Gesammelte Werke von Cicero. Марк Туллий ЦицеронЧитать онлайн книгу.
Deßhalb sei Nichts so verabscheuungswürdig und verderblich als die sinnliche Lust, insofern ja dieselbe, wenn sie sehr stark und von sehr langer Dauer sei, das ganze Licht des Geistes auslösche.«
Dieses hat Archytas vor dem Samniten Gajus Pontius 127, dem Vater dessen, von dem die Consuln Spurius Postumius und Titus Veturius in der Kaudinischen Schlacht überwunden wurden, gesprochen, wie unser Gastfreund, der Tarentiner Nearchus 128, der der Freundschaft mit dem Römischen Volke treu geblieben war, von älteren Leuten vernommen zu haben versicherte, da ja diesem Gespräche auch der Athener Plato beigewohnt habe, der, wie ich finde, unter dem Consulate des Lucius Camillus und Appius Claudius 129 nach Tarentum kam.
42. Wozu dieß? Damit ihr einsehet, daß, wenn wir die Sinnenlust mit Hülfe der Vernunft und Weisheit nicht zurückweisen könnten, wir dem Greisenalter großen Dank schuldig wären, da es bewirkt, daß uns nicht nach dem gelüstet, wornach uns nicht gelüsten soll. Denn die Sinnlichkeit ist der Ueberlegung hinderlich, sie ist eine Feindin der Vernunft, sie verblendet, so zu sagen, die Augen des Verstandes und hat keinen Verkehr mit der Tugend. Ungern that ich es, daß ich des so tapferen Titus Flamininus 130 Bruder, den Lucius Flamininus 131, aus dem Senate stieß, sieben Jahre nach seinem Consulate; aber ich hielt es für nothwendig seine Ausschweifung zu rügen. Denn da er als Consul 132 in Gallien war, ließ er sich bei einem Gastmahle von einer Buhlerin erbitten Einen von denen, die, wegen eines peinlichen Verbrechens verurtheilt, in Ketten lagen, mit dem Beile zu enthaupten 133, Er war unter dem Censoramte seines Bruders Titus 134, der zunächst vor mir Censor gewesen war, der Ahndung entschlüpft; ich aber und Flaccus 135 konnten eine so schandbare und heillose Ausschweifung schlechterdings nicht ungestraft hingehen lassen, da sie mit persönlicher Schande auch die Entehrung des Amtes verband.
XIII.
43. Oft habe ich von älteren Leuten gehört, die es hinwiederum in ihrer Kindheit von Greisen gehört zu haben versicherten, Gajus Fabricius 136 habe sich öfters mit Verwunderung über das geäußert, was er bei seiner Gesandtschaft an den Pyrrhus von dem Thessalier Cineas 137 gehört hatte, es lebe zu Athen ein Mann 138, der sich für einen Weisen ausgebe 139 und doch behaupte, Alles, was wir thäten, müsse auf das sinnliche Vergnügen bezogen werden. Manius Curius und Tiberius Coruncanius 140. die dieses von ihm hörten, hätten öfter gewünscht, daß sich die Samniten 141 und Pyrrhus selbst davon überzeugen lassen möchten, damit sie desto leichter besiegt werden könnten, wenn sie sich den Vergnügungen hingäben. Manius Curius war ein Zeitgenosse des Publius Decius 142, der sich in seinem vierten Consulate fünf Jahre vor dem Consulate jenes für den Staat geopfert hatte. Es kannte ihn Fabricius, es kannte ihn Coruncanius. Diese Männer zogen sowol aus ihrem eigenen Leben als auch aus der That des eben genannten Publius Decius den Schluß, es gebe in Wahrheit etwas von Natur Schönes und Herrliches, das um seiner selbst willen begehrt werde, und nach dem die Edelsten mit Verschmähung und Verachtung der Sinnenlust trachteten.
44. Wozu nun so viele Worte über die Sinnenlust? Weil es nicht nur kein Tadel, sondern vielmehr das höchste Lob des Greisenalters ist, daß es nach keinen sinnlichen Vergnügungen großes Verlangen hat.
» Aber es entbehrt der Schmausereien, der reichlich besetzten Tafeln und der häufigen Zechgelage.« Nun, so entbehrt es auch der Trunkenheit, der Unverdaulichkeit und Schlaflosigkeit. Doch soll man dem sinnlichen Vergnügen Etwas einräumen, weil wir seinen Schmeicheleien nicht leicht widerstehen, – denn vortrefflich nennt Plato 143 das sinnliche Vergnügen den Köder des Bösen, weil sich nämlich die Menschen durch dasselbe fangen lassen, wie die Fische; – so kann sich das Greisenalter, obwol es unmäßige Schmausereien entbehrt, doch an mäßigen Gastmählern vergnügen.. Den Gajus Duilius 144, des Marcus Sohn, der die Punier zuerst in einer Seeschlacht besiegt hatte, sah ich als Knabe oft in seinem Greisenalter von der Abendmahlzeit heimgehen. Er fand dabei Wohlgefallen an dem Scheine vieler Fackeln und an dem Spiele vieler Flötenbläser; und dieses hatte er sich als Privatmann ohne Anderer Vorgang herausgenommen. So viel Freiheit gab ihm sein Ruhm. 45. Doch was führe ich Andere an? Ich will auf mich selbst zurückkommen. Erstens hatte ich immer Tischgenossen bei mir. Die Tischverbrüderungen aber wurden unter meiner Quästur eingerichtet, als man den Idäischen Gottesdienst der großen Mutter 145 angenommen hatte. Ich schmauste nun mit den Tischgenossen allerdings mäßig; aber ich äußerte dabei doch noch ein jugendliches Brausen; doch mit dem Vorrücken des Alters mildern sich alle Leidenschaften. Denn das Vergnügen der Gastmähler selbst bemaß ich nicht sowol nach dem Sinnengenusse als vielmehr nach dem Zusammensein mit Freunden und den Unterhaltungen. Und treffend nannten unsere Altvordern die Tischgesellschaft von Freunden, weil sie eine Lebensvereinigung darbiete, ein Zusammenleben 146 ; besser als die Griechen, welche sie bald ein Zusammentrinken 147 bald ein Zusammenspeisen 148 nennen, so daß sie das, was hierbei das Geringste ist, am Meisten zu billigen scheinen.
XIV.
46. Ja wahrlich, der Genuß der Unterhaltung läßt mich auch an lang anhaltenden Gastmählern 149 Vergnügen finden, und zwar nicht allein mit meinen Altersgenossen, deren nur noch sehr Wenige am Leben sind, sondern auch mit Männern eueres Alters und namentlich mit euch; und ich weiß es dem Greisenalter großen Dank, daß es mir das Verlangen nach Unterhaltung vermehrt, das nach Trank und Speise genommen hat 150.
Ergötzen nun aber Manchen auch diese Genüsse, – damit ich nicht der Sinnenlust überhaupt den Krieg anzukündigen scheine, von der vielleicht die Natur ein gewisses Maß gestattet, – so sehe ich nicht ein, daß das Greisenalter selbst für diese Genüsse gar keinen Sinn haben soll. Mich ergötzen in der That die von unseren Altvordern eingeführten Trinkmeisterwürden 151 und die Unterhaltung, die nach Art unserer Altvordern bei dem Becher vom Obersten 152