Die Erde. Emile ZolaЧитать онлайн книгу.
gelesen hatte, Vorstellungen von Schlichtheit, Tugend, vollkommenem Glück, so wie man sie in den moralischen Kindergeschichtchen findet.
In Wahrheit bewirkte ein anderer Grund, daß es ihm auf dem Gehöft gefiel. Zu der Zeit, da er die Türen ausbesserte, war die Cognette gekommen und hatte in seinen Hobelspänen die Beine breitgemacht. Es war tatsächlich sie, die ihn dazu verleitete, weil sie durch die kräftigen Glieder dieses starken Burschen verlockt wurde, dessen regelmäßiges und massiges Gesicht ein stämmiges Mannestier erkennen ließ. Er gab nach, fing dann wieder an, weil er fürchtete, als ein Trottel zu gelten, wurde nun übrigens vom Verlangen nach diesem lasterhaften Weib gequält, das wußte, wie man die Männer reizt. Im Grunde verwahrte sich seine angeborene Anständigkeit dagegen. Das war schlecht, mit der Liebsten von Herrn Hourdequin zu gehen, dem er Dankbarkeit schuldete. Zweifellos fand er Ausreden: sie war nicht die Frau des Herren, sie diente ihm als Flittchen; und da sie ihn ja in allen Ecken betrog, dann schon lieber selber das Vergnügen daran haben, als es den anderen zu lassen. Aber diese Entschuldigungen hinderten nicht, daß sein Unbehagen in dem Maße wuchs wie er sah, daß sich der Hofbesitzer immer mehr verliebte. Sicher würde das böse enden.
Jean und Jacqueline erstickten ihren Atem im Heu; da hörte er, der auf der Hut geblieben war, das Holz der Leiter knakken. Mit einem Satz war er aufgestanden; und auf die Gefahr hin, sich zu Tode zu stürzen, ließ er sich durch das Loch fallen, das zum Hinunterwerfen des Futters diente. Herrn Hourdequins Kopf tauchte gerade auf der anderen Seite in Höhe der Klappe auf. Mit ein und demselben Blick sah er den Schatten des fliehenden Mannes und den Bauch der Frau, die noch hingesielt dalag und die Beine breit machte. Eine solche Wut trieb ihn, daß er nicht auf den Gedanken kam, hinunterzusteigen, um den Galan zu erkennen, und er Jacqueline, die sich auf den Knien aufrichtete, mit einer Ohrfeige, die einen Ochsen hätte töten können, wieder zu Boden warf.
„Ah, du Hure!“
Sie heulte, in einem Wutschrei stritt sie das ab, was offensichtlich war.
„Das stimmt nicht!“
Er hielt an sich, um nicht mit Fersentritten diesen Bauch einzuschlagen, den er gesehen hatte, diesen ausgebreiteten Schoß eines läufigen Tieres.
„Ich habe ihn gesehen! – Sag, daß es stimmt, oder ich bring dich um!“
„Nein, nein, nein, es stimmt nicht!“
Als sie sich dann endlich wieder auf die Füße gestellt und den Rock heruntergeschlagen hatte, wurde sie unverschämt, herausfordernd, war entschlossen, ihre Allmacht auszuspielen.
„Und übrigens, was schert dich das denn? Bin ich etwa deine Frau? – Da du nicht willst, daß ich mich in dein Bett lege, steht es mir frei, mich hinzulegen, wo es mir gefällt.“ Ihr Taubengurren klang wie geiler Hohn. „Los, geh weg da, damit ich runtergehen kann ... Heute abend hau ich ab.“
„Sofort haust du ab!“
„Nein, heute abend ... Nimm dir doch Zeit zum Überlegen.“ Er bebte, war außer sich und wußte nicht, an wem er seinen Zorn auslassen sollte. Wenn er schon nicht mehr den Mut hatte, sie unverzüglich auf die Straße zu setzen, mit welcher Freude hätte er den Galan rausgeschmissen! Aber wo ihn nun fassen? Von den offenen Türen geführt, war er schnurstracks zum Heuboden hochgestiegen, ohne in die Betten zu schauen; und als er wieder hinuntergekommen war, zogen sich die vier Fuhrknechte im Pferdestall an, desgleichen Jean hinten auf seinem Hängeboden. Welcher von den fünfen? Dieser ebensogut wie jener, und die fünf hintereinander vielleicht. Er hoffte allerdings, daß sich der Mann verraten würde; er gab seine Anweisungen für den Vormittag, schickte niemand auf die Felder, ging selber nicht hinaus, ballte die Fäuste, strich mit scheelen Blicken im Gehöft herum und hatte Lust, irgend jemand zusammenzuschlagen.
Um sieben Uhr nach dem Frühstück ließ dieses gereizte Inspizieren durch den Herrn das Haus erzittern. Auf La Borderie gab es die fünf Pferdeknechte für fünf Pflüge, drei Drescher, zwei Schweizer oder Hofleute, einen Schäfer und einen kleinen Schweinehirten, im ganzen zwölf Leute Gesinde, die Magd nicht mitgerechnet. Zuerst fuhr Hourdequin in der Küche die Magd an, weil sie die Ofenschaufeln nicht wieder an die Decke gehängt hatte. Danach strich er in den zwei Scheunen herum, in der Haferscheune und in der Kornscheune, die riesig, hoch wie eine Kirche war und fünf Meter breite Tore hatte, und er suchte Streit mit den Dreschern, deren Flegel das Stroh zu sehr zerhackten, wie er sagte. Von dort ging er durch den Kuhstall, war wütend, daß er die dreißig Kühe in gutem Zustand, den Hauptgang gescheuert, die Tröge sauber vorfand. Er wußte nicht, aus welchem Anlaß er über die Schweizer herfallen sollte; da gewahrte er draußen, als er einen kurzen Blick auf die Zisternen warf, deren Instandhaltung ihnen ebenfalls oblag, daß ein Abflußrohr durch Sperlingsnester verstopft war. Wie auf allen Gehöften der Beauce wurde das Regenwasser von den Dächern mit Hilfe eines verzwickten Systems von Regenrinnen sorgfältig gesammelt. Und er fragte grob, ob man zulassen wolle, daß die Spatzen ihn verdursten ließen. Auf die Pferdeknechte aber entlud sich schließlich das Ungewitter. Obwohl die fünfzehn Pferde des Stalls frische Streu hatten, schrie er, daß es ekelhaft sei, sie in einer solchen Fäulnis verkommen zu lassen. Da er sich seiner Ungerechtigkeit schämte und dadurch noch mehr aufgebracht wurde, war er geradezu entzückt, als er die an den vier Ecken der Gebäude gelegenen vier Schuppen, in denen die Geräte eingeschlossen wurden, in Augenschein nahm und einen Pflug sah, dessen Sterze gebrochen waren. Da wetterte er los. Machten sich diese fünf Kerle denn absichtlich einen Spaß daraus, seine Gerätschaften zu zerhauen? Er würde schon mit ihnen abrechnen, mit allen fünfen, ja, mit allen fünfen, damit keiner eifersüchtig sei! Während er sie beschimpfte, durchwühlten seine Flammenaugen ihre Haut, warteten auf ein Erblassen, ein Erschauern, das den Galan verriet. Keiner zuckte mit der Wimper, und er verließ sie mit einer weiten trostlosen Gebärde.
Als Hourdequin seine Inspektion mit dem Schafstall beendete, kam er auf den Einfall, den Schäfer Soulas auszufragen. Dieser Alte von fünfundsechzig Jahren war seit einem halben Jahrhundert auf dem Gehöft, und er hatte nichts dabei zusammengespart, weil alles durchgebracht worden war von seiner Frau, einer Säuferin und Schlampe, die er zu seiner Freude schließlich zu Grabe tragen konnte. Er zitterte, daß man ihn wegen seines Alters bald entlassen werde. Vielleicht würde der Herr ihm helfen; aber wußte man denn, ob die Herren nicht zuerst stürben? Würden sie jemals etwas für den Tabak und ein Schnäpschen geben? Übrigens hatte er sich in Jacqueline eine Feindin geschaffen, die er mit dem Haß eines alten eifersüchtigen Dieners verabscheute, der über das rasche Glück dieser Zuletztgekommenen empört ist. Wenn sie ihm nun Anweisungen gab, brachte ihn die Vorstellung außer sich, daß er sie in Lumpen, im Pferdemist gesehen hatte. Sie würde ihn sicher entlassen haben, wenn sie gespürt hätte, daß das in ihrer Macht lag, und das machte ihn vorsichtig, er wollte seine Stellung behalten, er ging jedem Streit aus dem Wege, obwohl er sich der Unterstützung des Herren sicher zu sein glaubte.
Der Schafstall hinten im Hof nahm das ganze Gebäude ein, einen überdachten Gang von achtzig Metern, in dem die achthundert Schafe des Gehöfts nur durch Hürden voneinander getrennt waren: hier die Mutterschafe in verschiedenen Gruppen; da die Lämmer; weiter weg die Widder. In zwei Monaten würde man die Männchen kastrieren, die man zum Verkauf aufzog, während man die Weibchen behielt, um die Herde der Mutterschafe aufzufrischen, von denen die ältesten jedes Jahr verkauft wurden; und die Widder deckten die jungen Weibchen zu festgesetzten Zeiten, Dishleys gekreuzt mit Merinos, prachtvoll mit ihrem blöden und sanften Aussehen, ihrem schweren Kopf mit der großen abgeplatteten Nase, der Nase eines leidenschaftlichen Mannes. Wenn man den Schafstall betrat, benahm einem ein strenger Geruch den Atem, die ammoniakhaltige Ausdünstung der Streu, des alten Strohs, auf das man drei Monate hindurch wieder frisches Stroh legte. Längs der Mauern ermöglichten Hakeneisen, die Raufen höherzustellen, je mehr die Mistschicht anstieg. Durch die breiten Fenster kam jedoch Luft herein, und die Diele des Heubodens darüber bestand aus beweglichen Balken, die man zum Teil entfernte, wenn der Futtervorrat abnahm. Es hieß übrigens, diese lebendige Wärme, diese in Gärung befindliche, weiche und warme Schicht sei notwendig für das gute Gedeihen der Schafe.
Als Hourdequin eine der Türen aufstieß, erblickte er Jacqueline, die durch eine andere Tür entschlüpfte.
Auch sie hatte an Soulas gedacht, sie war unruhig, sie war sicher, mit Jean belauert worden zu sein; aber