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Fontanes Kriegsgefangenschaft. Robert RauhЧитать онлайн книгу.

Fontanes Kriegsgefangenschaft - Robert Rauh


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schrieb, »aus dem romantischen Land, das er durchwanderte, in die Wirklichkeit« gefallen.[2]

      An Schlaf war nicht zu denken. In der Nacht jagte unter dem Fußboden geschwaderartig und mit stampfendem Gepolter die Kavallerie. Jeden Augenblick musste Fontane fürchten, dass sie sein Bett mit Sturm nehmen würden. Es waren Ratten. Nie habe er diese Tiere mit solcher Frechheit sich gebärden sehen; sie waren überall, zupften und zerrten an den Decken. Und ließen sich durch sein Husten und Zurufen nicht im geringsten stören. Fontane flüchtete auf das breite Fensterbrett. Aber das höllische Getier ließ nicht von ihm ab. Die Ratten drängten sich an den Schemel, den Fontane als eine Art Treppenstufe vor das Fenster geschoben hatte, und versuchten, diesen zu erklettern. Schließlich gaben sie auf. Um vier Uhr wurde es still, um fünf dämmerte es und um sieben erschien Mr. Palazot, der für Fontanes Schlaflosigkeit lediglich ein müdes Lächeln übrighatte.[3] Im Notizbuch vermerkt Fontane nur kurz und knapp: Furchtbare Nacht.[4]

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      Furchtbare Nacht: Fontanes nachträgliche Einträge über den Beginn seiner Gefangenschaft Anfang Oktober 1870, Notizbuch D6

      Feindlich gesinnte Bevölkerung

      Es blieb furchtbar. Obwohl Monsieur Palazot es seinem Gefangenen am Morgen des 6. Oktober ermöglichen wollte, den Schlaf nachzuholen, blieb zum Ausruhen keine Zeit. Gegen neun Uhr, erzählt Fontane in Kriegsgefangen, kamen drei Gendarmen, um ihn nach der Festung Langres, zum Brigadegeneral zu bringen. Der Transport wurde zu einer Tortur. Weil der Bahnhof an der entgegengesetzten Seite der Stadt lag, musste Fontane – eskortiert von den Gendarmen – also die Hauptstraße der ganzen Länge nach passieren. Nachdem sich schon am Abend vorher die Nachricht seiner Verhaftung in allen Schichten der Bevölkerung verbreitet hatte, lief der Gefangene durch ein Spalier von Schaulustigen: Es war eine Art Volksfest. In Langres, wo er vier Stunden später eintraf, entwickelte sich der Marsch zum Gefängnis – das sich zu Fontanes Leidwesen auch hier am äußersten Stadtrand befand – zu einem Spießrutenlauf durch eine feindlich gesinnte Bevölkerung. Ein Phänomen, das Fontane in den nächsten Wochen auch an allen anderen Orten begleitete und das von anderen Kriegsgefangenen bestätigt wird. Adolf Genzel, ein Sergeant aus Halberstadt, berichtet in seinen Erinnerungen von der »außer Rand und Band geratenen« Bevölkerung, die in den Städten »johlend und schreiend, schimpfend und fluchend« die Gefangenentransporte vom Bahnhof zum Gefängnis begleitete. »Frauenzimmer kamen dicht an uns heran, spuckten nach uns und hielten mir drohend ihre kleinen Fäuste vor das Gesicht.« Und vor einem Gefängnis in Moulins, wo auch Fontane später Station machen wird, schien »das Geschrei und das Verlangen, uns die Köpfe abzuschlagen«, kein Ende zu nehmen.[5]

      In Langres war es vor allem die Straßenjugend, die ziemlich arg hinter Fontane her war, namentlich in den engen Gassen. Auch wenn er nicht alles verstand, was sie ihm zuriefen, so hatte er doch gerade Ohr genug, um das immer wiederkehrende »pendre« [hängen] und »fusiller« [erschiessen] sehr deutlich herauszuhören. Fontane, derart bedrängt, hatte große Angst. Er spricht es in Kriegsgefangen nicht aus, sondern vermittelt seine Furcht metaphorisch, indem er sich eines alten Liedes bedient. Als er in Neufchâteau von Haus zu Haus an den Gruppen Neugieriger vorüber musste, ging ihm die Figur der »Mary Hamilton« durch den Sinn. Die altschottische Ballade »The Queen’s Mary« hatte Fontane in Walter Scotts Textsammlung »The Minstrelsy of the Scottish Border« gelesen. Sie handelt von einer Hofdame am schottischen Hof, die vom König geschwängert wird. Weil Mary das Kind getötet hat, wird sie selbst zum Tode verurteilt. Fontane zitiert die Strophe, in der sie unter Beobachtung der vor ihren Häusern stehenden Männern und Frauen die Straß’ entlang schreitet. Und ergänzt: Mary Hamilton schritt auf einen Hügel zu, um dort zu sterben. Wohin schritt ich?[6]

      Ein paar Tage später wird er seine Angst vor der französischen Bevölkerung relativieren. Aber nicht in Kriegsgefangen, sondern in einem Brief an seine Frau. Die Menschen seien sehr aufgebracht gegen uns, und wenn man durch die Städte und Dörfer kommt, spürt man irgendwie eine Gefahr. Doch Fontane war – und das schreibt er nicht nur zur Beruhigung an Emilie – der Bevölkerung nicht schutzlos ausgeliefert. Nehmen die Obrigkeiten die Dinge in ihre Hand, sei alles in Ordnung. Die Erregung legt sich, und die Gerechtigkeit waltet.[7] Auch Adolf Genzel hebt »die Nothwendigkeit unserer Bedeckung« durch die begleitenden Gendarmen hervor, die es schwer genug hatten, die Gefangenen »vor der rasenden Bevölkerung« und ihren »thätlichen Angriffen« zu schützen.[8]

      Hoffnung in Langres

      Fontane wurde in Langres in ein Verhörslokal gebracht, in dem die Militärgerichtsbarkeit der Brigade ihren Sitz hatte. Bevor zwei Capitaines die Befragung vornahmen, legte der Gendarmeriewachtmeister Fontanes Papiere, darunter auch die Legitimationskarten, Briefe und Notizbücher, die man ihm in Domrémy abgenommen hatte, auf den Tisch. Fontane, der aufgrund von Schlaflosigkeit und des anstrengenden Marsches durch Langres einer Ohnmacht nahe war, bat um ein Glas Wasser. Ihm war bewusst, dass es hier auf seine Antworten sehr erheblich ankommen würde. Statt Wasser wurde ihm Wein gebracht. Fontane stürzte ihn hinunter und war nun wie neubelebt. Auch für ein Überleben gab es Hoffnung. Obwohl man erneut einen Offizier aus ihm herauspressen wollte, waren die Fragen im Gegensatz zum Verhör in Neufchâteau ruhiger, weniger feindselig. Zudem schienen Fontanes Erscheinung, seine Sprachweise und vor allem die Notizen seines Taschenbuchs die Situation zu seinen Gunsten zu wenden. Seine Zuversicht steigerte sich, nachdem er am Schluss des zehnminütigen Zwiegesprächs mit den beiden Capitaines das Wort »Kaserne« gehört zu haben glaubte. Ein Wort, das ihm angesichts seiner Lage schon halb wie Freiheit klingen musste.[9]

      Fontanes Optimismus, mit einem blauen Auge davonzukommen, hatte noch einen weiteren Grund. Den er in Kriegsgefangen nicht verrät und der nur indirekt aus seiner Korrespondenz hervorgeht. Die Capitaines gestatteten dem Gefangenen, Briefe zu schreiben. Diese Chance nutzte Fontane, um seine Frau nicht nur über seine Gefangenschaft zu informieren, sondern ihr detaillierte Anweisungen zu geben, wer zu kontaktieren sei, um die französische Regierung wissen zu lassen, dass er nichts weiter als ein Schriftsteller pur et simple sei, der für sein Buch den Kriegsschauplatz bereist. Vielleicht sei es möglich, sowohl auf irgend einen einflussreichen Kirchenfürsten als auch auf den Justizminister Crémieux und Außenminister Favre einzuwirken.

      Außerdem informierte er Emilie am Ende des Briefes, an Crémieux selbst eben ein Telegramm gerichtet zu haben.[10] Darin teilte Fontane dem Justizminister auf Französisch mit, ein enger Freund von Professor Lazarus und ein Autor wie er zu sein[11] – und beteuerte seine Unschuld: Er sei ein Schriftsteller und kein preußischer Offizier.[12] Sicherheitshalber wandte sich Fontane auch gleich an Lazarus, um ihn zu bitten, er möge ihn an Crémieux empfehlen und auf den Wert seiner Werke, insbesondere der Kriegsbücher von 1864 und 1866, hinweisen. Sein Metier sei die Geschichte.[13]

      Während sich Fontane in Kriegsgefangen also als ein Häftling darstellt, der den lokalen Behörden ausgeliefert war und der sich für die Verteidigung ausschließlich auf seine Integrität und seine Überzeugungskraft verlassen musste, war er tatsächlich selbst schon aktiv geworden. Bereits 24 Stunden nach seiner Festnahme mobilisierte Fontane genau den Personenkreis, der sich später für ihn einsetzen würde. Was er nicht wusste: Seine Briefe an Emilie kamen in Berlin zunächst nicht an. Es bedurfte jedoch keines Anstoßes, denn die Freunde bemühten sich unaufgefordert um seine Freilassung.

      Im Anschluss an das Verhör wurde er in ein graues schlossartiges Gebäude geführt und einer neuen Obhut übergeben. Monsieur Bourgaut, der den Gefangenen in Empfang nahm, plapperte fortwährend mit halblauter Stimme lange Sätze vor sich hin, die Fontane nicht verstand. Er brachte ihn in ein geräumiges, in allem übrigen aber seinen Erwartungen wenig entsprechendes Zimmer. Das breite


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