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Professor Unrat. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Professor Unrat - Heinrich Mann


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Le­bens­be­schrei­bung des von Ertz­um­schen On­kels als eine nied­ri­ge Hand­lung. Zu viel durf­te man dem Schlu­cker dort oben nicht er­lau­ben. Loh­mann ent­schloss sich also. Er stand auf, stütz­te die Hän­de auf den Tisch­rand, sah dem Pro­fes­sor neu­gie­rig be­ob­ach­tend in die Au­gen, als habe er einen merk­wür­di­gen Ver­such vor, und de­kla­mier­te vor­nehm ge­las­sen:

      »Ich kann hier nicht mehr ar­bei­ten, Herr Pro­fes­sor. Es riecht auf­fal­lend nach Un­rat.«

      Un­rat mach­te einen Sprung im Ses­sel, spreiz­te be­schwö­rend eine Hand und klapp­te stumm mit den Kie­fern. Hier­auf war er nicht vor­be­rei­tet ge­we­sen – nach­dem er noch so­eben ei­nem Ver­wor­fe­nen die Re­le­ga­ti­on in Aus­sicht ge­stellt hat­te. Soll­te er nun auch die­sen Loh­mann »fas­sen«? Nichts wäre ihm er­wünsch­ter ge­kom­men. Aber – konn­te er es ihm »be­wei­sen«? … In die­sem atem­lo­sen Au­gen­blick reck­te der klei­ne Kie­se­lack sei­ne blau­en Fin­ger mit den zer­bis­se­nen Nä­geln in die Höhe, knall­te mit ih­nen und keif­te ge­quetscht:

      »Loh­mann lässt einen nicht ru­hig nach­den­ken, er sagt im­mer, hier riecht es nach Un­rat.«

      Es ent­stand Ki­chern, und ei­ni­ge scharr­ten. Da ward Un­rat, der schon den Wind des Aufruhrs im Ge­sicht spür­te, von Pa­nik er­grif­fen. Er fuhr vom Stuhl auf, mach­te über das Pult hin­weg ecki­ge Stö­ße nach al­len Sei­ten, wie ge­gen zahl­lo­se An­stür­men­de, und rief:

      »Ins Ka­buff! Alle ins Ka­buff!«

      Es woll­te nicht ru­hig wer­den; Un­rat glaub­te, sich nur noch durch einen Ge­walt­streich ret­ten zu kön­nen. Er stürz­te sich, ehe je­ner es ver­mu­ten konn­te, auf Loh­mann, pack­te ihn am Arm, zerr­te und schrie er­stickt:

      »Fort mit Ih­nen, Sie sind nicht län­ger wür­dig, der mensch­li­chen Ge­sell­schaft teil­haf­tig zu sein!«

      Loh­mann folg­te, ge­lang­weilt und pein­lich be­rührt. Zum Schluss gab Un­rat ihm einen Ruck und ver­such­te, ihn ge­gen die Tür des Gar­de­ro­ben­ge­las­ses zu schleu­dern; doch dies miss­lang. Loh­mann staub­te sich ab an der Stel­le, wo Un­rat ihn an­ge­fasst hat­te, und ver­füg­te sich be­son­ne­nen Schrit­tes in das »Ka­buff«. Da­rauf sah der Leh­rer sich nach Kie­se­lack um. Der aber hat­te sich hin­ter sei­nem Rücken an ihm vor­bei­ge­wun­den und drück­te sich schon, mit ei­ner Frat­ze, in das Ar­rest­lo­kal. Der Pri­mus muss­te den Pro­fes­sor dar­über auf­klä­ren, wo Kie­se­lack sei. Un­ver­mit­telt ver­lang­te nun Un­rat, die Klas­se sol­le durch den Zwi­schen­fall kei­nen Au­gen­blick von der Jung­frau ab­ge­lenkt wor­den sein.

      »Wa­rum schrei­ben Sie nicht? Fünf­zehn Mi­nu­ten noch! Und die un­fer­ti­gen Ar­bei­ten wer­de ich – im­mer mal wie­der – nicht zen­sie­ren!«

      In­fol­ge die­ser Dro­hung fiel den meis­ten über­haupt nichts mehr ein, und es ent­stan­den angst­vol­le Mie­nen. Un­rat war zu er­regt, um eine rech­te Freu­de dar­an zu ha­ben. In ihm war der Drang, je­den je mög­li­chen Wi­der­stand zu bre­chen, alle be­vor­ste­hen­den At­ten­ta­te zu ver­ei­teln, es rings­um­her noch stum­mer zu ma­chen, Kirch­hofs­ru­he her­zu­stel­len. Die drei Re­bel­len wa­ren be­sei­tigt, aber ihre Hef­te, auf­ge­schla­gen auf den Bän­ken, schie­nen ihm noch im­mer den Geist der Em­pö­rung aus­zu­strö­men. Er raff­te sie zu­sam­men und be­gab sich mit ih­nen auf das Ka­the­der.

      Von Ertz­ums und Kie­se­lacks Ar­bei­ten wa­ren müh­se­li­ge und un­ge­len­ke Satz­ge­fü­ge, die nur zu sehr von gu­tem Wil­len zeug­ten. Bei Loh­mann war es so­gleich un­be­greif­lich, dass er kei­ne »Dis­po­si­ti­on« ge­macht hat­te, kei­ne Ein­tei­lung sei­ner Ab­hand­lung in A, B, C, a, b, c und 1, 2, 3. Auch hat­te er nur eine ein­zi­ge Sei­te fer­tig­ge­bracht, die Un­rat mit schnell wach­sen­der Ent­rüs­tung zur Kennt­nis nahm. Es stand dort:

      Die drit­te Bit­te des Dau­phins (»Jung­frau von Or­leans« I 10).

      Die jun­ge Jo­han­na führt sich, ge­schick­ter als ihre Jah­re und ihre bäu­ri­sche Ver­gan­gen­heit es ver­mu­ten lie­ßen, durch ein Ta­schen­spie­ler­kunst­stück bei Hofe ein. Sie gibt dem Dau­phin einen In­halts­aus­zug aus den drei Bit­ten, die er in der letz­ten Nacht an den Him­mel ge­rich­tet hat, und macht durch ihre Fer­tig­keit im Ge­dan­ken­le­sen na­tür­lich star­ken Ein­druck auf die un­wis­sen­den großen Her­ren. Ich sag­te: aus den drei Bit­ten; aber tat­säch­lich wie­der­holt sie nur zwei: die drit­te er­lässt ihr der über­zeug­te Dau­phin. Zu ih­rem Glück: denn sie wür­de die drit­te schwer­lich noch ge­wusst ha­ben. Sie hat ihm bei den bei­den ers­ten ja schon al­les ge­sagt, worum er sei­nen Gott ge­be­ten ha­ben kann, näm­lich: wenn eine noch un­ge­büß­te Schuld sei­ner Vä­ter vor­han­den sei, ihn selbst als Op­fer an­zu­neh­men statt sei­nes Vol­kes; und wenn er schon Land und Kro­ne ver­lie­ren sol­le, ihm we­nigs­tens Zufrie­den­heit, sei­nen Freund und sei­ne Ge­lieb­te zu las­sen. Auf das Wich­tigs­te, auf die Herr­schaft, hat er so­mit schon ver­zich­tet. Was soll er also noch er­be­ten ha­ben? Su­chen wir nicht lan­ge: er weiß es selbst nicht. Jo­han­na weiß es auch nicht. Schil­ler weiß es auch nicht. Der Dich­ter hat von dem, was er wuss­te, nichts zu­rück­be­hal­ten und den­noch ›und so wei­ter‹ ge­sagt. Das ist das gan­ze Ge­heim­nis, und für den mit der we­nig be­denk­li­chen Na­tur des Künst­lers ei­ni­ger­ma­ßen Ver­trau­ten gibt es da­bei nichts zu ver­wun­dern.

      Punk­tum. Das war al­les – und Un­rat, den ein Zit­tern be­schlich, kam jäh zu der Er­kennt­nis: die­sen Schü­ler zu be­sei­ti­gen, vor die­sem An­ste­ckungs­stoff die mensch­li­che Ge­sell­schaft zu be­hü­ten, das drän­ge weit mehr als die Ent­fer­nung des ein­fäl­ti­gen von Ertz­um. Zu­gleich warf er einen Blick auf das fol­gen­de Blatt, wo noch ei­ni­ges ge­krit­zelt stand und das üb­ri­gens halb her­aus­ge­ris­sen im Heft hing. Aber plötz­lich, in dem Au­gen­blick, als er ver­stand, über­flog et­was wie eine rosa Wol­ke die ge­win­kel­ten Wan­gen des Leh­rers. Er schloss das Heft, rasch und ver­stoh­len, als wol­le er nichts ge­se­hen ha­ben; öff­ne­te es noch­mals, warf es gleich wie­der un­ter die bei­den an­de­ren, at­me­te im Kampf. Er emp­fand zwin­gend: da wur­de es Zeit, der muss­te »ge­fasst« wer­den! Ein Mensch, mit dem es da­hin ge­kom­men war, dass er die­se – ge­wiss denn frei­lich – Künst­le­rin Rosa – Rosa – Er griff zum drit­ten Mal nach Loh­manns Heft. Da klin­gel­te es schon.

      »Ab­lie­fern!« stieß Un­rat aus, in der hef­ti­gen Be­sorg­nis, ein Schü­ler, der bis­her nicht fer­tig ge­wor­den war, kön­ne viel­leicht im letz­ten Au­gen­blick noch zu ei­ner be­frie­di­gen­den Note ge­lan­gen. Der Pri­mus sam­mel­te die Auf­sät­ze ein; ei­ni­ge be­la­ger­ten die Tür nach der Gar­de­ro­be.

      »Weg dort! War­ten!« rief Un­rat, in neu­er Angst. Am liebs­ten hät­te er ab­ge­schlos­sen, die drei Elen­den un­ter Ver­schluss be­hal­ten, so­lan­ge, bis er ih­ren Un­ter­gang ge­si­chert ha­ben wür­de. Das ging nicht so rasch, hier muss­te lo­gisch nach­ge­dacht wer­den. Der Fall Loh­mann blen­de­te ihn vor­läu­fig noch durch ein Über­maß von Ver­wor­fen­heit.

      Meh­re­re von den Kleins­ten pflanz­ten sich in be­lei­dig­tem Rechts­ge­fühl vor das Ka­the­der hin.

      »Un­se­re Sa­chen, Herr Pro­fes­sor!«

      Un­rat muss­te das »Ka­buff« frei­ge­ben. Aus dem Ge­drän­ge wi­ckel­ten sich nach­ein­an­der die drei Ver­bann­ten, schon in ih­ren Män­teln. Loh­mann


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