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Die kleine Stadt. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Die kleine Stadt - Heinrich Mann


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      „Das tue ich gern. So gehen wir! Hier ist alles, was ich bei mir habe.“

      Der Schneider hob den leichten Koffer auf seine Schultern, wie auf einen Turm, und ging vor der kleinen zerzausten und schnellen Person her über den Platz, von dem das Volk ablief.

      „Freilich blase ich das Tenorhorn“, sagte er. „Doch werde ich, um dem Fräulein nicht lästig zu fallen, damit auf die Akropolis steigen.“

      „Ihr spielt hier wohl jeder ein Instrument? Und der Maestro übt euch?“

      „O! mich braucht er nicht zu üben. Denn ich selbst bin Chef einer kleinen Bande und spiele des Sonntags in den Dörfern. Man lebt, wie man kann. Wäre nur nicht die schlechte Konkurrenz! Denn das Fräulein hat wohl gehört, was der Barbier Nonoggi über mich sagte. Denn er ist mein Feind. Denn auch er hat solch eine kleine Bande . . .“

      „Aber der Maestro, wie ists mit ihm?“

      „Der Maestro, das ist etwas anderes. Er hat auf dem Konservatorium studiert.“

      „Ah, er hat studiert.“

      „Er ist ein sehr großer Musiker und ein guter Mann.“

      „Vielleicht ist er ein sehr großer Musiker, — aber ein guter Mann? Er hat mir nicht gefallen. Er sieht aus wie einer, der keinem andern etwas gönnt. Ich würde ihm nicht zu sehr trauen.“

      Überrascht wandte sich der Schneider um und spähte von seiner Höhe nach dem Gesicht, das solche ungeahnte Dinge sprach. Sie nickte ihm so fest und streng in die Augen, daß ihm ein Schauer über den Nacken lief.

      „Wenn das Fräulein meint“, sagte er gehorsam. „Man kennt die Menschen niemals ganz. Einst, beim Militär, hatte ich einen Freund . . .“

      Sie betraten die Gasse der Hühnerlucia. Der Platz blieb fast leer zurück. Eine letzte schwatzende Gruppe wurde von Frauen zerteilt: „Kommt essen!“ und ringsum in die Dunkelheit getrieben. Ein Alter trippelte nach dem Rathaus, zündete zwei Öllampen an und machte sich quer über den Platz an die dritte beim Palazzo Torroni. Zur vierten am Dom gelangte er nicht: der Tenor Nello Gennari war plötzlich da und erschreckte den Alten.

      „Hört! kennt Ihr nicht alle Leute hier? Ihr müßt mir sagen, wer jene schwarz gekleidete Frau war. Sie ging, wie es Ave läutete, in den Dom.“

      Da der Alte nur grinste:

      „Wollt Ihr Geld? Ach, es ist umsonst. Mir geschieht etwas Unbegreifliches. Sie ging hinein, sie allein, vor allem Volk, und niemand hat sie gesehen. Gute Nacht, Alter, die ganze Welt ist stumm.“

      Mit einer weiten Geste enteilte er, hob die Matratze von der Domtür, glitt hinein.

      „Wenn sie noch da wäre? Vielleicht erwartet sie mich! Vielleicht aber war sie ein Gesicht und nur ich hatte es?“

      Die schattigen Räume mit dem Blick durchirrend:

      „O Alba! Süßes Morgenlicht, gehe mir auf! Ich liebe dich. Wenn ich dich finde, will ich in dir verbrennen. Soll ich niemals lieben? Ich hasse die Weiber, die ich gehabt habe. Ich bin zwanzig Jahre, und ich will dich lieben, o Alba, immer, immer.“

      Er schwankte, im Rausch seines Herzens. Als er dann hinaustrat, ging beim Glockenturm, wo es am dunkelsten war, irgend etwas hin und her, langsam immer hin und her. Der Tenor machte sich rasch herzu.

      „Heda, guter Mann, sagt doch . . .“

      „Wie?“ fragte der Kaufmann Mancafede und blieb stehen.

      „Verzeihen Sie, Herr . . .“

      Der junge Mann erwachte verwirrt. Seit einer Stunde lebte er in einer Welt von Abenteuern, denen alles Volk beiwohnte und die doch nur ihm galten. Diese Stadt und das Wunder in ihr hatten ihn erwartet. Er flog von einem zum andern als einziger Fühlender zwischen verzauberten Steinen und fragte nach der wunderbaren Frau.

      „Ich wollte nur . . .“ stammelte er. „Mein Herr, ich bin fremd hier.“

      „Man weiß“, sagte der Kaufmann. „Der Herr ist einer der Komödianten.“

      „Sie werden auch begreifen, mein Herr, daß man in meinem Alter nicht immer . . . daß man . . . O, mein Herr, sie ging in den Dom.“

      „Ah! in den Dom ging sie.“

      „Sie kennen sie?“

      „Das sage ich nicht. Aber um Ihnen gefällig zu sein, will ich mich bei meiner Tochter erkundigen.“

      „Sie wollen . . . O!“

      Der Kaufmann ging ins Haus. Der junge Mann fragte nicht, wer diese Tochter sei, die das Erlebnis seines Herzens kannte. Er ließ geschehen, daß die Schleier der Verzauberung wieder heraufstiegen. Mit beiden Händen umfaßte er seine Schläfen, tat zwei stürzende Schritte und schüttelte sich ganz.

      „O Alba! Süßes Morgenlicht!“

      Der Kaufmann kehrte zurück.

      „Meine Tochter weiß wohl, wen Sie meinen; aber sie sagt es Ihnen nicht.“

      „Warum nicht?“

      „Meine Tochter wird auch das wissen.“

      „Aber die Frau hat mich angesehen! Sie wandte sich um, noch in der Domtür, und sah mich an, mich allein.“

      „Sie hat Sie also angesehen.“

      Der junge Mann stampfte auf.

      „Wen geht das alles an, als nur mich! Was will Ihre Tochter! Aber sie weiß gar nichts, Ihre Tochter!“

      „Oho!“

      Der Kaufmann verlor seine Trockenheit.

      „Wenn meine Tochter nichts weiß, dann haben Sie geträumt, junger Mann, und es ist nichts geschehen. Was geschehen ist, das weiß sie auch.“

      „Warum sagt sies also nicht?“

      „Soll sie jener Unglücklichen einen Menschen schicken, der sie verführt? Meine Tochter ist nicht sehr eingenommen für dergleichen. Aber wissen: o, sie weiß alles.“

      „Mein Herr“ — und Nellos Stimme schmeichelte. „Hier habe ich einen schönen Ring. Sie sind Kaufmann. Sie werden den Wert dieses Rubins zu bestimmen verstehen. Wissen Sie, zu welchem Preise ich ihn Ihnen gebe? Für den Namen, mein Herr, für den Namen!“

      „Lassen Sie doch sehen!“

      Mancafede zog den jungen Mann am Ringfinger bis unter die Lampe vor dem Dom. Plötzlich sah er auf, mit schwarzen Runzeln über die Hornränder seines Klemmers hinweg.

      „Von wem haben denn Sie einen solchen Ring, junger Mann?“

      Nello errötete tief, zog den Finger zurück und machte sich mit einem Gemurmel davon.

      „Ich bin ihrer unwürdig! Noch trage ich den Ring von der Frau des Juweliers!“

      Und er suchte Dunkel auf.

      Aber es blieb nicht dunkel. Aus dem Corso, über den Platz und zum Tor stürmte ein Haufen Jungen mit Kerzen in Papierdüten. Alle schrien:

      „Sie kommen! Es kommen noch mehr!“

      Sogleich klappten ringsum Fensterläden an die Mauern, und Licht fiel herab. Die Häuser begannen sich wieder zu leeren von Neugierigen, die noch die Münder wischten. Alle sammelten sich am Ausgange des Platzes, reckten die Arme nach dem Tor und lärmten mit. Denn immer lauter ward dorthinten das Gewirr von Lachen und Gekreisch, das Trommeln auf Holz, das Singen . . . Und mit Rasseln, Knallen und Gebell und umtollt von den Windlichtern der Jungen, brach, voll weiblicher Schreistimmen, ein ganz bunter Wagen herein — niemand begriff etwas vor Buntheit — fuhr mitten auf den Platz und war da. Schon standen, rückwärts gebogen, junge Leute darum her und breiteten Arme aus, lauter Arme, die sich wiegten; — und auf allen Seiten des hohen Stellwagens blähten bunte Röcke und Blusen sich auf, wie die Mädchen hinab in die Arme sprangen, mit geschlossenen Augen darauf los, als sei ringsum


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