Das einfache Leben. Ernst WiechertЧитать онлайн книгу.
du sehen, ob sie kommen, Rote oder Schwarze oder Schwarzweißrote. Sauberer Platz für ein Maschinengewehr, aber ich hatte keins … nun pass auf! Reusen und Stellnetze in die beiden Buchten! Bei Ostwind hier, bei Westwind dort. Vor dem Gewitter überall. Bei Nordwind zu Hause bleiben und Netze trocknen. Krebsreusen dort entlang! Zwei bis drei Meter tief. Wenn du was nicht weißt, nicht den General fragen, sondern durch das Fließ dort in den nächsten See fahren. Da lebt der Alte, achtzig oder hundert Jahre alt. Heißt Peter, die Leute sagen Petrus. Habe ihn aber noch nicht auf den Wellen wandeln sehen. Weiß alles von den Fischen, spricht mit ihnen, weiß, wann sie ziehen und wann nicht, sieht in die Zukunft und priemt … wie heißt du übrigens?«
»Thomas.«
»Na also, die ganze Jüngerschaft zusammen … und ich heiße Christoph und kann euch über das Wasser tragen … will übrigens gar nicht, dass du viel fängst, der Alte. Stadtmenschen sollen verhungern, meint er. Hast ein gutes Leber hier, wenn du was ausgefressen hast und dich verkleiden musst. Kommt hier keiner schnüffeln, nicht mal der Fischmeister. Angst vor dem Alten … Aber ist nicht immer so wie jetzt, Freundchen. Kommen dunkle Tage, wenn der Schneesturm dir über den Schornstein heult. Denkst an alles, was du falsch gemacht hast, ist keiner da, der mit dir eine Pfeife raucht. Bloß das Eis brüllt im See, und die Füchse bellen, und manchmal heult der Wolf aus den Schonungen. Dann fängst du an zu trinken, Freundchen, weil wir nichts anderes haben als Schnaps, verstehst du? Wer in keiner goldenen Wiege gelegen hat, kann seine Netze stellen wie er will, sechzig oder achtzig Jahre lang, geht ihm doch der Fisch mit der Goldkrone nicht hinein. Ob du Rot hier aufziehst oder Schwarzweißrot,1 das bleibt sich alles gleich … und still wirst du, sage ich dir, so still wie ein Stein auf dem Grund …«
Er fuhr mit der Hand durch den leeren Raum und stieg die Leiter wieder abwärts. »Stimmt alles mit den Netzen«, sagte er an der Haustür, »keines zu viel und keines zuwenig. Nur mit den Mäusen muss du aufpassen im Winter, dass sie dir keinen Schaden machen … Heute Abend gehe ich los, der Kahn liegt da an der hohen Fichte.«
Er stand schon in der geöffneten Tür, und Thomas schien es, als sei er der Geist dieser Insel, grau, verwittert und gebeugt, und als würde er selbst nach zwanzig Jahren auch so dastehen. Das Tor der Zukunft tat sich in geräuschlosen Angeln auf, mit blitzenden Flügeln, einen Herzschlag lang. Er sah sich, wie eine Vision, auf der Schwelle stehen und sich umwenden wie jener, nur mit einem anderen Gesicht, und dann hineingehen und vor dem Feuer niedersitzen. Der Schein der Flamme spielt über den Globus, Länder und Meere, Berge und Ströme. Er hat den Kopf in die Hände gestützt und blickt darüber hin, ohne Wunsch und Begehren, vieles hinter sich, wenig vor sich, ein einsamer Mann, schweigsam wie die Steine auf dem Grund.
»Ich werde ihn fangen, Christoph«, sagte er, »den mit der goldenen Krone … ich werde ihn fangen!«
Aber der andere verzog nur die Lippen über dem grauen Bart, winkte mit der Hand und ging hinein.
Eine unsichtbare Uhr schlug elf helle Schläge, als Thomas vor der Schlosstreppe stand. Das Schloss war nicht mehr als ein großes Gutshaus, mit einem hohen braunen Dach über zwei Flügeln. Doch lag es breit und stattlich über der Seebucht, und der Efeu, der bis an die Fenster des oberen Stockwerks rankte, ließ es alt und ganz auf sich zurückgezogen erscheinen. Das Wappen über der schweren Tür war so verwittert, dass es nicht mehr als eine gepanzerte Faust erkennen ließ, die etwas trug, aber es konnte ein Lilienstengel wie eine Streitaxt sein. Der Park hinter dem Hause musste gleich in den Wald übergehen, hinter dem Hof aber hob sich gerade der dünne Nebel über dunklen Feldern, die erst vom Horizont begrenzt schienen. Ein blaues Tor tat sich zwischen den ziehenden Wolken auf, und ein heller Schein fiel auf die regennasse Erde, auf die leuchtenden Dächer und auf die Spitze der Fahenenstange, die sich über der Mitte des Hauses erhob.
Dann stieg Thomas die Stufen hinauf. Er läutete an einem alten Glockenzug, und die schwere Tür wurde von einem Riesen in altertümlicher Uniform geöffnet. Thomas meinte, sie müsse aus der Zeit Friedrichs des Großen stammen, mit weißem Lederzeug und verschnürtem Rock, doch trug der Mann keine Bärenmütze, sondern kurz verschnittenes Haar, sah auch so aus, als hätte man ihn eben vom Pfluge fortgeholt und er hätte sich dort wohler befunden als in seinem gegenwärtigen Amt.
»Der Herr General lassen bitten«, sagte er düster und half Thomas aus dem Mantel. Es klang, als liege der General im Sterben.
Thomas nahm mit einem Blick die riesige Halle wahr, die bis in das obere Stockwerk reichte, eine schöne und breit aufsteigende Treppe von dunkelbraunem, glänzendem Holz, Schaufeln, Geweihe, Vögel, Waffen, Ahnenbilder, einen riesigen Feuerplatz, in dem ein ganzer Baumstumpf verkohlte, und im Hintergrund, zu beiden Seiten einer zweiflügligen Tür, zwei alte Kanonen aus mattglänzendem Metall, die dunklen Münder drohend auf den Eingang gerichtet.
Doch standen keine Kanoniere neben ihnen, mit brennenden Lunten etwa, wie Christoph erzählt hatte, bereit, das Feuer sofort auf jeden zu eröffnen, der es etwa an Haltung oder Gesinnung gleich beim Eintritt sichtbar fehlen ließe. Aber auch eine Regimentskapelle, ein Schellenbaum und Bombardon, wie Thomas sie eher vermutet hätte, war nicht sichtbar, sodass er guten Mutes, wenn auch etwas verwirrt von dem Anblick düsterer Feierlichkeit, dem riesigen Grenadier oder was er sonst sein mochte, durch ein büchergefülltes Vorzimmer bis an die Eichentür folgte, an der dieser nun deutlich, aber doch in geziemender Bescheidenheit klopfte.
Eine etwas heisere Stimme rief »Herein!«, der Große öffnete die Tür, trat oder sprang vielmehr mit erstaunlicher Gewandtheit über die Schwelle, schlug daneben die Absätze seiner Schuhe unter den geschnürten Gamaschen zusammen und meldete mit heller Stimme: »Der Herr Christoph Nachfolger, Herr General!«
Ein kleiner, breiter Mann mit grauer Litewka2 hob den Kopf von den Papieren auf seinem Schreibtisch, sagte »Schafskopf!« zu dem Riesen und winkte Thomas mit der Hand, näher zu treten. Er wies auf einen Stuhl an der Schmalseite des Tisches, wartete, bis der Riese das Zimmer verlassen hatte, und blickte dann Thomas an.
Dieser meinte, sein Gesicht schon als Kind gesehen zu haben, in der vielbändigen »Geschichte der Eroberung des indischen Reiches«, die in den Bücherschränken seines Vaters gestanden hatte, ganz unten, sechs dunkelbraune, schwere Bände, und in denen er die Bilder vor allem liebte, in matten Wasserfarben, unzureichend für die Glut jener Landschaften, aber erfüllt von seltsamen Menschen, Tieren und Pflanzen. Dort, inmitten edelsteinbedeckter Maharadschas und dämonischer Tempel, hatte es auch Porträts der Eroberer gegeben, Soldaten, Kapitäne und Könige des Handels, mit brauner Haut und weißem buschigem Haar, mit strengen, mitunter grausamen Lippen und kindlich gebliebenen