Emma. Jane AustenЧитать онлайн книгу.
sich bei seiner Wahl nur von seinen Wünschen leiten zu lassen. Sein Vermögen war sein eigen; denn was Frank betraf, so war er nicht nur in stiller Übereinkunft als Erbe seines Onkels aufgezogen worden, man hatte schließlich den Wunsch ausgesprochen, ihn zu adoptieren, so daß er bei seiner Großjährigkeit den Namen Churchill annahm. Darum war es höchst unwahrscheinlich, daß er jemals auf den väterlichen Beistand angewiesen sein würde. In dieser Hinsicht war sein Vater unbesorgt. Zwar war die Tante eine launenhafte Frau und beherrschte ihren Gatten ganz und gar; aber ein Mann wie Mr. Weston konnte sich nicht vorstellen, daß eine Laune je soviel Macht über sie gewinnen könnte, daß sie einem geliebten und, wie er glaubte, verdienterweise geliebten Menschen Schaden zufügte. Er sah seinen Sohn jedes Jahr in London und war sehr stolz auf ihn; und mit seinen liebevollen Berichten, die Frank Churchill als einen sehr gewinnenden jungen Mann schilderten, hatte er’s dahin gebracht, daß ganz Highbury gewissermaßen stolz auf ihn war. Man betrachtete ihn so sehr als zugehörig, daß man seine Qualitäten und Zukunftsaussichten als Gegenstand gemeinsamen Interesses empfand.
Frank Churchill war also eine der Glanznummern von Highbury, und mit lebhafter Neugier wartete man darauf, ihn zu sehen; nur wurde diese schmeichelhafte Erwartung so wenig erwidert, daß er noch nie im Leben gekommen war; oft hieß es, er werde seinen Vater besuchen, aber geschehen war’s noch nie.
Jetzt, nach seines Vaters Heirat, fand man allgemein, dieser Besuch, als eine Artigkeit, die sich gehörte, müsse nun endlich stattfinden. Darüber gab es nur eine Stimme, ob Mrs. Perry zum Tee zu Mrs. und Miss Bates kam, oder Mrs. und Miss Bates ihren Gegenbesuch machten: es war höchste Zeit, daß Mr. Churchill sich sehen ließ; und die Hoffnung wuchs, als man erfuhr, daß er seiner neuen Mutter geschrieben hatte. Ein paar Tage lang verging keine Morgenvisite in Highbury, ohne daß die Rede auf den reizenden Brief kam, den Mrs. Weston erhalten hatte. »Sie haben gewiß von dem reizenden Brief gehört, den Mr. Frank Churchill an Mrs. Weston geschrieben hat? Es muß ein ganz reizender Brief sein. Mr. Woodhouse hat mir davon erzählt. Mr. Woodhouse hat den Brief selber gelesen, er sagt, in seinem Leben hätte er keinen so reizenden Brief gesehen.«
Es war wirklich ein hochgeschätzter Brief. Mrs. Weston, die sich natürlich von vornherein ein sehr günstiges Bild von dem jungen Mann gemacht hatte, empfand diese erfreuliche Aufmerksamkeit als unwiderlegbaren Beweis für sein großmütiges Verständnis und als höchst willkommene Bekrönung all der Zuneigung, die man ihr bei ihrer Heirat bekundet hatte. Sie fühlte sich vom Glück überhäuft; und sie hatte lange genug gelebt, um zu wissen, daß sie sich wirklich glücklich schätzen durfte, wenn sie nichts andres zu beklagen hatte als die zeitweise Trennung von ihren Freunden, deren Freundschaft für sie nie abgekühlt war und die sie schmerzlich entbehrten.
Sie wußte wohl, daß man sie zuweilen vermißte; und sie konnte nicht ohne Betrübnis daran denken, daß Emma auch nur um ein einziges Vergnügen kam, sich auch nur eine Stunde langweilte, weil ihre Gesellschaft ihr fehlte. Doch die liebe Emma war ja kein schwacher Charakter; sie war ihrer Lage besser gewachsen, als es bei den meisten anderen jungen Mädchen der Fall gewesen wäre. Ihre Vernunft, ihre Energie, ihre Lebhaftigkeit würden ihr hoffentlich leicht und glücklich über die kleinen Schwierigkeiten und Verzichte hinweghelfen. Und dann lag ein solcher Trost darin, daß es von Hartfield nach Randalls nur ein Spaziergang war, den selbst ein weibliches Wesen allein machen konnte; auch bot der nahende Winter bei Mr. Westons Veranlagung und bei seinen Verhältnissen kein Hindernis, die Hälfte der Abende in der Woche zusammen zu verbringen.
Alles in allem fand Mrs. Weston in ihrem neuen Zustand Anlaß zu Stunden der Dankbarkeit und nur zu Augenblicken des Bedauerns. Und daß sie zufrieden war, mehr als zufrieden, daß sie ihn mit Freuden genoß, war ihr so gut nachzufühlen und so offenbar, daß Emma, wie gut sie auch ihren Vater kannte, sich zuweilen doch wunderte, wie er immer noch »die arme Miss Taylor« bemitleiden konnte, wenn sie sie in Randalls inmitten all ihrer häuslichen Behaglichkeit zurückließen oder sie abends weggehen sahen, von ihrem sympathischen Mann zum eigenen Wagen geleitet. Aber nie schied sie, ohne daß Mr. Woodhouse einen leisen Seufzer ausstieß und sagte:
»Ach! Die arme Miss Taylor! Sie wäre sicher froh, wenn sie hierbleiben könnte.«
Nichts aber brachte Miss Taylor zurück, noch bestand Aussicht, daß er je aufhören würde, ihr Los zu beklagen. Doch im Lauf der Wochen fand Mr. Woodhouse Linderung; die Nachbarn hörten auf, ihm zu gratulieren, er wurde also nicht mehr damit gequält, daß man ihn zu einem so betrüblichen Ereignis beglückwünschte, und der Hochzeitskuchen, der ihm soviel Sorge verursacht hatte, war bis aufs letzte Krümchen verzehrt. Da sein Magen nichts Schweres vertrug, war es für ihn undenkbar, daß es andern Leuten anders ging; was ihm schlecht bekam, war folglich unbekömmlich für jedermann. Er hatte ihnen darum ernsthaft auszureden versucht, überhaupt einen Hochzeitskuchen zu backen, und als das nichts half, suchte er ebenso ernsthaft zu verhindern, daß jemand davon aß. Er hatte sogar die Mühe nicht gescheut, Mr. Perry, den Landarzt, darüber zu befragen. Mr. Perry war ein kluger, feingebildeter Mann, dessen häufige Besuche zu den Tröstungen in Mr. Woodhouses Dasein gehörten; und da man an seine ärztliche Weisheit appellierte, mußte Mr. Perry zugeben (wenn auch sichtlich gegen die eigene Neigung), daß Hochzeitskuchen sicherlich für manche, vielleicht für die meisten Leute unzuträglich sei, es sei denn, man genieße ihn mit Maßen. Mit dieser Ansicht als Bekräftigung der seinen hoffte Mr. Woodhouse jeden Gast der Neuvermählten zu überzeugen. Trotzdem wurde der Kuchen aufgegessen; und es gab keine Ruhe für seine von Wohlwollen geplagten Nerven, bis er alle war.
Ein haarsträubendes Gerücht lief in Highbury um: man hätte die kleinen Perrys allesamt mit einem Stück von Mrs. Westons Hochzeitskuchen in der Hand gesehen. Aber das konnte Mr. Woodhouse denn doch nicht glauben.
Drittes Kapitel
Mr. Woodhouse liebte Geselligkeit, jedoch auf seine Weise. Er sah es sehr gern, wenn seine Freunde zu ihm kamen, und mancherlei Gründe – seine lange Ansässigkeit in Hartfield, sein gutmütiges Wesen, sein Vermögen, sein Haus und seine Tochter – spielten dabei mit, daß er in seinem kleinen Kreise die Form der Gastlichkeit bestimmen konnte, wie sie ihm genehm war. Mit Familien außerhalb dieses Kreises pflog er nicht viel Umgang. Gäste zu später Stunde und große Dinnergesellschaften waren ihm ein Greuel, deshalb konnte er nur mit Leuten verkehren, die sich seinen Wünschen anpaßten. Deren gab es glücklicherweise genug, sowohl in Highbury und dem zum gleichen Kirchspiel gehörenden Randalls wie auch in Donwell im benachbarten Kirchspiel, dem Wohnsitz Mr. Knightleys. Nicht selten ließ er sich von Emma überreden, ein paar der auserwählten, besten Freunde zum Dinner einzuladen; lieber aber sah er abends Menschen um sich, und wenn er sich nicht gerade einbildete, er sei überhaupt keiner Geselligkeit gewachsen, gab es kaum einen Abend in der Woche, an dem Emma ihm nicht den Spieltisch aufschlagen konnte.
Alte, wahre Verbundenheit führte die Westons und Mr. Knightley herbei; und daß Mr. Elton, ein junger Mann, der für sich allein hauste, was nicht sehr nach seinem Geschmack war, je die Gunst ausschlagen könnte, einen freien Abend seines leeren, einschichtigen Daseins gegen die Annehmlichkeiten und die Gesellschaft in Mr. Woodhouses Salon und das Lächeln seiner schönen Tochter einzutauschen, war nicht zu befürchten.
Nächst diesen rangierte eine zweite Gruppe. Davon waren Mrs. und Miss Bates und Mrs. Goddard die häufigsten Tischgäste, drei Damen, die fast jederzeit für eine Einladung nach Hartfield zu haben waren. Sie wurden so oft abgeholt und wieder nach Hause gebracht, daß Mr. Woodhouse es nicht mehr als eine Härte für James und die Pferde empfand; wäre es nur einmal im Jahr vorgekommen, er hätte es als Schinderei angesehen.
Mrs. Bates, die Witwe eines früheren Vikars von Highbury, war eine sehr alte Dame, längst über alles andre als Teevisiten und eine Partie Quadrille hinaus. Sie lebte mit ihrer einzigen Tochter in recht eingeschränkten Verhältnissen, doch begegnete man ihr mit all der achtungsvollen Freundlichkeit, die man für eine harmlose Greisin in so widriger Lage nur empfinden kann. Ihre Tochter erfreute sich einer Beliebtheit, die für eine weder junge, noch hübsche, noch reiche, noch verheiratete Frau ganz außerordentlich war. Miss Bates besaß wahrlich die allerkläglichsten Chancen von der Welt, die Gunst der Leute zu gewinnen, und keinerlei Geistesgaben, um sich daran schadlos zu halten und Übelgesinnten wenigstens äußeren Respekt einzujagen. Nie hatte sie durch Schönheit oder Klugheit geglänzt. Ihre