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Die Kunst der Bestimmung. Christine WunnickeЧитать онлайн книгу.

Die Kunst der Bestimmung - Christine Wunnicke


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weißes Unterkleid, knapp, vielleicht einfach zu klein, und blassgelbe Pantoffeln aus zerschlissenem Atlas. Ihre Füße waren groß, auch die Hände, lange getupfte Finger, ineinander verschränkt vor einem flachen, kaum geschnürten Bauch. Sie war nicht sehr jung; über zwanzig. An eine Hure gemahnte nichts. Sie war schön und sonderbar, wie ein Einhorn, ein Meerweib, ein Wappentier. Ungerufen kam ein Gedanke in Chrysanders Kopf, kauf sie frei, nimm sie mit. Er erschrak. Das Mädchen legte den Kopf schief. Dann faltete sich ihr langer Körper in einem tiefen Knicks.

      «Maudlin?»

      «Ja, lieber Herr.»

      Sie sprach rau, ein wenig heiser, ein wenig gedehnt; der Tonfall einer ländlichen Gegend. Nur langsam richtete sie sich auf. Sie rückte den Stuhl für Chrysander zurecht, wischte den Sitz mit dem Rockzipfel ab und bat ihn Platz zu nehmen, mit einer etwas zu großartigen Geste, als spiele ein Kind die Prinzessin. Sie kicherte, nur kurz, fast ein Schluckauf. Dann lächelte sie. Chrysander wollte sich nicht setzen. Er wollte fort und nicht fort. Etwas war nicht in der Ordnung. Maudlin kräuselte die Nase, als röche sie Chrysanders Zweifel. Feuerrot waren ihre Lippen, weiß die Zähne, wie bei einer Dame von Stand. Sie betrachtete ihren Gast aufmerksam. Sie tat nicht ihre Hurenpflicht. Sie schaute und blinzelte, als traue sie nicht ihren Augen. Chrysander setzte sich doch. Seine Kunst der Bestimmung versagte. Animalia. Viviparos. Oviparos. Vegetabilia. Cruciferae. Saxifraga. Zoophythes. Chrysanders Denkmaschine spuckte Begriffe aus, schnell und furchtsam, wie ein Gebet in Not. Er hob den Kopf und blickte in Maudlins helle Augen.

      Irgendwann trat sie einen Schritt zurück. Sie senkte den Kopf und nestelte an ihren Maßliebchen.

      «Aus Cheshire komm ich, lieber Herr. Schweinemagd bin ich gewesen. Ich war im Stall und draußen sind alle an der Pest gestorben, sie haben mich draußen nicht wollen, Mama und Vater und das Dorf, weil Ihr seht ja, ich bin zu rot, und der Teufel hat mich scheckig gespuckt, und zu lang bin ich, das Stalltor ging viel zu weit runter, ich haute mir den Kopf und alle lachten, und dann hat sie die Pest geholt, oh ja, das weiß der Herr, nicht wahr, der liebe kluge Herr weiß um die Pest in Cheshire?»

      Chrysander schauderte. Quadrupedes. Amphibia. Eine Hure, die biographisch vorgeht, sah sein System nicht vor.

      «Cheshire ist grün», fuhr Maudlin fort, «grüne Wiesen, sonst nicht arg viel, aber fein grün in Cheshire, vor der Pest, guter Herr, und nach der Pest auch, und nun, nun, einer nahm mich mit, hat mich malen wollen als die heilige Magdalene, aber froschnackt, der Schelm, und nun, nun bin ich hier, lieber Herr, das bin ich, eine femme de plaisir, und Ihr?»

      Maudlin bückte sich. Ihr Haar streifte Chrysanders Hände. Sie verharrte reglos. Sie wiederholte: «Und Ihr?»

      «Schweden», murmelte Chrysander.

      «Was?»

      «Aus Schweden, mein Kind. Ein anderes Land.»

      «Grün?»

      «Im Frühling.»

      «Und habt Ihr Heimweh, lieber Herr?»

      Chrysander gab keine Antwort. Maudlin ging in die Hocke und hielt sich mit beiden Händen an seinen Knien fest. Chrysander betrachtete ihr Brustbein, die Linie ihres Halses. Er wollte sie haben, jetzt und weiterhin. Er würde davonlaufen müssen. Das Mädchen richtete Schaden an in seinem Gehirn.

      «Seid Ihr Priester?», fragte Maudlin. «Sprecht Ihr mich los?»

      «Nein. Du musst zur Kirche gehen.»

      «Was seid Ihr sonst?»

      «Arzt und Professor.»

      «Professor? Was ist das?»

      «Einer, der ordnet. Der die Ordnung sucht.»

      «Ihr ordnet, guter Herr? Was?»

      «Alles. Die Dinge der Welt. Es sind viele. Es ist eine Frage der Zeit.»

      Chrysander hörte sich sprechen wie einen Fremden. Hatten sie ihm eine Hexe gegeben? Gab es solche? Eine noch offene Frage in der Klasse der Res Humanae.

      «Ordnung», sagte Maudlin, den Kopf gesenkt, «das ist schön. Das erstaunt mich. Das ist wie Friede. Könnt Ihr das? Wo lerntet Ihr das? Ordnet Ihr alles? Auch Leute?»

      «Auch diese.» Chrysanders Zunge war schwer. Maudlin streichelte abwesend sein linkes Bein. Schatten huschten über ihr Gesicht, Kummer, Freude, Furcht, Verwirrung oder nur eine nervöse Verschiebung der Muskeln.

      «Verzeiht, Sir. Ich bin neu hier. Ich muss das Spiel noch lernen.»

      Chrysander versuchte aufzustehen. Maudlin hielt ihn fest, ein harter Griff um beide Knie, als packe sie ein Ferkel im Stall.

      «Wie geht das?», fragte sie laut, fast befehlend. «Wie macht Ihr das, ein jedes Ding recht zu ordnen?»

      «Ich sehe es an, ich bestimme es, dann gebe ich ihm einen Namen.» Es klang einfach, wenn Chrysander das sagte. Er wagte nun, sich zurückzulehnen. Er wagte einen langen Blick auf Maudlins unfassbares Haar.

      «Tut es mit mir, guter Herr.»

      «Dich bestimmen?»

      «Nun ja!»

      Chrysander verzog den Mund. Es wurde fast ein Lächeln. Maudlin neigte den Kopf, tief und tiefer, und berührte mit den Lippen seine Hand.

      «Es ist schwer», sagte Maudlin, «nicht wahr?»

      «Es ist einfach», sagte Chrysander.

      «Glaubt Ihr?»

      «Oh ja!»

      «So tut es denn!»

      «Du bist ein Mädchen, Maudlin», begann Chrysander, «du bist ein gutes Mädchen», ergänzte er verblüfft, «das einen Wirrkopf hat und den rechten Weg versäumte.»

      Maudlin überlegte. Dann sagte sie leise, «nennt mich nicht so, nennt mich Lucy.»

      Chrysander blickte sie fragend an. Ein Name war ihm mehr als genug.

      «Lucy heiß ich. Maudlin war meine Schwester. Sie war bös und starb und ich stahl ihren Namen. Aber Lucy ist meiner. Mein eigener. Ich ...»

      Sie stockte. Sie verschränkte ihre Finger sorgfältig über Chrysanders Knie und legte den Kopf in den Nacken.

      «Ich mag Euch. Lieber Herr. Nennt mich Lucy.»

      «Ich muss dich nicht nennen, mein Kind.»

      «Das ist schade.»

      Mit Entsetzen beobachtete Chrysander seine Hand. Sie hob sich und öffnete sich, als wolle sie etwas nehmen. Chrysander hatte der Hand nicht befohlen, dies zu tun. Sie öffnete sich weiter und bewegte sich weiter und dann geriet sie in das Haar des Mädchens, das Maudlin heißen sollte und Lucy hieß, das sich anbot als Hure und sich nicht wie eine Hure benahm. Ihr Haar war weich und fein. Chrysander hielt eine Strähne und hob sie hoch, nah vor seine Augen, als sei das ein Farnwedel, ein Faden der Seidenraupe, die Mähne eines fremdartigen Tieres.

      «Man könnte nachsehen», murmelte Chrysander, «wie du zu bestimmen bist, Kind, unter deinen Kleidern.»

      «Ihr seid galant, Sir?» Lucy rückte beklommen ab.

      «Ich möchte», sagte Chrysander, «nicht sprechen.»

      «Nicht?»

      «Ich weiß es nicht. Ich dachte, ich käme als Kunde. Du bist nicht zu Hause in deinem Gewerbe.»

      «Mögt Ihr Huren?»

      «Manchmal.»

      «Warum?»

      «Weil sie schweigen. Weil sie nicht fragen.»

      «Oh», sagte Lucy. «Oh, lieber Herr. Das ist schlimm.»

      Langsam rückte sie weiter ab und langsam stand sie auf. Noch immer hielt Chrysander eine Strähne ihres Haares und Lucy ließ ihn gewähren, sie stand krumm und wartete geduldig, bis ihr Gast genug hatte von dieser Betastung.

      Er hatte


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