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Zwischen den Rassen. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Zwischen den Rassen - Heinrich Mann


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wie ein eigenes Haus: die Sturzwellen mochten darüber hingehen. Auch ward bald ausgestiegen; alle waren viel ernster geworden; — und Lola fand sich mit Pai und Anna in einer großen, nicht schönen Stadt, in deren Straßen man sich müde lief. Immerhin gab es Spielsachen, wie sie daheim nie welche gesehen hatte, und Pai kaufte ihr so viele, daß sie sich wunderte. Eines Morgens dann eine Fahrt mit der Bahn: und da waren sie in einem seltsamen Städtchen mit höckrigen Häusern und mit Gassen, die über Berge kletterten und rutschten, — und gelangten in einem riesigen, schaukelnden Wagen vors Tor und an ein Haus, daraus sprang hurtig eine kleine alte Frau hervor, lief auf Pai zu und hüpfte ihm an den Hals. Lola war erschrocken: denn Pai weinte. Wie war das möglich? Da griff aber die alte Frau ihr selbst unters Kinn und zog Lolas Gesicht ganz dicht zu ihrem, bis in das Wimpernfächeln ihrer Augen, — die sehr gütig blickten. Aber was wollte sie? Sie redete so viel Unverständliches. Lola sah fragend auf Pai; und indes sie ins Haus gingen, erklärte Pai ihr, dies sei seine Mama, und heute feiere sie ihren Geburtstag, und er bringe ihr Lola zum Geschenk.

      Im Hause roch es nach Kuchen und Blumen; Pais Brüder waren da und umarmten ihn. Sie gaben Lola die Hand; einer ließ sich von Pai etwas ins Ohr sagen, und dann wünschte er Lola in ihrer Sprache Willkommen. Sie lachte über ihn; alles wäre gut gewesen: da aber kam die neue Großmama, aus lauter Herzlichkeit, auf den Gedanken, die Arme um Lolas Hüften zu legen und vor ihr auf die Kniee zu fallen. Lola hatte plötzlich ein zum Weinen verzerrtes Gesicht. Alle stießen Fragen aus, und Pai übersetzte:

      „Was ist dir?“

      „Nichts, Pai.“

      Lächelnd und stammelnd:

      „Ich dachte an etwas.“

      Grade so hatte, am letzten Tage, die schöne Mai vor Lola gelegen: aber in Tränen und Jammer. Lola dachte: „Ist es wahr, daß ich bald zu ihr zurück darf?“

      Einer der Onkel heiterte sie auf: er klatschte in die Hände, und sie mußte vor ihm davon laufen. Sie tat es aus Gefälligkeit, und lächelte höflich, wie er sie fing. Nun spielten alle mit und wollten sich verstecken, und der lustige Onkel sollte sie suchen. Man zeigte Lola einen sehr guten Versteck: hinter einem kleinen Gartenhause und unter einem dunkeln Baum. Da stand sie lange, und niemand fand sie. Kein Geräusch im Garten. „Sollten sie mich vergessen haben?“ Eine hastige Angst überfiel sie: „Pai ist fort, Anna ist fort: sie haben mich allein gelassen!“ Sie senkte, betäubt, den Kopf und legte die Hände vors Gesicht. Ganz allein! Da kamen Schritte herbei; Lola nahm sich zusammen und gab einen kleinen hellen Vogellaut von sich. Es dauerte etwas; sie lauschte atemlos, zwitscherte nochmals, und dann fand man sie.

      „Damit du mich nicht zu lange suchen solltest,“ erklärte sie, obwohl der Onkel doch nichts verstand.

      Beim Abendessen ward sie lebhaft und sang sogar ein Lied, näselnd wie die Schwarzen, von denen sie es gelernt hatte. Mitten in aller Vergnügen aber, und wie auch Pai gerade lachte, nahm sie seine Hand und flüsterte ihm, als überrumpelte sie ihn, eilig zu:

      „Nicht wahr, Pai, wir reisen bald nach Haus?“

      Pai nickte; aber er war nun wieder ernst, und Lola hatte gesehen, daß er beinahe ärgerlich geworden wäre. Verstört schwieg sie: war’s möglich, daß man sich auf Pai nicht mehr verlassen konnte?

      „Weißt du nicht, wann wir nach Haus reisen?“ fragte sie nachher im Schlafzimmer die schwarze Anna.

      Nein, Anna wußte es nicht, und ihr glaubte Lola. Anna sah sich, mit kleinem tierischen Kopfrücken, im Zimmer um, wie in einem Käfig; Lolas Augen folgten ihr; — und dann betrachteten die beiden einander ratlos.

      Aber die neue Großmutter war so heiter! Man konnte nicht an ihrer Hand durchs Haus laufen: in den Saal, wo die Äpfel lagen, auf den Boden, woher sie bunte Kleider und alte, seltsame Puppen holte, — ohne daß irgend etwas Lustiges vorfiel. Der zweite Onkel brachte seinerseits viel Leben mit; — und dann war es ziemlich spaßhaft, mit Anna auszugehen, unter die hiesigen Kinder, die scheinbar noch nie eine Schwarze erblickt hatten. Da ward man angesehen! Manchmal zwar liefen einem zu viele nach und machten sich lästig: da half nur, daß man ihnen Bonbons hinwarf, um zu entkommen, während sie sich rauften . . . Ferner war unter den freundlichen Menschen, die Lola kennen lernte, ein schwarzgekleideter Herr mit weißem Bart, der eines Tages in Großmamas Zimmer saß und Lola etwas fragte. Pai bedeutete ihr, es handle sich darum, ob sie zum protestantischen Glauben übertreten wolle; er rate ihr dazu. Sie sagte ja, bekam von dem alten Herrn einige glatte bunte Bildchen und ward am Abend in den Zirkus geführt . . . So viel hatte man erlebt, daß gewiß schon ein Jahr herum war.

      „Nicht wahr, ein Jahr sind wir bald hier?“ fragte sie eines Abends. Pai erwiderte:

      „Was denkst du. Sechs Wochen erst.“

      „Erst? Aber es ist doch schon wieder Winter?“

      „Nein, Kind, so ist hier der Sommer.“

      Sie hätte sich gern einmal wieder nach der Heimreise erkundigt; aber Pai schien nicht aufgelegt; er hatte die schon lange nicht mehr gesehene Falte zwischen den Augen. Auch die Andern sprachen heute viel weniger. Sogar Großmama lächelte nur halb. Lola ging bedrückt zu Bett.

      In der Nacht träumte ihr etwas Trauriges: sie sah einen Neger — welchen, wußte sie nicht, aber es war einer, den sie gern hatte — von einem Aufseher grausam prügeln, hörte sein Winseln, brach selbst in Weinen aus und lief, es dem Großvater zu klagen: weinte und lief. Da erwachte sie, noch immer schluchzend, — und auch das andere Schluchzen ging weiter. Die schwarze Anna kauerte, über das Bett gebeugt, und jammerte erstickt:

      „Kleine Herrin, ich muß fort. Schon morgen reisen der Herr und Anna mit dem Dampfschiff fort, zurück in unser Land; die kleine Herrin aber bleibt hier.“

      Und da Lola, auffahrend, in Geschrei ausbrach:

      „Ganz leise! Anna darf nichts sagen: der Herr hat es verboten. Anna sollte ohne Abschied weggehen: sie kann doch nicht!“

      „Du sollst nicht weggehen! Hörst du, du tust es nicht! Ich befehle es dir!“

      Des Kindes Stimme brach sich vor Zorn.

      „Pai läßt mich nicht hier zurück; das sind alles Lügen.“

      Die Amme wiederholte nur, eintönig klagend:

      „Ganz leise! Anna muß fort.“

      Und in ihrem Gemurmel ging der Zorn der Kleinen allmählich unter. Sie ließ sich auf Annas Schulter fallen, gebrochen, mit Schluchzen und Bitten.

      „Geh nicht fort!“

      „Anna muß gehen.“

      „Wenn du fortgehst, dann —“

      Der Schmerz schüttelte das Kind. Es preßte sein Gesicht auf die nackte schwarze Schulter; — und mit dem öligen Geruch dieser Haut, an der es einst die ersten Atemzüge getan hatte, erhob sich die dunkle Flut seiner frühesten Erinnerungen und überschwemmte es. Lola sah, in einem aufgeregten Gedränge von Bildern, zuerst einen Palmenwald, dann viele grimassierende Negergestalten, die ihr namenlos schön erschienen, um Fleischtöpfe hocken, in die sie oft ihre Händchen getaucht hatte; sah ein Stück schäumenden, heftig blauen Meeres und die buschigen Wedel des Zuckerrohrs davor; sah Nene, den Bach und die Kurubus . . .

      „Wenn du fortgehst,“ wimmerte sie, „dann —“

      Es entstand ein Wogen großer Blumen hinter ihren an Annas Schulter gedrückten Lidern; und tief in den Blumen hing die Hängematte mit der schönen Mai, die ihr zunickte und langsam und wie von einer nicht mehr Anwesenden das Gesicht wegwandte.

      „Wenn du fortgehst, dann ist . . . alles aus!“

      Am Morgen trat Pai ins Zimmer und sagte:

      „Meine kleine Lola, Pai muß nun auf kurze Zeit zurückreisen, und bis er wiederkommt, läßt er dich hier.“

      Da das Kind nur den Kopf senkte:

      „Es wäre für dich nicht gut, schon wieder so weit zu reisen.“

      Lola schlug


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