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Radetzkymarsch. Йозеф РотЧитать онлайн книгу.

Radetzkymarsch - Йозеф Рот


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Man hat in der Kadettenschule nie etwas darüber gelernt, wie sich ein Offizier in einer ähnlichen Lage zu benehmen hat. Auf jeden Fall lächelt Carl Joseph, ein Lächeln, das wie eine eiserne Klammer seine Lippen herabzieht und zusammenpreßt; es sieht aus, als geize er mit dem Ausdruck des Vergnügens, den der Wachtmeister so unbedenklich verschwendet. Das Himbeerwasser, auf der Zunge soeben noch süß, schickt aus der Kehle einen bittern, schalen Geschmack zurück, man möchte einen Kognak darauf trinken. Niedriger und kleiner als sonst erscheint heute der rötliche Salon, vielleicht vom Regen zusammengepreßt. Auf dem Tisch liegt das wohlbekannte Album mit den steifen glänzenden Messingohren. Alle Bilder sind Carl Joseph bekannt. Wachtmeister Slama sagt: «Gestatten gefälligst?» und schlägt das Album auf und hält es vor den Leutnant hin. In Zivil ist er hier photographiert, an der Seite seiner Frau, als junger Ehemann. «Damals war ich noch Zugführer!» sagt er etwas bitter, als hätte er sagen mögen, daß ihm dazumal bereits eine höhere Charge gebührt hätte. Frau Slama sitzt neben ihm in einem engen, hellen Sommerkleid mit Wespentaille, wie in einem duftigen Panzer, einen breiten weißen Tellerhut schief auf dem Haar. Was ist das? Hat Carl Joseph noch niemals das Bild gesehn? Warum scheint es ihm denn heute so neu? Und so alt? Und so fremd? Und so lächerlich? Ja, er lächelt, als betrachte er ein komisches Bild aus längst vergangenen Zeiten und als wäre Frau Slama ihm niemals nahe und teuer gewesen und als wäre sie nicht erst vor ein paar Monaten, sondern schon vor Jahren gestorben. «Sie war sehr hübsch! Man sieht’s!» sagt er, nicht mehr aus Verlegenheit, wie früher, sondern aus ehrlicher Heuchelei. Man sagt etwas Nettes von einer Toten, im Angesicht des Witwers, dem man kondoliert. Er fühlt sich sofort befreit und von der Toten geschieden, als wäre alles, alles ausgelöscht. Einbildung war alles gewesen! Das Himbeerwasser trinkt er aus, steht auf und sagt: «Ich werde also gehn, Herr Slama!» Er wartet auch nicht, er macht kehrt, der Wachtmeister hat kaum Zeit gehabt, aufzustehen, schon stehn sie wieder im Flur, schon hat Carl Joseph den Mantel an, streift mit Wohlbehagen den linken Handschuh langsam über, dazu hat er plötzlich mehr Zeit, und wie er: «Na, auf Wiedersehn, Herr Slama!» sagt, vernimmt er selbst mit Befriedigung einen fremden hochmütigen Klang in seiner Stimme. Slama steht da, mit gesenkten Augen und mit ratlosen Händen, die auf einmal leer geworden sind, als hätten sie bis zu diesem Augenblick etwas gehalten und soeben fallen gelassen und für immer verloren. Sie reichen einander die Hände. Hat Slama noch etwas zu sagen? — Egal! — «Vielleicht ein anderes Mal wieder, Herr Leutnant!» sagt er dennoch. Ja, er wird es wohl nicht ernstlich glauben, Carl Joseph hat das Angesicht Slamas schon vergessen. Er sieht nur die goldgelben Kanten am Kragen und die drei goldenen Zacken am schwarzen Ärmel der Gendarmeriebluse. Leben Sie wohl, Wachtmeister!

      Es regnet noch immer, milde, unermüdlich, mit einzelnen föhnigen Windstößen. Es ist, als hätte es schon längst Abend sein müssen, und es könnte immer noch nicht Abend werden. Ewig dieses schraffierte, nasse Grau. Zum erstenmal, seitdem er Uniform trägt, ja, zum erstenmal, seitdem er denken kann, hat Carl Joseph das Gefühl, daß man den Kragen des Mantels hochschlagen müßte. Und er hebt sogar für einen Augenblick die Hände und erinnert sich, daß er Uniform trägt, und läßt sie wieder fallen. Es ist, als hätte er eine Sekunde lang seinen Beruf vergessen. Er geht langsam und klirrend über den nassen knirschenden Kies des Vorgartens und freut sich seiner Langsamkeit. Er hat’s nicht nötig, sich zu beeilen; nichts ist gewesen, ein Traum war alles. Wie spät mag es sein? Die Taschenuhr ist zu tief geborgen unter der Bluse, in der kleinen Hosentasche. Schade, den Mantel aufzuknöpfen. Bald wird es ohnehin vom Turm schlagen.

      Er öffnet das Gartengitter, er tritt auf die Straße. «Herr Baron!» sagt plötzlich hinter ihm der Wachtmeister. Rätselhaft, wie unhörbar er gefolgt ist. Ja, Carl Joseph erschrickt. Er bleibt stehn, kann sich aber nicht entschließen, sich sogleich umzuwenden. Vielleicht ruht der Lauf einer Pistole genau in der Mulde, zwischen den vorschriftsmäßigen Rückenfalten des Mantels. Grauenhafter und kindischer Einfall! Fängt alles aufs neue an? «Ja!» sagt er, immer noch mit hochmütiger Lässigkeit, die wie eine mühselige Fortsetzung seines Abschieds ist und ihn sehr anstrengt — und macht kehrt. Ohne Mantel und barhäuptig steht der Wachtmeister im Regen, mit dem nassen, zweiflügeligen Bürstchen und dicken Wasserperlen an der blonden glatten Stirn. Er hält ein blaues Päckchen, kreuzweis mit silbernem Bindfaden verschnürt. «Das ist für Sie, Herr Baron!» sagt er, die Augen niedergeschlagen. «Bitte um Entschuldigung! Der Herr Bezirkshauptmann hat’s angeordnet. Ich hab’s damals gleich hingebracht. Der Herr Bezirkshauptmann hat’s schnell überflogen und gesagt, ich soll’s persönlich übergeben!»

      Es ist einen Augenblick still, nur der Regen prasselt auf das arme blaßblaue Päckchen, färbt es ganz dunkel, es kann nicht länger warten, das Päckchen. Carl Joseph nimmt es, versenkt es in die Manteltasche, wird rot, denkt einen Moment daran, den Handschuh von der Rechten abzustreifen, besinnt sich, streckt die Hand im Leder dem Wachtmeister hin, sagt: «Herzlichen Dank!» und geht schnell.

      Er fühlt das Päckchen wohl in der Tasche. Von dort her, durch die Hand, den Arm entlang, quillt eine unbekannte Hitze auf und rötet noch stärker sein Angesicht. Er fühlt jetzt, daß man den Kragen aufmachen müßte, wie er früher geglaubt hat, ihn hochschlagen zu müssen. Der bittere Nachgeschmack des Himbeerwassers ist wieder im Mund. Carl Joseph zieht das Päckchen aus der Tasche. Ja, es ist kein Zweifel. Das sind seine Briefe.

      Es müßte jetzt endlich Abend werden und der Regen aufhören. Es müßte sich manches in der Welt verändern, die Abendsonne vielleicht noch einen letzten Strahl hierherschicken. Durch den Regen atmen die Wiesen den wohlbekannten Duft, und der einsame Ruf eines fremden Vogels ertönt, niemals hat man ihn hier gehört, es ist wie eine fremde Gegend. Man hört fünf Uhr schlagen, es ist also genau eine Stunde her — nicht mehr als eine Stunde. Soll man schnell gehn oder langsam? Die Zeit hat einen fremden, rätselhaften Gang, eine Stunde ist wie ein Jahr. Es schlägt fünf, ein Viertel. Man hat kaum ein paar Schritte zurückgelegt. Carl Joseph beginnt, schneller auszuschreiten. Er geht über die Geleise, hier beginnen die ersten Häuser der Stadt. Man geht an dem Café des Städtchens vorbei, es ist das einzige Lokal mit einer modernen Drehtür im Ort. Es ist vielleicht gut, einzutreten, einen Kognak zu trinken, im Stehn, und wieder wegzugehn. Carl Joseph tritt ein.

      «Schnell, einen Kognak», sagt er am Büfett. Er bleibt in Mütze und Mantel, ein paar Gäste stehen auf. Man hört das Klappern der Billardkugeln und der Schachfiguren. Offiziere der Garnison sitzen im Schatten der Nischen, Carl Joseph sieht sie nicht und grüßt sie nicht. Nichts ist dringender als Kognak. Er ist blaß, die fahlblonde Kassiererin lächelt mütterlich von ihrem erhabenen Platz und legt mit gütiger Hand ein Stück Würfelzucker neben die Tasse. Carl Joseph trinkt auf einen Zug. Er bestellt sofort das nächste. Er sieht vom Angesicht der Kassiererin nur einen hellblonden Schimmer und die zwei Goldplomben in den Mundwinkeln. Es ist ihm, als täte er etwas Verbotenes, und er weiß nicht, warum es verboten sein sollte, zwei Kognaks zu trinken. Er ist schließlich nicht mehr Kadettenschüler. Warum sieht ihn die Kassiererin so merkwürdig lächelnd an? Ihr marineblauer Blick ist ihm peinlich und das gekohlte Schwarz der Augenbrauen. Er wendet sich um und sieht in den Saal. In der Ecke neben dem Fenster sitzt sein Vater.

      Ja, es ist der Bezirkshauptmann — und was ist daran weiter verwunderlich? Jeden Tag sitzt er da, zwischen fünf und sieben, liest das «Fremdenblatt» und die Amtszeitung und raucht eine Virginia. Die ganze Stadt weiß es, seit drei Jahrzehnten. Der Bezirkshauptmann sitzt da, er betrachtet seinen Sohn und scheint zu lächeln. Carl Joseph nimmt die Mütze ab und geht auf den Vater zu. Der alte Herr von Trotta blickt kurz von seiner Zeitung auf, ohne sie abzulegen, und sagt: «Kommst von Slama?» — «Jawohl, Papa!» — «Er hat dir deine Briefe gegeben?» — «Jawohl, Papa!» — «Setz dich, bitte!» — «Jawohl, Papa!» Der Bezirkshauptmann legt endlich die Zeitung aus der Hand, stützt die Ellenbogen auf den Tisch, wendet sich dem Sohn zu und sagt: «Sie hat dir einen billigen Kognak gegeben. Ich trinke immer Hennessy.»— «Werd’s mir merken, Papa!» — «Trinke übrigens selten.» — «Jawohl, Papa!» — «Bist noch etwas blaß. Leg ab! Der Major Kreidl ist drüben, sieht herüber!» — Carl Joseph erhebt sich und grüßt mit einer Verbeugung den Major. — «War er unangenehm, der Slama?» — «Nein, recht netter Kerl!» — «Na also!» — Carl Joseph legt den Mantel ab. «Wo hast du denn die Briefe?» fragt der Bezirkshauptmann. Der Sohn holt das Päckchen aus der Manteltasche. Der alte Herr von Trotta faßt es an. Er wiegt es in der Rechten,


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