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Die Erde. Emile ZolaЧитать онлайн книгу.

Die Erde - Emile Zola


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beim Anblick der jungen Frau, die den Schafstall verließ, in den sie sonst niemals ging, fieberte der Hofbesitzer geradezu vor Ungewißheit.

      „Na, Vater Soulas“, fragte er, „nichts Neues heute früh?“

      Der Schäfer, der sehr groß, sehr hager war und ein langes, von Falten durchfurchtes Gesicht hatte, das gleichsam mit der Hippe aus einem Eichenknorren gehauen war, antwortete langsam:

      „Nein, Herr Hourdequin, überhaupt nichts, bloß, daß die Scherer angekommen sind und sich gleich an die Arbeit machen werden.“

      Der Herr plauderte eine Weile, um sich nicht den Anschein zu geben, er frage ihn aus. Die Hammel, die man da seit den ersten. Frösten um Allerheiligen fütterte, würden bald hinausgehen, gegen Mitte Mai, sobald man sie in den Klee führen könnte. Die Kühe, die wurden kaum vor der Ernte auf die Weide gebracht. Diese so trockene Beauce, der es an natürlichen Weideplätzen gebrach, gab jedoch gutes Fleisch; und wenn die Rinderzucht dort unbekannt war, so lag das an Schlendrian und Trägheit. Jedes Gehöft mästete sogar nur fünf oder sechs Schweine für den eigenen Verbrauch.

      Mit seiner brennendheißen Hand streichelte Hourdequin die Mutterschafe, die erhobenen Kopfes mit ihren sanften und hellen Augen herbeigelaufen waren, während sich die Woge der Lämmer, die weiter weg eingesperrt waren, blökend gegen die Hürden drängte.

      „Na und, Vater Soulas, habt Ihr heute früh nichts gesehen?“ fragte er wieder und sah ihm dabei gerade in die Augen.

      Der Alte hatte gesehen, aber wozu reden? Seine Selige, die Schlampe und Säuferin, hatte ihn gelehrt, wie lasterhaft die Frauen und wie dumm die Männer sind. Vielleicht würde die Cognette, selbst wenn man sie verriet, die stärkere bleiben, und über ihn würde man alsdann herfallen, um sich einen lästigen Zeugen vom Halse zu schaffen.

      „Nichts gesehen, überhaupt nichts gesehen!“ sagte er mehrmals mit matten Augen und reglosem Gesicht.

      Als Hourdequin wieder den Hof überquerte, fiel ihm auf, daß Jacqueline dort geblieben war und in der Furcht vor dem, was im Schafstall gesagt wurde, nervös die Ohren spitzte. Sie tat so, als beschäftige sie sich mit ihrem Federvieh, den sechshundert Hühnern, Enten, Tauben, die inmitten eines unausgesetzten Spektakels flatterten, gackerten, auf der Dunggrube scharrten; und da der kleine Schweinehirt einen Eimer mit Kleiewasser umgerissen hatte, den er zu den Schweinen brachte, verschaffte sie ihren Nerven ein wenig Entspannung, indem sie ihn ohrfeigte. Aber ein rascher Blick, den sie auf den Hofbesitzer warf, beruhigte sie: er wußte nichts, der Alte hatte seinen Mund gehalten. Ihre Unverschämtheit wurde dadurch noch größer.

      Daher zeigte sie sich beim Mittagessen von herausfordernder Fröhlichkeit. Die schweren Arbeiten hatten nicht begonnen, noch gab es nur vier Mahlzeiten: in Milch gebrocktes Brot um sieben Uhr, Weinbrot zu Mittag, Brot mit Käse um vier Uhr, Suppe und Speck um acht Uhr. Gegessen wurde in der Küche, einem großen Raum mit einem langen Tisch, zu dessen beiden Seiten zwei Bänke standen. Der Fortschritt war darin nur durch einen eisernen Herd vertreten, der eine Ecke des riesigen Rauchfangs einnahm. Hinten tat sich das schwarze Loch des Backofens auf; und die glänzenden Kasserollen, altertümliche Küchengeräte, reihten sich längs der verräucherten Wände in guter Ordnung nebeneinander. Da die Magd, ein dickes häßliches Mädchen, am Morgen gebacken hatte, stieg ein guter Duft nach warmem Brot aus dem offengelassenen Backtrog auf.

      „Habt Ihr denn heute gar keinen Hunger?“ fragte Jacqueline Hourdequin dreist, der als letzter heimkam.

      Seit dem Tode seiner Frau und seiner Tochter setzte er sich, um nicht mutterseelenallein zu essen, an den Tisch seines Gesindes, so wie in alter Zeit; und er setzte sich an einem Ende auf einen Stuhl, während die Haushälterin am anderen Ende dasselbe tat. Es waren vierzehn Personen, das Dienstmädchen trug auf.

      Als sich der Hofbesitzer, ohne zu antworten, gesetzt hatte, sagte die Cognette, sie wolle das Weinbrot zubereiten. Das waren geröstete Brotscheiben, die dann in eine Suppenschüssel gebrockt und mit Wein begossen wurden, den man mit Ripopée zuckerte, wie man früher in der Beauce die Melasse nannte. Und sie verlangte noch einen Löffel voll davon nach, sie wollte absichtlich die Männer verwöhnen, sie brachte Scherze hervor, die die Männer in lautes Gekicher ausbrechen ließen. Jeder ihrer Sätze war doppelsinnig, gemahnte daran, daß sie am Abend fortgehen wollte: man nehme einander, man gehe auseinander, und wer niemals mehr etwas davon abkriege, dem würde es leid tun, daß er seinen Finger nicht ein letztes Mal in die Sauce getunkt habe. Der Schäfer aß und schaute stumpfsinnig drein, während der Herr, der sich schweigsam verhielt, ebenfalls nicht zu verstehen schien. Um sich nicht zu verraten, war Jean gezwungen, mit den anderen zu lachen, obwohl er verärgert war; denn er kam sich bei alledem nicht gerade anständig vor.

      Nach dem Mittagessen gab Hourdequin seine Anweisungen für den Nachmittag. Draußen waren nur ein paar kleine Arbeiten zu Ende zu führen; der Hafer wurde eingewalzt, das Pflügen der Brachen wurde beendet, bis man mit der Luzerne- und Kleemahd beginnen konnte. Deshalb behielt er zwei Mann zurück, Jean und einen anderen, die den Heuboden sauber machten. Und er selber, der nun niedergedrückt war und dem die Ohren sausten unter dem Blutandrang, fing an, sehr unglücklich umherzulaufen, ohne daß er wußte, mit welcher Beschäftigung er seinen Kummer töten sollte. Die Scherer hatten sich unter einem der Schuppen in einer Ecke des Hofes niedergelassen. Er ging hin, pflanzte sich vor ihnen auf, sah ihnen zu.

      Es waren ihrer fünf, schmächtige und gelbhäutige Kerle, die mit ihren großen Scheren aus blinkendem Stahl dahockten. Der Schäfer trug die Schafe herbei, denen die vier Füße zusammengebunden waren und die wie Schläuche aussahen, legte sie in einer Reihe auf die gestampfte Erde des Schuppens, wo sie nur noch blökend den Kopf heben konnten. Und wenn ein Scherer eines von ihnen packte, verstummte es, gab sich hin, wirkte aufgebläht durch die Dicke seines Pelzes, den das Wollfett und der Staub mit einer schwarzen Kruste panzerten. Unter der flinken Spitze der Scheren kam das Tier aus dem Vlies heraus wie eine nackte Hand aus einem dunklen Handschuh, ganz rosig und frisch, im goldigen Schnee der inneren Wolle. Ein mit gespreizten Schenkeln und gerade hochgerecktem Kopf auf den Rücken gelegtes Muttertier, das ein langer dürrer Kerl zwischen seine Knie klemmte, stellte seinen Bauch zur Schau, der das verborgene Weiß, die erschauernde Haut einer Frau hatte, die entkleidet wird. Die Scherer verdienten drei Sous pro Tier, und ein guter Arbeiter konnte ihrer zwanzig am Tage scheren.

      In Gedanken versunken, sann Hourdequin darüber nach, daß die Wolle auf acht Sous das Pfund gesunken war; und man mußte sie schleunigst verkaufen, damit sie nicht zu sehr trocknete, was sie um ihr Gewicht brachte. Im vorigen Jahr hatte der Milzbrand die Herden der Beauce dezimiert. Es wurde mit allem schlimmer und schlimmer, das war der Ruin, der Bankrott der Erde, seit die Getreidepreise von Monat zu Monat mehr sanken. Und da er wieder von den Sorgen eines Landwirts gepackt wurde und im Hof schier erstickte, verließ er das Gehöft, ging er fort, um einen kurzen Blick auf die Felder zu werfen. Immer endeten seine Streitereien mit der Cognette so; nachdem er gewettert und die Fäuste geballt hatte, zog er ab, und ihn bedrückte ein Leid, von dem ihm allein der Anblick seines Korns und seines Hafers, deren Grün bis ins Unendliche wogte, Erleichterung verschaffte.

      Ach, diese Erde, wie er sie schließlich liebte! Und zwar mit einer Leidenschaft, in die er den gierigen Geiz des Bauern nicht einließ, mit einer gefühlvollen, fast intellektuellen Leidenschaft, denn er empfand die Erde als die gemeinsame Mutter, die ihm sein Leben, seines Lebens Notdurft geschenkt hatte und in die er wieder eingehen würde. Da er von klein auf in ihr herangewachsen war, waren sein Haß auf das Gymnasium, das Verlangen, seine Bücher zu verbrennen, daher gekommen, daß er die Freiheit, die schönen Galoppaden querfeldein über die Sturzäcker, den leichten Rausch der freien Luft in den aus allen vier Himmelsrichtungen wehenden Winden der Ebene gewohnt war. Später, als er seinen Vater beerbte, hatte er die Erde als Liebhaber geliebt, seine Liebe war reif geworden, als habe er sie von da an rechtmäßig geehelicht, um sie zu befruchten. Und diese zärtliche Zuneigung wuchs nur, je mehr er ihr seine Zeit, sein Geld, sein ganzes Leben schenkte, als wäre sie eine gute und fruchtbare Frau, der er ihre Launen und sogar ihre Betrügereien verzieh. Viele Male brauste er auf, wenn sie sich schlecht zeigte, wenn sie zu trocken oder zu feucht war und die Saaten fraß, ohne Ernten zurückzugeben; dann zweifelte er, es kam mit ihm dahin, daß er sich beschuldigte, ein zeugungsunfähiges oder ungeschicktes Mannestier


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