Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 2. Augustinus von HippoЧитать онлайн книгу.
besitzen werden“. Diese Stelle aus dem Apostelbrief, in ihrer Gesamtheit betrachtet, soweit es für den vorliegenden Gegenstand nötig erscheint, wird die Frage entscheiden können, was nach dem Fleische leben heißt. Unter Werken des Fleisches, die der Apostel da offenkundig nennt und verurteilt, nachdem er sie aufgezählt hat, finden wir nicht nur solche der Fleischeslust, wie Hurereien, Unreinigkeiten, Geilheit, Trunksucht, Völlerei, sondern auch solche, die Geistessünden bezeichnen und mit der Fleischeslust nichts zu tun haben. Leicht erkennt jeder, daß Dienstbarkeit, den Götzen erwiesen, Zauberei, Feindschaft, Zank, Eifersucht, Erregtheit, Uneinigkeit, Ketzerei, Neid Geistessünden sind, nicht Fleischessünden. Es kann ja sogar vorkommen, daß man sich um des Götzendienstes oder um eines ketzerischen Irrtums willen Enthaltung von leiblichen Lüsten auferlegt; und dennoch lebt der Mensch auch dann, mag er schon die Gelüste des Fleisches zähmen und beherrschen, nach dem Ausspruch des Apostels unzweifelhaft nach dem Fleische, und es zeigt sich, daß er in eben seiner Enthaltung von Fleischeslust verdammliche Werke des Fleisches übt. Feindschaften haben doch ihren Sitz im
Geiste; niemand würde sich einem wirklichen oder vermeintlichen Feinde gegenüber der Ausdrucksweise bedienen: „Du hast böses Fleisch wider mich“, sondern man sagt: „Du hast bösen Geist wider mich“. Und endlich wie man, hörte man von Fleischlichkeiten, um mich so auszudrücken, solche sofort mit dem Fleisch in Zusammenhang brächte, so zweifelt niemand, daß die Erregtheit zu den Geistesregungen gehört. Wenn also der Apostel, der Lehrer der Heiden im Glauben und in der Wahrheit, alle diese und ähnliche Dinge Werke des Fleisches nennt, so geschieht es nur deshalb, weil er nach der Redefigur, bei der das Ganze durch den Teil bezeichnet wird, den Menschen selbst unter dem Fleisch verstanden wissen will..
3. Die Ursache der Sünde ging aus der Seele hervor, nicht aus dem Fleische; und die durch die Sünde eingetretene Vergänglichkeit ist nicht Sünde, sondern Strafe.
Stellt man das Fleisch als die Ursache aller sittlichen Gebrechen hin mit Berufung darauf, daß eben nur die vom Fleische beeinflußte Seele ein solches Leben führt, so heißt dies doch, die Gesamtnatur des Menschen außer Auge lassen. Freilich „beschwert der vergängliche Leib die Seele“[10] . Und deshalb äußert sich auch der Apostel, wo er von diesem vergänglichen Leibe handelt, über den er die Worte vorausschickt[11] : „Wenn auch unser äußerer Mensch der Vergänglichkeit unterworfen ist“, wie folgt[12] : „Wir wissen, daß wir, wenn dieses unser irdisches Wohnhaus aufgelöst wird, ein Gebäude von Gott empfangen, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, ein ewiges im Himmel. Wir seufzen ja danach, voll Verlangen, mit unserer himmlischen Wohnung überkleidet zu werden; wenn wir freilich auch bekleidet, nicht nackt erfunden werden. Denn die wir in dieser irdischen Wohnung sind, seufzen beschwert, und wollen darin nicht entkleidet, sondern überkleidet werden, damit das Sterbliche vom Leben verschlungen werde“. Wir fühlen uns also einerseits beschwert durch den vergänglichen Leib, wollen aber andrerseits dieses Leibes nicht entkleidet, sondern mit seiner Unsterblichkeit bekleidet werden, wohl wissend, daß nicht Natur und Wesen des Leibes, sondern seine Vergänglichkeit die Ursache der Beschwernis ist. Denn er wird auch im Jenseits vorhanden sein, aber er wird nicht beschwerlich fallen, weil er nicht mehr vergänglich ist. Also zurzeit beschwert der vergängliche Leib die Seele, und die irdische Einwohnung drückt nieder den Geist, den vieles erwägenden“. Allein wer alle Übel der Seele dem Leib auf Rechnung schreibt, ist im Irrtum.
Platos Anschauung allerdings legt Vergil[13] in prächtigen Versen dar mit den Worten:
„All diese Samen des Lebens
Sind voll feuriger Kraft, vom Himmel gekommen, soweit nicht
Lästiger Körper Schwere sie drückt, nicht irdische Hülle
Sterblicher Glieder sie hemmt“;
und um zu verstehen zu geben, daß all die vier wohlbekannten Gemütserregungen[14] : Begierde, Furcht, Lust, Traurigkeit, als die Wurzeln aller Sünden und Laster vom Leibe herkommen, fügt er bei:
„Dies die Quelle der Furcht und Begier, des Schmerzes, der Freude;
Eingeschlossen in Nacht und finsteren Kerker, erhebt sich
Nicht mehr zum Himmel der Blick.“
Aber unser Glaube lehrt anders. Nach ihm ist die Vergänglichkeit des Leibes, die die Seele beschwert, nicht die Ursache der ersten Sünde, sondern Strafe für sie, und nicht das vergängliche Fleisch hat die Seele zum Sündigen gebracht, sondern die sündigende Seele hat das Fleisch vergänglich gemacht. Wenn nun auch aus diesem Verderbnis des Fleisches mancher Anreiz zur Sünde und selbst auch sündhafte Begierden entspringen, so darf man doch nicht alle Laster eines verkehrten Lebens dem Fleische zuschreiben; sonst würden wir den Teufel, der kein Fleisch hat, in diesen Dingen völlig entlasten. Freilich kann man den Teufel nicht einen Hurer nennen oder einen Trunkenbold oder sonst etwas Schlimmes, was mit der Fleischeslust zusammenhängt, obwohl er auch zu solchen Sünden insgeheim überredet und anstachelt, aber er ist im höchsten Grade hochmütig und neidisch. Und so sehr hat diese Schlechtigkeit von ihm Besitz ergriffen, daß er um ihretwillen in den Kerkern dieser dunklen Luft zu ewiger Pein bestimmt ward[15] . Jene Laster aber, die im Teufel die Oberhand haben, weist der Apostel dem Fleische zu, obwohl der Teufel sicher kein Fleisch hat. Er bezeichnet nämlich Feindschaft, Streit, Eifersucht, Heftigkeit, Neid als Werke des Fleisches, und Haupt und Ursprung all dieser Übel ist der Hochmut, der ohne Fleisch im Teufel seine Herrschaft übt. Wer ist feindseliger gesinnt als er wider die Heiligen? Wer gegen sie streitsüchtiger, heftiger, eifersüchtiger, neidischer? Und da er alle diese Leidenschaften hat, ohne Fleisch zu haben, so können sie Werke des Fleisches nur deshalb sein, weil sie Werke des Menschen sind, den der Apostel, wie gesagt, mit dem Fleische meint. Denn nicht dadurch ist der Mensch dem Teufel ähnlich geworden, daß er ein Fleisch hat, das der Teufel gar nicht hat, sondern dadurch, daß er nach sich selber, nach dem Menschen also, lebt; auch der Teufel nämlich wollte nach sich selbst leben, als er in der Wahrheit nicht standhielt[16] und infolgedessen aus seinem Eigentum, nicht aus dem, was Gottes ist, Lüge redete, nicht nur ein Lügner, sondern selbst der Vater der Lüge. Er zuerst hat gelogen, und wie die Sünde, so hat auch die Lüge von ihm ihren Ausgang genommen.
4. Der Sinn der Worte „nach dem Menschen leben“ und „nach Gott leben“.
Lebt also der Mensch nicht nach Gott, sondern nach dem Menschen, so ist er dem Teufel ähnlich; denn auch der Engel durfte nicht nach dem Engel, sondern mußte nach Gott leben, sollte er in der Wahrheit standhalten und aus dem, was Gottes, die Wahrheit reden, statt aus dem Eigenen zu lügen. Und vom Menschen sagt der Apostel an anderer Stelle[17] : „Wenn aber die Wahrheit Gottes in meiner Lüge überströmte“. Die Lüge nennt er da unser Eigen, die Wahrheit spricht er Gott zu. Wenn demnach der Mensch nach der Wahrheit lebt, so lebt er nicht nach sich selbst, sondern nach Gott. Gott ist es, der gesagt hat[18] : „Ich bin die Wahrheit“. Lebt er aber nach sich selbst, d. i. nach dem Menschen und nicht nach Gott, so lebt er klärlich nach der Lüge; nicht als wäre der Mensch selbst die Lüge, da ja sein Urheber und Schöpfer Gott ist, der natürlich nicht Urheber und Schöpfer der Lüge ist, sondern weil die dem Menschen anerschaffene Grundrichtung erfordert, daß er nicht nach sich selbst, sondern nach dem lebe, der ihn erschaffen hat, d. h. daß er dessen und nicht seinen Willen tue; nicht so leben, wie es ihm anerschaffen ist, darin besteht die Lüge. Er will nämlich glückselig sein, auch wenn er nicht so lebt, daß er es sein kann. Ein solcher Wille ist das Verlogenste, was es gibt. Und mit gutem Grund kann man deshalb sagen, jede Sünde sei eine Lüge. Denn die Sünde kommt nur zustande durch einen auf unser Wohlergehen oder auf Abwendung unseres Übelergehens gerichteten Willen. Also ist das Lüge, was zu unserm Wohlergehen geschieht, aber eben dadurch uns übel bekommt, oder was zur Besserung unserer Lage geschieht und sie in Wirklichkeit verschlechtert. Und dies rührt lediglich daher, daß es dem Menschen nur gut ergehen kann im Anschluß an Gott, den er nun aber