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Flöten und Dolche. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Flöten und Dolche - Heinrich Mann


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die mich hin­auf­ge­hisst ha­ben. Auf ih­rem zer­stör­ten Ge­sicht tref­fe ich mei­ne Erin­ne­run­gen an so vie­le er­lo­ge­ne Auf­re­gun­gen. Sie aber war viel­leicht ehr­lich?

      Eine Un­mög­li­che: die Lan­cre­do­ni. Ma­ge­re Prin­zes­sin von bräun­li­cher Haut. Ein stei­ler Hals trägt den klei­nen, star­ren Kopf, mit der ent­wei­chen­den Li­nie von Nase und Stirn. Der Spit­zen­är­mel ent­fal­tet sich sehr tief un­ter der nack­ten Schul­ter, die ab­fällt, zer­brech­lich, rein. Un­ter den kal­ten Blit­zen ih­res Dia­dems gähnt die Prin­zes­sin … Und heu­te Abend, hin­ter mei­nem Vor­hang, hab’ ich sie ver­ge­wal­tigt! Ich habe zu ihr hin­aus tri­um­phiert, wis­send, dass ich mehr von ihr schme­cke als der, der sie jede Nacht in den Ar­men hiel­te! Was bleibt da­von üb­rig. Vi­el­leicht ein paar Zei­len, die ich dru­cken las­se. Aber für mich, in der See­le? …

      Die jun­gen Mäd­chen! Da sa­ßen sie, ganz nah, und lug­ten hell­äu­gig aus ei­ner Welt her­vor, in die kein Weg führt. Die Can­tog­gi traf ein­mal mein Auge, im Loch des Vor­hangs. Ich er­schrak tief über die­sen Blick, den sie aus­sand­te, ohne zu ah­nen wo­hin.

      Wel­che von ih­nen kommt und nimmt mich bei der Hand und führt mich heim­wärts in ihr Land, wo man stark und mit Un­schuld emp­fin­det!

      Kei­ne. Denn sie ha­ben selbst nichts Ei­li­ge­res zu tun, als die Ko­mö­die zu er­ler­nen. Gem­ma Can­tog­gi, das Kind, frisch vom Lan­de, hei­ra­tet den Lan­ti, einen Vi­veur auf dem Ab­marsch. Sau­ber ist das.

      Ver­langt man von ei­ner, sie sol­le ma­chen, dass man sich selbst ver­gisst – wahr­schein­lich darf man auch von ihr nichts wis­sen? Im Par­kett saß eine Frem­de, ein schö­nes, star­kes Pro­fil un­ter der Samtschlei­fe des großen Hu­tes. Eine we­hen­de Kra­vat­te hüll­te sie bis an den Mund in ro­si­ge Gaze …«

      Ma­rio Mal­vol­to träum­te noch, als er auf den Platz von Set­ti­gna­no ein­bog. Der nied­ri­ge, flach ge­schweif­te Kir­chen­gie­bel war von Mond bläu­lich ge­pu­dert. Eine ein­sa­me La­ter­ne er­blin­de­te in der wei­ten Ster­nen­nacht, in de­ren Mit­te auf sei­nem Hü­gel das Städt­chen schlief.

      Ein Geräusch ver­lor sich ir­gend­wo. Ma­rio Mal­vol­to sah da­hin­ten in der lan­gen Gas­se et­was Dunkles sich be­we­gen. Ge­wiss, es war der Wa­gen von vor­hin; das Ver­deck war auf­ge­stellt. Ein Mond­streif fiel plötz­lich dar­über; et­was Wei­ßes hat­te sich her­aus­ge­beugt. Wo in der Um­ge­gend war die­ses Ge­fährt zu Hau­se? Nir­gends, sag­te der Kut­scher. Es ver­schwand im Schat­ten.

      Sie ver­lie­ßen die Gas­se und fuh­ren ein Stück bergab. Ma­rio Mal­vol­to stieg aus, mach­te ein paar Schrit­te zwi­schen He­cken, elf Stu­fen hin­an; da stand er vor sei­ner Tür. Sie war of­fen. Sein Die­ner lag schla­fend da­vor.

      Ma­rio Mal­vol­to schritt über ihn weg, er nahm im Ves­ti­bül die Lam­pe vom Tisch, ging die Trep­pe hin­auf und be­trat sein Ar­beits­zim­mer. Auf der Biblio­thek die Frau­en­büs­ten in ih­rer schma­len al­ten Tracht lä­chel­ten weiß, ver­schlos­sen, aus stei­len Träu­men; und auf ih­ren Stir­nen die große Per­le schi­en im Mond­licht an ih­rer Ket­te zu schwan­ken.

      Das Zim­mer war so hell, dass Mal­vol­to die Lam­pe lösch­te. Er lehn­te sich in die of­fe­ne Ter­ras­sen­tür. Wie weiß war der Gar­ten! All dies schwe­re dunkle Laub über den gan­zen Hü­gel­rücken hin und bis un­ter die Mau­er mit ih­rem Bal­da­chin von Stein­ei­chen, al­les blitz­te in blei­cher und kost­ba­rer Ver­zau­be­rung. Als ein sil­ber­ner Man­tel hin­gen die Gly­ci­ni­en um die star­re, tote Zy­pres­se. Und die Ka­me­li­en in den Tie­fen ver­senk­ter Bü­sche blu­te­ten nur wie Geis­ter.

      Er sah ins Zim­mer zu­rück, und er er­schrak. Ei­nen Au­gen­blick hat­te es ihm ge­schie­nen, der über­le­bens­große Mensch dort auf der grel­len Wand rei­ße sein Schwert in die Höhe. Ma­rio Mal­vol­to sag­te in Ge­dan­ken zu ihm, zu die­sem Bil­de, dem ein­zi­gen, das täg­lich auf sei­ne Ar­beit her­nie­der­sah:

      »So fin­den wir uns wie­der. Als ich dich heu­te Abend ver­ließ, war ich kamp­fes­froh, ge­spannt auf einen lau­ten Sieg oder eine der­be Nie­der­la­ge. Es ist Sieg ge­we­sen. Bei Wein und Re­den ist er an­ge­schwol­len. Ich gehe, sei­ner si­cher, da­von. Ich brau­che ihn nur aus der Brust zu zie­hen und zu be­trach­ten, nicht wahr? Und un­ter­wegs, in ei­ner Mond­nacht voll ge­spens­ti­gen Be­sin­nens, wird eine Nie­der­la­ge dar­aus – o, eine stil­le, blas­se Nie­der­la­ge, und eine schlim­me­re, als wäre ich lär­mend aus­ge­pfif­fen.

      Hast auch du ein­mal einen Sieg, wenn er am lau­tes­ten scholl, plötz­lich um­wen­den und da­von­fah­ren ge­se­hen? Krieg und Kunst, das ist die­sel­be über­mensch­li­che Aus­schwei­fung. Kennst du den Ekel nach der Or­gie? Ant­wor­te, Pip­po Spa­no!

      Da stehst du, auf­ge­r­eckt, die ei­ser­nen Bei­ne ge­spreizt, das rie­si­ge Schwert quer dar­über in Hän­den, die aus Bron­ze sind. Du hast schma­le Ge­len­ke, bist leicht, be­reit zu Sprung, Jagd, hit­zi­gen Umar­mun­gen und kal­ten Dolch­stö­ßen, zu Wein und zu Blut. In den Lau­ten dei­nes Na­mens selbst ge­schieht ein Pfei­fen von ge­schwun­ge­ner Waf­fe, und dann ein brei­ter Schlag. Über dei­ner brei­ten Brust wölbt sich Ei­sen, um dei­ne fei­nen Hüf­ten kreist ein gol­de­ner Gür­tel, auf dem fröh­li­chen Blau des Röck­chens. Du hast einen kur­z­en, zwei­ge­spitz­ten Bart, dein Mund steht ge­walt­tä­tig her­aus aus dei­nem ma­gern Ge­sicht, und düs­ter blon­de Lo­cken um­zot­teln es. Es blickt zu­rück­ge­wor­fen über die Schul­ter, mit auf­ge­ris­se­nen Au­gen, wach und furcht­bar. Wenn man län­ger hin­sieht, lä­chelt es. Das Über­maß von grau­sa­mer Selbst­si­cher­heit bringt die­ses Lä­cheln her­vor, das sich nicht nach­wei­sen lässt, das man nur ahnt, das tief ver­wirrt, in Grau­en stürzt, fes­selt, dem man sich wi­der­setzt, und das man schließ­lich ver­ehrt!

      Da du so un­ge­heu­er­lich zu tri­um­phie­ren ver­stehst – wie ent­setz­lich musst du manch­mal ge­schla­gen sein! Ja! wie musst du ge­lit­ten ha­ben, du und dein Ma­ler, der so stark war wie du. Gro­ße Kunst­wer­ke – dein Le­ben oder dein Bild – ha­ben so leuch­ten­de Hö­hen nur, weil sie so grau­si­ge Tie­fen ha­ben. Ach, du Tür­ken­sie­ger, ver­stell’ dich nicht – ich höre den­noch dei­nen tol­len Auf­schrei, wenn ein Schlag dich traf. Ich seh’ dich blu­ten, wenn ein Freund dich ver­riet. Ich ver­su­che den Rausch von Schmerz zu ah­nen, den du er­lebt hast, so oft eine Frau ihre spit­zen Fin­ger in dein Herz grub!«

      Ma­rio Mal­vol­to ver­schränk­te die Arme. Er kam nä­her, die Au­gen auf dem Ge­sicht des Con­dot­tie­re. Er flüs­ter­te:

      »Siehst du, nach sol­chem Rau­sche schmach­te nun ich! Ich bin zu zer­brech­lich da­für und zu nüch­tern; dar­um er­dich­te ich Men­schen, die an­ders sind. Da­rum stehst du hier, als mein Ge­wis­sen, als mein Zwang zur Grö­ße. Du sollst mir Über­druss ma­chen an der mä­ßi­gen Lust und dem haus­häl­te­ri­schen Lei­den, wo­mit wir un­zu­läng­li­chen Spät­ge­bo­re­nen uns be­schei­den. Un­se­re Kunst be­fruch­tet sich mit ei­nem matt­far­be­nen Ro­ko­ko­lei­den, ge­ziert und ohne Grö­ße. Be­lang­lo­se Neu­r­asthe­ni­ker-Ge­schi­cke deh­nen sich aus über ein bür­ger­li­ches Da­sein von sieb­zig Jah­ren, wäh­rend­des­sen man täg­lich für ei­ni­ge Kup­fer­mün­zen Leid ver­zehrt und für einen Ni­ckel Be­ha­gen. Der Künst­ler gräbt um­ständ­lich in sei­ner ver­stopf­ten See­le um­her, im­mer nur in sei­ner ei­ge­nen, und för­dert Trau­rig­kei­ten zu­ta­ge, die er ei­tel her­um­zeigt. Mit feind­se­li­ger Iro­nie blin­zelt


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