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Der Untertan. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Der Untertan - Heinrich Mann


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Trep­pe her­un­ter­fiel, klatsch­te der Sohn wie toll in die Hän­de – wor­auf er weg­lief.

      Kam er nach ei­ner Abstra­fung mit ge­dun­se­nem Ge­sicht und un­ter Ge­heul an der Werk­stät­te vor­bei, dann lach­ten die Ar­bei­ter. So­fort aber streck­te Die­de­rich nach ih­nen die Zun­ge aus und stampf­te. Er war sich be­wusst: »Ich habe Prü­gel be­kom­men, aber von mei­nem Papa. Ihr wä­ret froh, wenn ihr auch Prü­gel von ihm be­kom­men könn­tet. Aber da­für seid ihr viel zu we­nig.«

      Frau Hess­ling woll­te Die­de­rich nö­ti­gen, vor dem Va­ter hin­zu­fal­len und ihn um Ver­zei­hung zu bit­ten, weil der Va­ter sei­net­we­gen ge­weint habe! Aber Die­de­richs In­stinkt sag­te ihm, dass dies den Va­ter nur noch mehr er­bost ha­ben wür­de. Mit der ge­fühls­se­li­gen Art sei­ner Frau war Hess­ling durch­aus nicht ein­ver­stan­den. Sie verd­arb das Kind fürs Le­ben. Üb­ri­gens er­tapp­te er sie ge­ra­de­so auf Lü­gen wie den Die­del. Kein Wun­der, da sie Ro­ma­ne las! Am Sonn­abend­a­bend war nicht im­mer die Wo­chen­ar­beit ge­tan, die ihr auf­ge­ge­ben war. Sie klatsch­te, an­statt sich zu rüh­ren, mit dem Dienst­mäd­chen … Und Hess­ling wuss­te noch nicht ein­mal, dass sei­ne Frau auch nasch­te, ge­ra­de wie das Kind. Bei Tisch wag­te sie sich nicht satt zu es­sen und schlich nach­träg­lich an den Schrank. Hät­te sie sich in die Werk­statt ge­traut, wür­de sie auch Knöp­fe ge­stoh­len ha­ben.

      Sie be­te­te mit dem Kind »aus dem Her­zen«, nicht nach For­meln, und be­kam da­bei ge­röte­te Wan­gen­kno­chen. Sie schlug es auch, aber Hals über Kopf und ver­zerrt von Rach­sucht. Oft war sie da­bei im Un­recht. Dann droh­te Die­de­rich, sie beim Va­ter zu ver­kla­gen; tat so, als gin­ge er ins Kon­tor, und freu­te sich ir­gend­wo hin­ter ei­ner Mau­er, dass sie nun Angst hat­te. Ihre zärt­li­chen Stun­den nütz­te er aus; aber er fühl­te gar kei­ne Ach­tung vor sei­ner Mut­ter. Ihre Ähn­lich­keit mit ihm selbst ver­bot es ihm. Denn er ach­te­te sich selbst nicht, da­für ging er mit ei­nem zu schlech­ten Ge­wis­sen durch sein Le­ben, das vor den Au­gen des Herrn nicht hät­te be­ste­hen kön­nen.

      Den­noch hat­ten die bei­den von Ge­müt über­flie­ßen­de Däm­mer­stun­den. Aus den Fes­ten press­ten sie ge­mein­sam, ver­mit­tels Ge­sang, Kla­vier­spiel und Mär­chen­er­zäh­len, den letz­ten Trop­fen Stim­mung her­aus. Als Die­de­rich am Christ­kind zu zwei­feln an­fing, ließ er sich von der Mut­ter be­we­gen, noch ein Weil­chen zu glau­ben, und er fühl­te sich da­durch er­leich­tert, treu und gut. Auch an ein Ge­s­penst, dro­ben auf der Burg, glaub­te er hart­nä­ckig, und der Va­ter, der hier­von nichts hö­ren woll­te, schi­en zu stolz, bei­na­he straf­wür­dig. Die Mut­ter nähr­te ihn mit Mär­chen. Sie teil­te ihm ihre Angst mit vor den neu­en, be­leb­ten Stra­ßen und der Pfer­de­bahn, die hin­durch­fuhr, und führ­te ihn über den Wall nach der Burg. Dort ge­nos­sen sie das woh­li­ge Grau­sen.

      Ecke der Mei­se­stra­ße hin­wie­der muss­te man an ei­nem Po­li­zis­ten vor­über, der, wen er woll­te, ins Ge­fäng­nis ab­füh­ren konn­te! Die­de­richs Herz klopf­te be­weg­lich; wie gern hät­te er einen wei­ten Bo­gen ge­macht! Aber dann wür­de der Po­li­zist sein schlech­tes Ge­wis­sen er­kannt und ihn auf­ge­grif­fen ha­ben. Es war viel­mehr ge­bo­ten, zu be­wei­sen, dass man sich rein und ohne Schuld fühl­te – und mit zit­tern­der Stim­me frag­te Die­de­rich den Schutz­mann nach der Uhr.

      *

      Nach so vie­len furcht­ba­ren Ge­wal­ten, de­nen man un­ter­wor­fen war, nach den Mär­chen­krö­ten, dem Va­ter, dem lie­ben Gott, dem Burg­ge­spenst und der Po­li­zei, nach dem Schorn­stein­fe­ger, der einen durch den gan­zen Schlot schlei­fen konn­te, bis man auch ein schwar­zer Mann war, und dem Dok­tor, der einen im Hals pin­seln durf­te und schüt­teln, wenn man schrie – nach al­len die­sen Ge­wal­ten ge­riet nun Die­de­rich un­ter eine noch furcht­ba­re­re, den Men­schen auf ein­mal ganz ver­schlin­gen­de: die Schu­le. Die­de­rich be­trat sie heu­lend, und auch die Ant­wor­ten, die er wuss­te, konn­te er nicht ge­ben, weil er heu­len muss­te. All­mäh­lich lern­te er den Drang zum Wei­nen ge­ra­de dann aus­zu­nut­zen, wenn er nicht ge­lernt hat­te – denn alle Angst mach­te ihn nicht flei­ßi­ger oder we­ni­ger träu­me­risch – und ver­mied so, bis die Leh­rer sein Sys­tem durch­schaut hat­ten, man­che üb­len Fol­gen. Dem ers­ten, der es durch­schau­te, schenk­te er sei­ne gan­ze Ach­tung; er war plötz­lich still und sah ihn, über den ge­krümm­ten und vors Ge­sicht ge­hal­te­nen Arm hin­weg, voll scheu­er Hin­ga­be an. Im­mer blieb er den schar­fen Leh­rern er­ge­ben und will­fäh­rig. Den gut­mü­ti­gen spiel­te er klei­ne, schwer nach­weis­ba­re Strei­che, de­ren er sich nicht rühm­te. Mit viel grö­ße­rer Ge­nug­tu­ung sprach er von ei­ner Ver­hee­rung in den Zeug­nis­sen, von ei­nem rie­si­gen Straf­ge­richt. Bei Tisch be­rich­te­te er: »Heu­te hat Herr Behn­ke wie­der drei durch­ge­hau­en.« Und wenn ge­fragt ward, wen?

      »Ei­ner war ich.«

      Denn Die­de­rich war so be­schaf­fen, dass die Zu­ge­hö­rig­keit zu ei­nem un­per­sön­li­chen Gan­zen, zu die­sem un­er­bitt­li­chen, men­schen­ver­ach­ten­den, ma­schi­nel­len Or­ga­nis­mus, der das Gym­na­si­um war, ihn be­glück­te, dass die Macht, die kal­te Macht, an der er selbst, wenn auch nur lei­dend, teil­hat­te, sein Stolz war. Am Ge­burts­tag des Or­di­na­ri­us be­kränz­te man Ka­the­der und Ta­fel. Die­de­rich um­wand so­gar den Rohr­stock.

      Im Lauf der Jah­re be­rühr­ten zwei über Macht­ha­ber her­ein­ge­bro­che­ne Ka­ta­stro­phen ihn mit hei­li­gem und süßem Schau­der. Ein Hilfs­leh­rer ward vor der Klas­se vom Di­rek­tor her­un­ter­ge­macht und ent­las­sen. Ein Ober­leh­rer ward wahn­sin­nig. Noch hö­he­re Ge­wal­ten, der Di­rek­tor und das Ir­ren­haus, wa­ren hier gräss­lich mit de­nen ab­ge­fah­ren, die bis eben so hohe Ge­walt hat­ten. Von un­ten,


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