Nana. Emile ZolaЧитать онлайн книгу.
hast recht, man kommt hier um“, sagte Fauchery zu seinem Vetter, als er dem Kreis der Damen entronnen war. „Wir verschwinden gleich.“
Doch Steiner, den Graf Muffat und der Abgeordnete soeben verlassen hatten, kam wütend und schwitzend herbei und brummte halblaut:
„Verflucht! Dann sagen sie eben nichts, wenn sie nichts sagen wollen . . . Ich werde schon welche finden, die reden.“ Dann drängte er den Journalisten in eine Ecke, schlug einen anderen Ton an und sagte mit Siegermiene: „Also, auf morgen . . . Ich bin dabei, mein Bester!“
„Ah!“ machte Fauchery erstaunt.
„Sie wußten nicht Bescheid? — Na, ich habe große Mühe gehabt, sie zu Hause anzutreffen! Außerdem ließ mich Mignon nicht mehr aus den Augen.“ „Aber die Mignons sind doch dabei.“
„Ja, sie hat es mir gesagt . . . Schließlich hat sie mich doch empfangen und mich eingeladen . . . Punkt Mitternacht, nach dem Theater.“ Der Bankier strahlte. Er zwinkerte mit den Augen und fügte hinzu, wobei er seinen Worten eine besondere Bedeutung verlieh: „Haben Sie es geschafft?“
„Was denn?“ fragte Fauchery, der so tat, als verstehe er nicht. „Sie hat mir für meinen Artikel danken wollen. Und da ist sie zu mir gekommen.“
„Ja, ja . . . Sie haben Glück. Sie werden belohnt . . .Übrigens, wer zahlt eigentlich morgen?“
Der Journalist breitete die Arme aus, wie um zu erklären, daß das nie zu erfahren gewesen sei.
Doch Graf de Vandeuvres rief Steiner, der Herrn von Bismarck kannte.
Frau du Joncquoy war beinahe überzeugt. Sie schloß mit folgenden Worten.
„Er hat einen schlechten Eindruck auf mich gemacht. Ich finde, er hat ein bösartiges Gesicht . . . Aber ich will gerne glauben, daß er viel Geist hat. Das erklärt seine Erfolge.“
„Zweifellos“, sagte der Bankier, ein Jude aus Frankfurt, mit blassem Lächeln.
Indessen wagte es La Faloise, der seinem Vetter zusetzte, ihm diesmal die Frage vertraulich zuzuflüstern:
„Es wird also morgen abend bei einer Frau soupiert? — Bei wem eigentlich? Bei wem?“
Fauchery machte ihm ein Zeichen, daß man ihnen zuhöre; man müsse sich schicklich benehmen.
Von neuem hatte sich soeben die Tür geöffnet, und eine alte Dame trat ein; ihr folgte ein junger Mann, in dem der Journalist den Wildfang wiedererkannte, der bei der „Blonden Venus“ das berühmte „Fabelhaft!“, von dem man noch immer sprach, von sich gegeben hatte. Die Ankunft dieser Dame brachte Bewegung in den Salon. Eilfertig hatte sich Gräfin Sabine erhoben, um ihr entgegenzugehen; sie hatte ihre beiden Hände ergriffen und nannte sie ihre liebe Madame Hugon. Da La Faloise sah, daß sein Vetter diese Szene neugierig beobachtete, unterrichtete er ihn mit einigen kurzen Worten, um ihn zu erweichen: Madame Hugon, Witwe eines Notars, die sich nach Les Fondettes, einem alten Besitztum ihrer Familie bei Orleans, zurückgezogen habe, behalte in Paris in einem Haus, das sie in der Rue de Richelieu besitze, eine Stadtwohnung bei, verbringe dort augenblicklich einige Wochen, um ihren jüngsten Sohn unterzubringen, der sein erstes Jahr Jura studiere, sei früher eine enge Freundin der Marquise de Chouard gewesen und habe die Geburt der Gräfin miterlebt, die sie vor ihrer Heirat monatelang bei sich behalten hätte und die sie sogar noch duze. „Ich habe dir Georges mitgebracht“, sagte Frau Hugon zu Sabine. „Er ist groß geworden, hoffe ich!“
Der junge Mann mit seinen hellen Augen und seinem blonden Haar eines als Junge verkleideten Mädchens begrüßte die Gräfin zwanglos und erinnerte sie an eine Partie Federball, die sie vor zwei Jahren in Les Fondettes zusammen gespielt hatten.
„Philippe ist nicht in Paris?“ fragte Graf Muffat.
„O nein“, antwortete die alte Dame. „Er ist immer noch in Garnison in Bourges.“
Sie hatte sich gesetzt und sprach stolz von ihrem ältesten Sohn, einem großen Burschen, der eben, nachdem er sich aus einer Unüberlegtheit heraus zum Militär gemeldet hatte, sehr schnell den Rang eines Leutnants erreicht hatte. Alle diese Damen umringten sie mit ehrerbietiger Sympathie. Die Unterhaltung kam liebenswürdiger und feiner wieder in Gang. Und wie Fauchery diese ehrwürdige Frau Hugon dort sah, dieses mütterliche, von einem so gutmütigen Lächeln erhellte Gesicht zwischen den breiten Strähnen weißen Haares, fand er es lächerlich von sich, Gräfin Sabine einen Augenblick lang verdächtigt zu haben.
Doch eben hatte der große Sessel mit roter Seidenpolsterung, in den sich die Gräfin setzte, seine Aufmerksamkeit erregt. In diesem verräucherten Salon fand er seinen Farbton brutal und seine Extravaganz verwirrend. Der Graf hatte dieses Möbelstück von wollüstiger Trägheit bestimmt nicht hereingebracht. Man hätte es für einen Versuch halten können, für den Anfang eines Verlangens und Genießens. Dann vergaß er sich träumend und kam trotzdem auf jene unklare vertrauliche Mitteilung zurück, die man ihm eines Abends im Nebenzimmer eines Restaurants gemacht hatte. Von sinnlicher Neugierde getrieben, hatte er gewünscht, bei den Muffats eingeführt zu werden; da sein Freund nun in Mexiko geblieben war . . . Wer weiß? — Man mußte abwarten. Zweifellos war das eine Dummheit, doch der Gedanke quälte ihn; er fühlte sich angezogen, weil sein Laster geweckt worden war. Der große Sessel sah zerknittert aus, die Rückenlehne in Unordnung gebracht, was ihn jetzt belustigte.
,,Na, brechen wir auf?“ fragte La Faloise, wobei er hoffte, draußen den Namen der Frau zu erfahren, bei der soupiert werden sollte.
„Gleich“, antwortete Fauchery. Und er hatte keine Eile mehr; als Vorwand nahm er sich die Einladung, die auszusprechen man ihn beauftragt hatte und die nicht leicht anzubringen war.
Die Damen sprachen von einem Eintritt ins Kloster, einer sehr ergreifenden Zeremonie, über die die Pariser Gesellschaft seit drei Tagen tief bewegt war. Die älteste Tochter der Baronin de Fougeray war nämlich aus einer unwiderstehlichen Berufung heraus soeben bei den Karmeliterinnen eingetreten. Frau Chantereau, eine weitläufige Kusine der Fougerays, erzählte, die Baronin habe sich am folgenden Tage ins Bett legen müssen, so sehr hätten die Tränen sie erstickt.
„Ich habe jedenfalls einen sehr guten Platz gehabt“,, erklärte Léonide. „Ich fand das spannend.“
Frau Hugon jedoch bedauerte die arme Mutter. Welch ein Schmerz, so eine Tochter zu verlieren!
„Man beschuldigt mich, Frömmlerin zu sein“, sagte sie mit ihrer ruhigen Offenheit. „Das hindert mich nicht daran, die Kinder, die sich einen solchen Selbstmord in den Kopf setzen, sehr grausam zu finden.“
„Ja, es ist etwas Schreckliches“, murmelte die Gräfin mit einem leichten fröstelnden Zittern und kuschelte sich noch tiefer in ihren großen Sessel vor dem Feuer.
Darauf verfielen die Damen in eine eingehende Erörterung. Ihre Stimmen blieben jedoch zurückhaltend; zuweilen zerschnitt leichtes Lachen den Ernst der Unterhaltung. Die beiden Kaminlampen, die mit rosa Spitze bespannt waren, beleuchteten sie schwach; und auf weiter entfernt stehenden Möbeln waren lediglich noch drei Lampen, die den geräumigen Salon in sanftem Schatten ließen.
Steiner langweilte sich. Er erzählte Fauchery ein Abenteuer jener kleinen Frau de Chezelles, die er einfach kurz Léonide nannte; ein kleines Luder, sagte er, die Stimme senkend, hinter den Sesseln der Damen.
Fauchery betrachtete sie in ihrer großen Robe aus blaßblauem Atlas, wie sie drollig auf einer Ecke ihres Sessels saß, dünn und keck wie ein Junge, und am Ende war er überrascht, sie hier zu sehen; bei Caroline Héquet, deren Mutter das Haus seriös aufgezogen hatte, hatte man eine bessere Haltung. Das war ein richtiger Stoff für einen Artikel. Was für eine merkwürdige Welt war doch diese Pariser Gesellschaft! Die steifsten Salons wurden in Mitleidenschaft gezogen. Offensichtlich mußte dieser schweigsame Théophile Venot, der sich zu lächeln begnügte, wobei er seine schlechten Zähne zeigte, ein Vermächtnis der verstorbenen Gräfin sein, ebenso wie die Damen reifen Alters, Frau Chantereau, Frau du Joncquoy, und vier oder fünf Greise, die unbeweglich in den Ecken saßen. Graf Muffat brachte Beamte mit, die jene korrekte Haltung hatten, die man in den Tuilerien bei