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Die kleine Stadt. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Die kleine Stadt - Heinrich Mann


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mit dem Gefrorenen klingelte durchs Gedränge. Der Advokat Belotti wand sich hindurch, er keuchte.

      „Wir haben Wohnungen, meine Damen, wir sind das Komitee.“

      „Wir sind das Komitee“, heulten die Jungen ihm nach.

      Der Advokat schwenkte immer krampfhafter seine Liste über den Köpfen. Der Schneider Chiaralunzi und der junge Savezzo riefen ihren Freunden zu, die Musikinstrumente zu holen.

      „Gott! Hilf noch dies eine Mal!“ schrie eine Alte, die erdrückt ward; und die Frau des Kirchendieners Pipistrelli:

      „Die Welt geht unter: er hat recht, Don Taddeo. O wir Sünder!“

      Im Café „zum Fortschritt“ stand man Fuß an Fuß.

      „Gevatter Achille! Einen schwarzen Punsch!“ riefen die vordersten; aber der Wirt war hinter seinem Schenktisch eingesperrt und durfte nicht einmal seinen Bauch darüber wegstrecken. Die gefüllten Gläser, die er hinhielt, reichte einer dem andern. Er kam ins Feuer und verkündete dröhnend:

      „Für drei Konsumationen eine umsonst!“

      Draußen ließ sein Sohn, der schöne Alfò, sich vom Gewühl umherwerfen und konnte nicht mehr zurück. Er lächelte töricht, sooft ihm eine Frau begegnete; aber wie er der kleinen Rina, der Magd des Tabakhändlers Polli, einen Kuß zuwarf, ward er von hinten grob angelassen. Er hatte jemand getreten, den Tenor Nello Gennari, der an der Mauer lehnte, schon im Gäßchen der Hühnerlucia, und im Dunkeln auf seine Lippe biß. Der schöne Alfò entschuldigte sich freundlich.

      „Das kommt von all den Mädchen, die hier sind, mein Herr. Man hat so viel zu tun, wenn man schön ist.“

      Der Tenor sah ihn an.

      „Es muß ein gutes Leben sein,“ sagte er auflachend, „wenn man schön ist.“

      „Nicht immer, mein Herr. Denn alle wollen einen heiraten, und ich werde doch nur die Schönste heiraten: Alba Nardini, die schöne Alba.“

      „Wie heißt sie, die Schönste?“

      Da brach die Musik los, als börsten alle Hörner.

      „Sie heißt Alba? Reden Sie doch!“

      Der schöne Alfò nickte nur noch. Eine Volkswelle trug ihn weiter. Alles stürzte vor. Um die Musik her begann ein Drehen: die Stadt tanzte. Sie lärmte in der Nacht, war bunt und tanzte. Nello Gennari ging, den Kopf im Nacken, mit von sich gestreckten und gerungenen Händen, ganz langsam in die Gasse der Hühnerlucia hinein.

      „Sie heißt Alba!“

      Plötzlich fiel er mit Brust und Gesicht gegen die feuchte schwarze Mauer und weinte über das Wunder.

      II

      Um fünf, bevor es heiß ward, machte der Advokat Belotti, schon im schwarzen Rock, der hinten spitz abstand, seinen Morgenspaziergang. Wie gewöhnlich wollte er, um auf die Straße zu gelangen, durch den Garten des Palazzo Torroni hinabsteigen; hinter einer Säule im Flur kam aber Saverio hervor, der Hausmeister, Kammerdiener und Gärtner, und stellte die Hand an den Mund.

      „Herr Advokat!“

      „Was gibt es, Saverio?“

      Da der Diener flüsternd sprach, tat auch der Advokat es.

      „Der Herr Baron ist die Nacht draußen gewesen. Noch immer ist er draußen.“

      „Ah! diese Jäger. Die Jagd, mein Freund, ist eine Leidenschaft, die einen Mann ganz hinnimmt. Wenn ich Ihnen von mir selbst sprechen soll . . .“

      „Aber es handelt sich nicht um Jagd, Herr Advokat. Er ist ins Gasthaus „zum Mond“ gegangen und noch nicht wieder herausgekommen.“

      Der Advokat öffnete den Mund und erhob den Zeigefinger.

      „Schau, schau“, sagte er, — und er begann zu lachen, zuerst ein lautloses Lachen und dann wie ein heiser rasselndes, woraus Husten und Speien ward. Als er zur Ruhe kam, mit aufgerissenen Augen:

      „Werden wir einen Skandal haben, Saverio?“

      Und er bot dem Diener die Zigarettenbüchse.

      „Die Frau Baronin schläft. Ich habe im Schlafzimmer des Herrn alles umhergeworfen, als sei er früh aufgebrochen, und ich habe die Nacht bei der Haustür verbracht.“

      „Wenn Sie nicht wären, Saverio! Möchte ers nicht zu weit treiben und heimkehren, bevor alle auf der Straße sind. Ich gehe, damit uns niemand beisammen sieht. Jetzt ist tiefes Schweigen geboten, Saverio.“

      Rückwärts machte der Advokat sich aus dem Hause. Den Morgenspaziergang hatte er vergessen; der Schauplatz des Außerordentlichen verlangte seine Gegenwart. Hinter ihm, im Corso, war ein eiliger Schritt: Don Taddeo. Der Advokat grüßte herzhaft.

      „Ein schöner Morgen, wie, Reverendo?“

      Der Priester sah ihn an mit ganz roten Augen, zog die Soutane enger um seinen mageren Körper, als fürchtete er eine Berührung, und — klapp, klapp — war er um die Ecke. Der Advokat starrte hinterher.

      „Kaum daß er an die Kappe gegriffen hat. Weiß er —? Und er steckt mit der Baronin zusammen. Wir werden einen Skandal haben.“

      Ungewöhnlich belebt, schwänzelte er den noch stillen Corso hin und drückte sich, dem letzten Domfenster gegenüber, plötzlich um die Ecke, wo es abwärts zum Gasthaus ging. Nun lag es da, noch halb schlafend, beim Rinnen des Brunnens, an seinem kleinen strohbesäten Platz, mit den Ställen links, der Weinlaube drüben, — und im zweiten Stock stand ein Fenster offen. „Sieh da,“ sagte sich der Advokat, „sie lieben die frische Luft. Aber jetzt wäre es Zeit, zu erwachen.“ Er bückte sich nach einem Steinchen und warf es, heftig keuchend, ins Fenster. „Sie scheinen recht sehr ermüdet und werden auch wissen, wovon.“ Wie er das zweite Steinchen auflas, erschien unter dem Haustor neben dem Wirt Malandrini der Baron Torroni selbst. Er war wie immer im braunkarierten Jagdanzug, mit der Flinte über der Schulter, und stürzte sich schon ein großes Glas Wein in den Schlund.

      „Ah!“ rief der Advokat sogleich. „Herr Baron, was für eine schöne und gesunde Beschäftigung ist die Ihre! Wäre ich nicht an meine Studierstube gefesselt —. Und wohin geht es an diesem glänzenden Morgen? Aufs Feld, nach Lerchen? Wohl gar ins Gebirge gegen den Eber?“

      „Ich bin gekommen,“ erklärte der andere, „um den jungen Mann abzuholen, der hier wohnt: diesen Sänger —“

      „Den Herrn Gennari“, ergänzte der Wirt. „Ich werde Sorge tragen, daß er den Herrn Baron nicht warten läßt. Bemühen Sie sich nicht!“

      „Er hat mir versprochen, sogleich fertig zu sein. Inzwischen gehe ich voran.“

      Er drückte dem Advokaten die weiche Hand und verschwand rasch.

      Der Wirt räusperte sich vorsichtig.

      „Sehen Sie das offene Fenster?“

      Der Advokat zwinkerte.

      „Er ist gar nicht zu Hause gewesen“, sagte der Wirt. „Er ist überhaupt nicht heimgekommen.“

      „Ah! dann ist es also nicht dieses Zimmer?“

      Malandrini zwinkerte.

      „Das ist das andere, daneben. Das Fräulein schläft jetzt weiter.“

      „Es scheint, sie hat es nötig. Ah! dieser Baron.“

      „Ein richtiger Edelmann“, bemerkte der Wirt.

      Sie sahen sich an, leise funkelnd.

      „Und der andere?“ begann der Advokat wieder. „Der Komödiant? Auch er ist draußen? Da gibt es vielleicht etwas noch Stärkeres? Mein Freund, mir beginnt zu ahnen, daß wir Dinge erleben werden in der Stadt —“

      Der Wirt seufzte. Dann aber, mit Händereiben:

      „Das Gute ist dabei, daß wir ein wenig Bewegung herbekommen


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