischkante, scheint nicht sofort zu erkennen, worum es sich handelt, versucht zu lächeln, erhebt sich zu spät in dem Augenblick, in dem Carl Joseph sich wieder setzen will, nimmt die Hände vom Tisch und führt sie an die Hose, neigt den Kopf, erhebt ihn wieder, sieht Carl Joseph an, als wollte er fragen, was zu tun sei. — Sie setzten sich wieder. — Es ist vorbei. Sie schweigen. «Sie war eine brave Frau, die selige Frau Slama!» sagte der Leutnant.

      Der Wachtmeister führt die Hand an den Schnurrbart und sagt, ein dünnes Bartende zwischen den Fingern: «Sie ist schön gewesen, Herr Baron haben sie ja gekannt.» — «Ich hab sie gekannt, Ihre Frau Gemahlin. Ist sie leicht gestorben?» — «Zwei Tage hat’s gedauert. Wir haben den Doktor zu spät geholt. Sie wär’ sonst am Leben geblieben. Ich hab’ Dienst gehabt in der Nacht. Wie ich heimkomm’, ist sie tot. Vom Finanzer die Frau drüben ist bei ihr gewesen.» Und gleich darauf: «Vielleicht ein Himbeerwasser gefällig?»

      «Bitte, bitte!» sagt Carl Joseph, mit einer helleren Stimme, als könnte das Himbeerwasser eine ganz veränderte Lage schaffen, und er sieht den Wachtmeister aufstehn und zur Kommode gehn, und er weiß, daß es dort kein Himbeerwasser gibt. Es steht in der Küche im weißen Schrank, hinter Glas, dort hat es Frau Slama immer geholt. Er verfolgt aufmerksam alle Bewegungen des Wachtmeisters, die kurzen starken Arme in den engen Ärmeln, die sich recken, um auf der höchsten Etagere nach der Flasche zu fassen, und die sich dann hilflos senken, während die gestreckten Füße wieder auf ihre Sohlen zurückfallen, und Slama, gleichsam heimgekehrt aus einem fremden Gebiet, in das er eine überflüssige und leider erfolglose Entdeckungsfahrt unternommen hat, sich wieder umwendet und mit rührender Hoffnungslosigkeit in den blitzblanken Augen die schlichte Mitteilung macht: «Bitte um Entschuldigung, ich find’s leider nicht!»

      «Das macht nichts, Herr Slama!» tröstet der Leunant.

      Der Wachtmeister aber, als hätte er diesen Trost nicht gehört oder als hätte er einem Befehl zu gehorchen, der, von höherer Stelle ausdrücklich erteilt, keine Milderung mehr durch ein Eingreifen Niederer erfahren könne, verläßt das Zimmer. Man hört ihn in der Küche hantieren, er kommt zurück, die Flasche in der Hand, holt Gläser mit matten Randornamenten aus der Kredenz und stellt eine Karaffe Wasser auf den Tisch und gießt aus der dunkelgrünen Flasche die zähe rubinrote Flüssigkeit ein und wiederholt noch einmal: «Erweisen mir die Ehre, Herr Baron!» Der Leutnant gießt Wasser aus der Karaffe in den Himbeersaft, man schweigt, es rinnt mit starkem Strahl aus dem geschwungenen Mund der Karaffe, plätschert ein wenig und ist wie eine kleine Antwort auf das unermüdliche Fließen des Regens draußen, den man die ganze Zeit über hört. Er hüllt, man weiß es, das einsame Haus ein und scheint die beiden Männer noch einsamer zu machen. Allein sind sie. Carl Joseph hebt das Glas, der Wachtmeister tut das Gleiche, der Leutnant schmeckt die süße klebrige Flüssigkeit. Slama trinkt das Glas mit einem Zug leer, Durst hat er, merkwürdigen, unerklärlichen Durst an diesem kühlen Tag. «Rücken jetzt zu den X.-Ulanen ein?» fragt Slama. «Ja, ich kenne das Regiment noch nicht.» «Ich habe einen bekannten Wachtmeister dort, Rechnungsunteroffizier Zenober. Er hat mit mir bei den Jägern gedient, hat sich dann transferieren lassen. Ein nobles Haus, sehr gebildet. Er wird die Offiziersprüfung sicher machen. Unsereins bleibt, wo es gewesen ist. Bei der Gendarmerie sind keine Aussichten mehr.» — Der Regen ist stärker geworden, die Windstöße heftiger, es prasselt immer wieder an die Fenster. — Carl Joseph sagt: «Es ist überhaupt schwer, in unserm Beruf, beim Militär mein ich!» Der Wachtmeister bricht in ein unverständliches Lachen aus, es scheint ihn außerordentlich zu freuen, daß es schwer ist in dem Beruf, den er und der Leutnant ausüben. Er lacht ein wenig stärker, als er möchte. Man sieht es an seinem Mund, der weiter geöffnet ist, als das Lachen erfordert, und der länger offen bleibt, als es dauert. Also ist es einen Augenblick so, als könnte sich der Wachtmeister aus körperlichen Gründen allein schon schwer entschließen, zu seinem alltäglichen Ernst zurückzufinden. Freut es ihn wirklich, daß er und Carl Joseph es so schwer im Leben haben? «Herr Baron belieben», beginnt er, «von ‹unserm› Beruf zu sprechen. Bitte, es


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