BIERKÄMPFE, BAROCKENGEL UND ANDERE BAVARESKEN. Klaus HübnerЧитать онлайн книгу.
protzige »mia san mia«.
Klaus Wolf: Bayerische Literaturgeschichte. Von Tassilo bis Gerhard Polt. München 2018: Verlag C. H. Beck. 368 S.
Literatur und Landschaft. Eine voluminöse Literaturgeschichte Frankens
Literaturgeografie
Dass er ein, wenn nicht der Experte schlechthin für Frankens Literatur und deren Geschichte ist, hat Hermann Glaser, der langjährige Kulturdezernent der Stadt Nürnberg, in unzähligen Vorträgen, Aufsätzen, Radiosendungen und Büchern bewiesen. Im ehrwürdigen Alter von siebenundachtzig Jahren legt der vielfach ausgezeichnete Autor und Kulturpolitiker ein schwergewichtiges Werk vor, das man mit einigem Recht als Summe seiner lebenslangen Bemühungen um die Literatur Frankens bezeichnen darf. Auf dem Erlanger Poetenfest stellte Hermann Glaser das Opus erstmals vor: Franken – Eine deutsche Literaturlandschaft. Er versteht seine Arbeit als Fortführung und Erweiterung der Fränkischen Klassiker aus dem Jahr 1971, einem aus einer Sendereihe des BR-Studios Nürnberg entstandenen, von Wolfgang Buhl herausgegebenen Werk, das das weitverzweigte Thema in Einzeldarstellungen erschlossen hatte. Dem Publizisten und Rundfunkmann Wolfgang Buhl und dem Mediävistikprofessor Horst Brunner wird für ihre Vor- und Mitarbeit gebührend gedankt, andere »Zulieferer« werden erwähnt. Der Verfasser, betont Glaser, sei in der komfortablen Lage gewesen, »sich als umfangreicher Kompilator zu entlasten«, und bei diesem keineswegs unschöpferischen Zusammenstellen spiele das Zitat eine wichtige Rolle. So weit, so gut. Und da die »Geografie der Literatur«, für deren Anerkennung als wichtige Hilfswissenschaft jeglicher Beschäftigung mit Literatur vor allem die Schweizer Literaturwissenschaftlerin Barbara Piatti seit Jahren eine Lanze bricht, ein Forschungsfeld ist, mit dem schon jeder Literaturinteressierte einmal irgendwie in Berührung gekommen ist, freut man sich auf eine kompetente und erhellende Darstellung der Literaturlandschaft Franken.
Deutschland und Franken
Aber ach! Hermann Glaser hat in seinem ehrenwerten Bemühen, die literarischen Beziehungen und vielfachen Wechselwirkungen zwischen Franken und dem übrigen Deutschland herauszuarbeiten, eine Entscheidung getroffen, über die man vehement streiten kann, ja streiten muss: Er hat dem Fränkischen, das erst ab Seite 355 drankommt, einen umfangreichen ersten Teil vorangestellt, der die Epochen der deutschen Literatur vom frühen Mittelalter bis zu Franz Xaver Kroetz, Herbert Achternbusch und Martin Sperr behandelt – eine ganz konventionelle Geschichte der deutschsprachigen Literatur. Man liest also zunächst einmal einen vollkommen überraschungsfreien germanistischen Grundkurstext, der Glaser als grundfleißigen Kompilator zeigt, aber kaum das bewirken wird, was er eigentlich soll: die Literatur Frankens erkenntnisfördernd zu beleuchten und sie in größeren Zusammenhängen zu verorten. Der Entschluss, sein Opus so beginnen zu lassen, macht den Einstieg unnötig mühsam. Erschwerend kommt hinzu, dass Hermann Glaser völlig zu Recht für sehr vieles berühmt, als wirklich herausragender Stilist jedoch noch nicht groß aufgefallen ist. Wer nicht möchte, dass das spannende Thema in weithin bekannten Fakten zu Oswald von Wolkenstein, Adelbert von Chamisso, Max Frisch oder Christa Wolf untergeht, wer dieses Buch nicht erschlagen und erschöpft zuklappen möchte, bevor es zur eigentlichen Sache geht – dem muss man dringend raten, den gesamten ersten Teil zu überspringen und sich mit den gut zweihundert Seiten zu begnügen, die dem Kernthema der Studie gelten: Franken – Eine deutsche Literaturlandschaft.
Facettenreiche Literaturlandschaft
»Im 11. Jahrhundert beginnt die Geschichte Frankens als Literaturlandschaft«, und zwar mit dem christusfrommen Ezzo-Lied und dem Historienepos vom Herzog Ernst, schreibt Hermann Glaser. Wie zwei der bedeutendsten deutschen Dichter des Mittelalters, Wolfram von Eschenbach mit dem Parzival und Walther von der Vogelweide mit seinen Sangsprüchen, mit Franken verbunden sind, erläutert er eindringlich, und dass das 13. Jahrhundert »als die glänzendste Zeit der Region in der Literaturgeschichte« gelten kann, führt Glaser nicht nur an den Werken des Konrad von Würzburg oder des Wirnt von Grâvenberc einleuchtend vor.
Seinem beeindruckenden Mittelalter-Kapitel folgt eines zu Humanismus und Renaissance, und hier ist der Nürnberger auf seinem ureigensten Gebiet. In dieser »löblichen Stat« wirkten unter anderem Albrecht Dürer und Willibald Pirckheimer, vor allem aber die Handwerker-Poeten, die weithin bekannt, aber zu wenig gelesen sind und dennoch bis ins 20. Jahrhundert hinein nachwirkten, unter ihnen Hans Rosenplüt und Hans Folz, vor allem jedoch der große Hans Sachs. Hermann Glaser versteht es, ihre Dichtungen dem Leser auf wenigen Seiten derart nahezubringen, dass man sich seiner Unkenntnis zu schämen beginnt und sich fest vornimmt, seine Lektürelücken ganz schnell zu schließen. Nürnberg bleibt auch in der Barockzeit eine der wichtigsten Literaturstädte Deutschlands – hier entstand 1644 ein »Pegnesischer Blumenorden«, der es sich zur Aufgabe machte, die deutsche Sprache als Sprache der Literatur und der Wissenschaft zu pflegen. Glaser weiß manch Einleuchtendes zu sagen über Georg Philipp Harsdörffer, Philipp von Zesen, Johann Klaj oder Sigmund von Birken, und seine üppig präsentierten Zitate aus ihren Werken sind überlegt ausgewählt.
Die Bedeutung Frankens als Literaturlandschaft geht dann im 18. Jahrhundert ein wenig zurück, auch wenn der Ansbacher Dichter Johann Peter Uz überregional gelesen wird und Hermann Glaser den 1738 bei Leipzig geborenen Moritz August von Thümmel, der zwanzig Jahre lang Minister im coburgischen Staatsdienst war, als oft übergangenen Meister des ebenso heiter-empfindsamen wie sarkastisch-spöttischen Reiseromans zu seinem Recht kommen lässt. Interessant ist Glasers liebevolle Würdigung des Nürnberger Dialektdichters Johann Konrad Grübel – fränkische Mundartliteratur gibt es, wie er betont, keineswegs erst seit Fitzgerald Kusz. »Stürmer und Dränger hat Franken viele hervorgebracht, aber – mit einer Ausnahme – keinen bemerkenswerten Autor in der Epoche des Sturm und Drang«, heißt es am Anfang des vierten Kapitels. Dass diese Ausnahme, der berühmte Württemberger Literat und Zeitungsmann Christian Friedrich Daniel Schubart, nur mit Ach und Krach dem Frankenland zuzurechnen ist, nimmt der Leser gerne hin. Mit seinen luziden Ausführungen zu Goethe und dessen Dürer-Begeisterung ist Glaser dann ganz in seinem Element, und gerade hier wird deutlich, dass »Literaturlandschaft« weit mehr bedeutet als nur »Geburtsregion«. Das beweisen auch die Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders (1796), mit denen Wilhelm Heinrich Wackenroder und Ludwig Tieck zur Popularität der Ferienregion »Fränkische Schweiz« und zum Ansehen des Nürnberger Kunstgeists Entscheidendes beigetragen haben – wie später auch Joseph Victor von Scheffel, dem man in Gößweinstein ein sehenswertes Denkmal errichtet hat. Dass Hermann Glaser im Abschnitt über seinen Lieblingspoeten Jean Paul alle Register seines Könnens zieht, verwundert nicht. Dort, und auch in den Ausführungen zum Werk des zeitweiligen Bambergers E. T. A. Hoffmann und des Schweinfurter Dichtergelehrten Friedrich Rückert, findet auch der Kenner viel Neues. Das 19. Jahrhundert wird weitgehend mit den Philosophen Stirner, Hegel und Feuerbach bestritten, doch kommen auch später in München wirkende Franken wie Oskar Panizza, Michael Georg Conrad und Ludwig Derleth nicht zu kurz. Oder, später dann, wichtige Autoren des 20. Jahrhunderts wie Jakob Wassermann, Leonhard Frank, Bernhard Kellermann, Ernst Penzoldt oder Hermann Kesten.
Dass sich Glaser ausführlich der in den letzten fünfzig Jahren boomenden fränkischen Mundartdichtung zuwendet, versteht sich von selbst. Mit differenzierten Darstellungen von Schriftstellern, deren Wirken erst von einigen Jahrzehnten begann – Max von der Grün, Gisela Elsner, Hans Wollschläger, Peter Horst Neumann, Natascha Wodin, Ludwig Fels, Gerhard Falkner oder Kerstin Specht –, geht Hermann Glasers Parcours durch die Jahrhunderte dann seinem Ende entgegen.
Der zweite Teil von Franken – Eine deutsche Literaturlandschaft bietet erheblich mehr, als hier aufzuzählen der Ort ist, und er bietet beileibe nicht nur Information über die Dichter, sondern auch Interpretation und begründete Verortung im Fränkischen – selbst Hans Magnus Enzensberger entkommt ihr nicht ganz. Kurzum, die Seiten 355 bis 562 offerieren genau das, was man sich von diesem Glaserschen Lebenswerk von Anfang an erwartet hatte.
Fränkische LiteraTour
Hatte ich schon erwähnt, dass Franken – Eine deutsche Literaturlandschaft durchgängig illustriert ist? Ob Farbe