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Bodies. Im Kampf mit dem Körper. Susie OrbachЧитать онлайн книгу.

Bodies. Im Kampf mit dem Körper - Susie  Orbach


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komplexe gesellschaftliche und individuelle Ideen und Gefühle steckten, die sich nicht direkt zu äußern vermochten. Seit meinem Antidiätbuch und meinem Buch Hungerstreik (in England 1976 und 1986 erschienen) haben sich die Probleme, die ich damals zu beschreiben versuchte, massiv ausgebreitet: Essstörungen und Körperunbehagen sind heute für viele Menschen und viele Familien Teil des Alltagslebens. Da immer mehr Länder Anschluss an die globale Kultur erlangen, gelten die symbolischen Bedeutungen, die Dick- und Dünnsein beigemessen werden, inzwischen in den Köpfen vieler Menschen, deren Hauptsorge es noch vor kurzer Zeit war, genug zu essen zu bekommen. Heute zeigen »richtige« Ernährung und die »richtige« Figur die Zugehörigkeit zur modernen Welt an; »nicht richtige« Ernährung und eine »nicht richtige« Figur hingegen stehen für ein beschämendes Versagen oder für die Ablehnung der Werte, an denen wir uns zu orientieren haben. In diesem Kontext erweist sich Freuds Verständnis der symbolischen Bedeutungen im Leben des Individuums zwar nach wie vor als gültig, aber auch als begrenzt. Dass die Einzelnen wie auch das Kollektiv zunehmend Veränderungen des eigenen Körpers erstreben, deutet darauf hin, dass wir die Entwicklungstheorie – unser Verständnis des Übergangs von der frühen Kindheit bis ins Erwachsenenleben – mit den Auswirkungen gegenwärtiger gesellschaftlicher Praktiken zusammenbringen müssen.

      Die letzten vierzig Jahre haben unser Verständnis dessen, was psychische Konflikte mit dem Körper anstellen können, erweitert. Sie haben deutlich gemacht, dass wir es mittlerweile mit einer Krise des Körpers selbst zu tun haben. Das hat mich dazu gebracht, das gesamte Konzept des Körpers als eines Organismus, der sich von der Geburt an nach seinen genetischen Vorgaben entfaltet und nur in bestimmten Schlüsselstadien dieser Entwicklung von der Psyche (und der Ernährung) beeinflusst wird, infrage zu stellen. Wenn der Körper nicht mehr etwas im Grunde Stabiles ist, müssen wir neu über das primäre Terrain unserer menschlichen Körperlichkeit nachdenken. Wir brauchen eine körperliche Entwicklungstheorie, parallel zu existierenden Theorien der psychischen Entwicklung. Wir wissen, dass die Entwicklung des Kindes eine Beziehung zu einem oder mehreren »anderen« erfordert, und meine These lautet: So wie innerhalb dieser Beziehung das Seinsverständnis, das Wesen dieser Psyche-zu-Psyche-Beziehung enkodiert wird, so beruht auch die Entwicklung des körperlichen Selbstgefühls auf der Körper-zu-Körper-Beziehung des Kindes zu seinen Bezugspersonen. In dem Maß, wie wir von Psycho- und Körpertherapeut*innen, Neuropsychoanalytiker*innen und Neuropsycholog*innen lernen, werden wir zu einer psychosomatischen Theorie der menschlichen Entwicklung finden. Oder, wie der Neurowissenschaftler Daniel Glaser über die Jahre mir gegenüber in hilfreichen Privatgesprächen vorschlug, zu einer umfassenderen Theorie des Geistes, die den Körper einbezieht, was gegenwärtig nicht auf sinnvolle Weise geschieht. Außerhalb der Psychoanalyse wird derzeit das Gros der Theoriebildung von der Beschäftigung mit dem Gehirn und seiner Verschaltung dominiert. Die herausragendsten Vertreter*innen dieser Schulen begreifen das Bewusstsein als emergente Eigenschaft des Gehirns.[18]

      Das Gehirn spielt die entscheidende Rolle bei der neuronalen Kartierung des Körperschemas, und Ramachandrans Arbeiten beispielsweise haben gezeigt, dass das Phänomen der Phantomgliedmaßen auf einer Umkartierung beruht. In Kapitel 2 werden wir uns außerdem mit der Bedeutung des prämotorischen Kortex und des Spiegelneuronensystems befassen und der Wichtigkeit von Berührung für die Ausschüttung von chemischen Substanzen im Gehirn nachgehen. Ich hätte großes Interesse daran, anhand von Bildgebungsstudien zu erfahren, wie Körper-zu-Körper-Beziehungen, von förderlichen bis hin zu schädlichen, unsere neuronalen Verschaltungen beeinflussen. Ein weiteres interessantes Forschungsprojekt wäre die Untersuchung der Mechanismen, über die sich unsere bildergesättigte Kultur auf den visuellen Kortex auswirkt.

      Dies sind meine klinischen Ausgangspunkte und meine theoretischen Vorschläge. Auf der moralischen Ebene schmerzt und beunruhigt mich die homogene visuelle Kultur, mit der uns Industrien überziehen, deren Profite auf dem Schüren von Körperunsicherheit beruhen und deren Schönheitsterror so viele Menschen schädigt. Millionen kämpfen täglich mit negativen Gefühlen und Scham wegen ihrer körperlichen Erscheinung. Das ist für viele Menschen ein großes Problem und kann sich in vielerlei Form manifestieren.[19] Dass es ein privater Kampf ist, der sich als Eitelkeit äußern oder fälschlich dafür gehalten werden mag, macht es in keiner Weise trivial. Nur weil es heute so normal ist, sich mit dem eigenen Körper oder Teilen desselben unwohl zu fühlen, spielen wir herunter, wie schwerwiegend solche Körperprobleme sind: Sie sind eine versteckte Gesundheitskatastrophe, die sich nur ansatzweise in den Statistiken über selbstverletzendes Verhalten, Übergewicht und Anorexie zeigt – den sichtbarsten Symptomen einer viel umfassenderen Körperunsicherheit.

      Obwohl Menschen wie Andrew Extremfälle des Leidens am eigenen Körper darstellen, sind sie doch in gewisser Weise emblematisch für den heutigen Fokus auf das, was an unserem Körper nicht »stimmt«, und das Gefühl, diesen Körper als ein persönliches Arbeitsprojekt begreifen zu können und zu müssen. Die Unzufriedenheit mit dem Körper zu überwinden, ist heute ein weitverbreitetes Thema. Es ist Gegenstand quälender innerer Auseinandersetzung, individueller Verantwortung und politischer Bestrebungen, insbesondere, wenn es um den »maßlosen« Körper geht. Wenn das britische Gesundheitsministerium und das Ministerium für Jugend, Bildung und Familie, ohne sich lächerlich zu machen, die »Geißel« Adipositas (Fettleibigkeit) mit den Gefahren des Klimawandels auf eine Ebene stellen können, zeigt dies die gegenwärtige Verwirrung und Panik in Bezug auf den Körper, die Ignoranz und Leichtgläubigkeit – in diesem Fall dem Mythos »Adipositas« gegenüber – hervortreibt. Diese Grundeinstellung zum Körper ist kennzeichnend für unsere Zeit. Der Körper gilt als etwas, das außer Kontrolle ist und der Disziplinierung bedarf. Essen ist eine Ebene davon, Sexualität, Alkohol und Drogen sind weitere. Die Kehrseite dieser Einstellung ist der Glaube, dass so gut wie alles am Körper vom Individuum verändert werden kann. Biologische Gegebenheiten waren einmal – Pigmentierung, Nasenform, Lippenform und Alterungszeichen gelten allesamt als korrigierbar. Motor des Strebens nach körperlicher Umgestaltung ist die Kategorisierung von Körpern nach Merkmalen von race – Weiß, Schwarz etc. – und dann nach Klassenmerkmalen – die Körper der Arbeiter*innenschicht,[20] Mittelschicht und oberen Mittelschicht unterschieden sich einst in Aussehen, Bewegung, Kleidung und Art zu sprechen –, woraufhin schließlich der einzelne Körper je nach Alter, Statur und Übereinstimmung mit Schönheitsnormen eine spezifische Akzeptanz und Behandlung erfährt. Wenn Körper- oder Gesichtsmerkmale das Individuum einer benachteiligten Gruppe zuordnen, rufen diese Merkmale Stigmatisierung und Geringschätzung hervor.[21] An diesem Punkt entsteht dann eine Industrie, die die Umwandlung dieser körperlichen Marker als Ausweg aus der gesellschaftlichen Festlegung anbietet.

      Nur noch wenige Körper stellen heute Dinge her. In der westlichen Welt haben Automatisierung, mechanisierte Landwirtschaft, vorgefertigte Produkte von Nahrungsmitteln bis zu Häusern, motorisierter Transport, Hightech-Kriegsführung etc. einen Großteil der schweren körperlichen Arbeit ersetzt. Wir reparieren auch kaum noch Dinge, weil Massenproduktion heißt, dass es billiger ist, den Toaster zu ersetzen, als das zur Reparatur nötige Teil zu bekommen. Unser Verhältnis zur Physis verändert sich. Wo einst arbeitende Körper durch muskelbildende körperliche Schwerarbeit geformt wurden, hinterlassen heute schlecht bezahlte Jobs im Dienstleistungsbereich und computerbasierte Jobs quer durch die Schichten keine solchen physischen Indikatoren mehr. Ja, viele von uns müssen sich schon gezielt bemühen, sich bei der Arbeit oder während ihres gesamten Tagesablaufs überhaupt noch zu bewegen. Früher war es ein Privileg der begüterten Schichten, die keine körperliche Arbeit leisteten, sich zum Zeitvertreib und als soziale Kennzeichnung zu schmücken und zu verschönern. Im Zuge einer Modernisierung und Demokratisierung dieser Sitte sind wir heute alle dazu angehalten. Daher beobachten wir etwas Neues. Der Körper ist zu einer Form von Arbeit geworden. Er verwandelt sich vom Produktionsmittel in das zu Produzierende.

      Den Fallout dieser Veränderung sehen wir in den Sprechzimmern von Psychotherapeut*innen, Psycholog*innen, Psychoanalytiker*innen und Ärzt*innen. Hier finden wir immer häufiger das, was ich Körperinstabilität und Körperscham nenne. Es wird immer offensichtlicher, dass unser Körperverständnis auf neue Erklärungen und Theorien angewiesen ist. Ob es um die Bereitschaft und den Wunsch so vieler Menschen geht, die Größe oder Form ihres Penis, ihrer Brüste, ihres Gesäßes oder Bauchs zu verändern, ob wir uns bemühen, das Erleben eines Mannes mit einem Phantomglied zu verstehen, quälende psychosomatische


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