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Das einfache Leben. Ernst WiechertЧитать онлайн книгу.

Das einfache Leben - Ernst Wiechert


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ge­ord­net und selbst­ver­ständ­lich.

      Er fuhr ste­hend hin­über, da die Ru­der­bän­ke nass wa­ren. Das Boot hat­te einen fla­chen Bo­den, und mit je­dem Schlag des lan­gen Ru­ders hob die Spit­ze sich lei­se rau­schend aus dem Was­ser. Zu­erst sah er den Grund, hel­len Sand, über den klei­ne, er­starr­te Wel­len­mar­ken lie­fen, dann wur­de das Was­ser dun­kel, fast schwarz, und grü­ne Ge­wäch­se ho­ben sich schwan­kend aus der Tie­fe auf. Mit­un­ter sprang ein schwe­rer Fisch ins Licht, und ein sil­ber­ner Schein blitz­te matt durch die graue Luft. Dann lie­fen dün­ne Rin­ge über den See, grif­fen über sein Boot hin­aus und erstar­ben wie­der. Es war ihm, als sei er im­mer so ge­fah­ren, als brauch­te es nicht auf­zu­hö­ren und als sei­en Schif­fe und Meer nur ein Traum ge­we­sen, eine ge­spens­ti­sche Ver­grö­ße­rung aus un­ru­hi­gem Schlaf, und nun zie­he sich al­les wie­der zu­recht zu ge­ord­ne­ter und be­schei­de­ner Wirk­lich­keit.

      Der fla­che Kiel stieß lei­se auf den Sand des Ufers, und er stieg aus. Ohne sich um­zu­se­hen, ging er den Hang zum Hau­se hin­auf und klopf­te an die graue Tür. Als nie­mand ant­wor­te­te, trat er ein.

      In dem dämm­ri­gen Licht sah er nur das Feu­er im Herd und eine dunkle Ge­stalt, die hin­ein­starr­te, die Arme auf die Knie ge­stützt, das Kinn in den Hän­den. Da kei­ne Ant­wort auf sei­nen Gruß er­folg­te, ging er um den Mann her­um und setz­te sich auf einen Holz­sche­mel ne­ben dem Herd. Un­ter dem grau­en Haar­busch sah er nun das Ge­sicht des Man­nes, fins­ter, aber nicht böse, wie es un­be­wegt in das Feu­er blick­te, den Wi­der­schein der Flam­me auf der ge­fal­te­ten Stirn und in den fast schwer­mü­ti­gen Au­gen. Ein grau­er Bart hing ihm un­ge­pflegt auf die Brust, und ein dump­fer Ge­ruch von Rauch und Fi­schen ging von ihm aus.

      Es war noch stil­ler hier als auf dem Was­ser, nur das Feu­er knis­ter­te hin­ter der halb­ge­öff­ne­ten Herd­tür. Durch die klei­nen Fens­ter fiel das graue Licht wi­der­wil­lig auf die dunklen Boh­len, aus de­nen die Wän­de zu­sam­men­ge­fügt wa­ren. Net­ze hin­gen an Holz­pflö­cken, und Ru­der stan­den in den Ecken.

      »Na?« sag­te der Mann und sah ein­mal flüch­tig auf.

      Tho­mas er­wi­der­te, dass er sein Nach­fol­ger wer­den wol­le.

      »Nach­fol­ger« sei gut, mein­te der Mann und sah ihn von der Sei­te an. »Thron­fol­ger« sei bes­ser, denn die Thro­ne wa­ckel­ten heu­te, und die­ser ins­be­son­de­re, auf den er sich zu set­zen ge­den­ke, sei mehr als wack­lig.

      Nun, er habe nicht ge­ra­de die Ab­sicht ge­habt, sich auf einen Thron zu set­zen, sag­te Tho­mas.

      Son­dern?

      Son­dern zu ar­bei­ten. Er be­kom­me kein Schiff mehr als Steu­er­mann, und es sei ihm auch zu laut in den Städ­ten.

      Der Mann nahm die Pfei­fe aus dem Mun­de und sah ihn lan­ge an. »Was du doch für ein ko­mi­scher Vo­gel bist«, sag­te er nach­denk­lich. »Bist du ein Ver­klei­de­ter, hm?«

      Nein, er sei nicht ver­klei­det, er­wi­der­te Tho­mas lä­chelnd.

      Tja, heu­te sei al­les mög­lich. Von rechts und von links. Nun, mit dem Lärm, da brau­che er hier nicht ban­ge zu sein. Auf der In­sel sei noch kei­ner von den Bon­zen ge­we­sen, um Re­den an das not­lei­den­de Pro­le­ta­ri­at zu hal­ten. Und ar­bei­ten? Das kön­ne er hier schon, wenn es ihm Spaß ma­che, für die Blut­sau­ger zu ar­bei­ten. Ihm ma­che es kei­nen Spaß mehr.

      Auf See habe nie­mand da­nach ge­fragt, sag­te Tho­mas, für wen er ar­bei­te. Sie woll­ten eben zur See fah­ren, das sei ih­nen Freu­de ge­nug ge­we­sen. Und so wol­le er hier ar­bei­ten, weil es ihm Freu­de ma­chen wer­de.

      »Na ja«, sag­te der Mann. »Warst du schon drü­ben?« Und er deu­te­te mit dem Dau­men über die Schul­ter.

      »Nein.«

      »Nicht un­eben in sei­ner Art, der Ge­ne­ral, aber däm­lich, sage ich dir, furcht­bar däm­lich. So aus der Zeit der Kreuz­zü­ge, ver­stehst du? ›Mein See, mein Wald, mein Schloss!‹ Nicht bei­zu­brin­gen, dass das eben­so mir ge­hört wie ihm. ›Ei­gen­tum ist Dieb­stahl‹, nie was ge­hört da­von. Aber or­dent­lich aus­ge­spro­chen wir bei­de manch­mal, al­les was recht ist … bis auf die Fah­ne.«

      »Wel­che Fah­ne?«

      Der Fi­scher knöpf­te lang­sam den Rock auf, an dem die Fisch­schup­pen glänz­ten, und hol­te aus der Brust­ta­sche sorg­sam ein ro­tes Tuch her­aus, viel­fach zu­sam­men­ge­legt und brü­chig in den Fal­ten. Er brei­te­te es auf sei­nen Kni­en aus und strich mit der schwe­ren Hand dar­über.

      »Dies eben«, sag­te er. »Ich habe sie auf­ge­zo­gen über dem Haus, und je­des Mal sind sie ge­kom­men und ha­ben sie her­un­ter­ge­holt, er und sei­ne Scher­gen. Schließ­lich habe ich ge­kün­digt, Fah­ne muss sein!« Er stütz­te den Kopf wie­der in bei­de Hän­de und starr­te auf das rote Tuch.

      »Aber hier, auf der In­sel?« frag­te Tho­mas. »Muss das sein?«

      »Über­all«, sag­te der Mann fins­ter. »Über der In­sel und über dem Sarg …«

      »Und nun?«

      »Nun? Weiß nicht. In die Stadt zie­hen wahr­schein­lich und ’r­ein­schla­gen in die Ban­de, mit dem Ru­der rechts und links. Kei­ne Lust mehr zu ar­bei­ten. Sech­zig Jah­re ge­ar­bei­tet für einen Dreck, und jetzt kannst du nicht mal die Fah­ne auf­zie­hen, wenn du willst!« Er spuck­te ins Feu­er und nahm einen Schluck aus der wei­ßen Fla­sche.

      Nein, Tho­mas dank­te.

      »Al­les ler­nen, Freund­chen, hier, al­les ler­nen …«, mur­mel­te er fins­ter.

      Tho­mas nahm aus sei­ner Brief­ta­sche ein in Sei­den­pa­pier ge­wi­ckel­tes Päck­chen, dünn wie ein Brief. Er schlug das Pa­pier aus­ein­an­der und nahm einen Tuch­fet­zen her­aus, nicht grö­ßer als eine Hand­flä­che, mit ein­ge­ris­se­nen Rän­dern. Er war schwarz, und nur an ei­ner Ecke, längs ei­ner ge­ra­den Naht, war ein wei­ßer Fleck wie an­ge­hef­tet. »Se­hen Sie«, sag­te er, »das ist nun mei­ne Fah­ne. Sie schlu­gen mich über den Kopf da­mals und war­fen mich über Bord, aber ich ließ nicht los und riss mit der Hand ein Stück her­aus. Ich hielt es noch in der Faust, als sie mich her­aus­fisch­ten, an­de­re, und ich habe es be­hal­ten. Es sieht nicht schlech­ter aus als Ihres, nicht wahr? Nur klei­ner und un­an­sehn­li­cher. Aber auf­zie­hen darf ich sie auch nicht mehr, das ha­ben wir nun ge­mein­sam.« Er lä­chel­te und ließ den Schein des Feu­ers über das Tuch spie­len.

      »Also doch ver­klei­det!« sag­te der Fi­scher, beug­te sich aber vor und sah auf den Fah­nen­rest in Tho­mas’ Hand.

      »Schlech­te Far­ben«, sag­te er be­küm­mert, »ha­ben vie­le dran glau­ben müs­sen … alle far­ben­blind … hin­ein mit ›Hur­ra!‹ und kopf­über auf den Grund … so dumm die Welt, so furcht­bar dumm …«

      »Auch Sie wer­den kopf­über auf den Grund ge­hen, in der Stadt«, sag­te Tho­mas.

      Der Mann fuhr mit der Hand waa­ge­recht durch die Luft. »Egal!« sag­te er. »Wer­de aber ei­ni­ge mit­neh­men, und dies kommt auf mei­nen Sarg!«

      Er fal­te­te das Tuch wie­der zu­sam­men und barg es un­ter sei­nem Rock. »Mit Sech­zig hat man kei­ne Angst mehr, Freund­chen … ver­wah­re auch du dei­nes, hat mir ge­fal­len, auch wenn du ver­klei­det bist. Wer sich über den Schä­del hau­en lässt da­für, ist or­dent­lich. Die an­de­ren knei­fen nur den Schwanz ein wie die Kö­ter.«


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