Die Löwenskölds - Romantrilogie. Selma LagerlöfЧитать онлайн книгу.
auch zu nichts führen.
Wenn sie auch denkt, die Wünsche anderer seien wie leichte Frühlingswinde, die ihrigen aber wie gewaltige Stürme, die Berge versetzen und die Erde aus ihrer Bahn werfen könnten, so weiß sie genau, daß dies nur Einbildungen sind. In Wirklichkeit vermögen die Wünsche nichts, weder jetzt noch in der Zukunft.
Sie muß zufrieden sein, daß sie in dem Kirchdorf wohnt, dicht am Wege, so daß sie ihn beinahe alle Tage an ihren Fenstern vorbeigehen sehen und ihn jeden Sonntag predigen hören kann, daß sie ferner ab und zu in die Propstei eingeladen wird und im gleichen Zimmer mit ihm sein darf, obwohl sie vor lauter Schüchternheit kein Wort an ihn zu richten wagt.
Sonderbarerweise besteht aber doch ein kleiner Zusammenhang zwischen ihm und ihr. Davon hat er indes wohl gar keine Ahnung, und sie hat auch nicht davon zu sprechen gewagt. Aber vorhanden ist dieser Zusammenhang jedenfalls.
Ihre Mutter war ja doch jene Malwina Spaak, die früher Haushälterin auf Hedeby bei Baron Löwenskölds, seinen Großeltern mütterlicherseits, gewesen war. Als Malwina fünfunddreißig Jahre alt war, hatte sie sich mit einem armen Landwirt verheiratet und sich von da an in ihrem eigenen Hause mit Arbeiten und Weben geplagt wie früher in fremden Häusern. Aber sie war immer in Verbindung mit den Löwenskölds geblieben. Diese waren zu ihr auf Besuch gekommen, und sie war oft zu langem Aufenthalt in Hedeby gewesen, um bei der Herbstbäckerei und dem Frühjahrsputz zu helfen, und das hatte einen Glanz auf ihr Leben geworfen. Ihrer Tochter hatte sie von klein auf die Zeit auf Hedeby aufs eingehendste geschildert, hatte ihr von dem verstorbenen General erzählt, der nun dort spukte, und von dem jungen Baron Adrian, der dem Ahnherrn zur Ruhe im Grabe hatte verhelfen wollen.
Die Tochter hatte wohl gemerkt, daß ihre Mutter in den jungen Baron verliebt gewesen war. Das war an der Art, wie sie von ihm sprach, leicht zu erkennen. Wie gut war er gewesen, und wie schön! Und seine Augen hatten einen gar träumerischen Ausdruck gehabt, und jede seiner Bewegungen war von unbeschreiblicher Anmut gewesen!
Wenn die Mutter Baron Adrian in dieser Weise schilderte, hatte die Tochter stets gedacht, sie übertreibe. Einen jungen Mann, wie die Mutter ihn hier schilderte, gab es in der ganzen Welt nicht.
Aber jedenfalls hatte sie ihn nun gesehen. Kurz nach ihrer Verheiratung mit dem Organisten und ihrem Einzug in Korskyrka hatte sie ihn eines Sonntags die Kanzel besteigen sehen. Er war ja freilich kein Baron, nur der Vikar Ekenstedt, aber er war der Neffe des Barons Adrian, den Malwina Spaak geliebt hatte, und er war ebenso schön und knabenhaft weich und ebenso zart und fein wie jener. Sie erkannte die großen träumerischen Augen wieder, von denen die Mutter berichtet hatte, sowie auch das freundliche Lächeln.
Als sie ihn sah, war es ihr, als habe sie ihn durch ihre Wünsche herbeigezogen. Immer, immer hatte sie sich danach gesehnt, einmal einen Mann zu sehen, auf den die Beschreibung ihrer Mutter paßte, und nun hatte sie ihn vor Augen. Sie wußte wohl, daß Wünsche machtlos sind, aber sie fand es doch wunderbar, daß er gekommen war. Er beachtete sie gar nicht, und am Ende des Sommers verlobte er sich mit der hochnäsigen Charlotte Löwensköld. Im Herbst kehrte er nach Uppsala zurück, um seine Studien fortzusetzen. Ach, nun war er für immer aus ihrem Leben verschwunden! Sie konnte nicht anders denken. Wenn sie sich’s auch noch so sehr wünschte, er würde doch nicht zurückkehren.
Aber nach fünf Jahren sah sie ihn an einem Sonntag abermals die Kanzel besteigen. Und abermals war es ihr, als habe sie ihn herbeigewünscht. Er aber gab ihr keinerlei Veranlassung zu solchen Gedanken. Wieder beachtete er sie in keiner Weise, und immer noch war er mit Charlotte Löwensköld verlobt.
Sie hatte Charlotte nie etwas Böses gewünscht, dafür konnte sie die Hand zum Schwur auf die Bibel legen, ab und zu aber hatte sie doch gehofft, Charlotte würde sich in einen andern verlieben, oder einer ihrer reichen Verwandten würde sie zu einer langen Reise ins Ausland einladen, wodurch sie auf eine angenehme Weise von dem jungen Ekenstedt getrennt würde.
Da sie als Frau des Organisten ab und zu in die Propstei eingeladen wurde, war sie zufällig auch an jenem Tage dort, als Schagerström vorbeifuhr und Charlotte sagte, sie würde ihn nehmen, wenn er um sie anhalte. Seitdem war ihr sehnlichster Wunsch gewesen, Schagerström möchte um Charlotte werben; und dieser Wunsch konnte doch nichts Unrechtes sein! Jedenfalls hatte er nicht das geringste zu bedeuten.
Denn wenn Wünsche eine Macht hätten, dann sähe es wohl etwas anders aus in dieser Welt. Man bedenke nur, was schon alles gewünscht worden ist! Was sich die Menschen schon Gutes gewünscht haben! Wie viele sich schon gewünscht haben, frei von Sünde und Krankheit zu sein! Wie viele gewünscht haben, dem Tode zu entgehen! Nein, das wußte sie wohl, wünschen konnte man unbeschränkt; Wünsche haben keine Macht.
Aber eines schönen Sommersonntags sah sie tatsächlich Schagerström in die Kirche kommen, und siehe, er wählte auch seinen Platz so, daß er Charlotte, die im Pfarrstuhle saß, sehen konnte. Nun wünschte sie auch, Schagerström möge Charlotte schön und anziehend finden. Von ganzer Seele wünschte sie das. Es war doch kein Unrecht gegen Charlotte, wenn sie ihr einen reichen Mann wünschte!
Nachdem sie Schagerström in der Kirche gesehen hatte, wurde sie den ganzen Tag über das Gefühl von einem bevorstehenden Ereignis nicht los. In der Nacht lag sie wie im Fieber und wartete darauf, daß etwas geschehe. Und so war es auch am folgenden Vormittag. Sie saß am Fenster und konnte nicht arbeiten, sondern wartete nur mit gefalteten Händen auf das, was kommen würde.
Sie meinte, sie müsse Schagerström vorbeifahren sehen. Aber es begab sich etwas noch viel Wunderbareres. Mitten am Vormittag, so zwischen elf und zwölf Uhr, machte ihr Karl Artur einen Besuch.
Man versteht, daß sie selig und erschrocken, zugleich aber auch von Schüchternheit überwältigt war.
Sie wußte nicht, was sie gesagt hatte, um ihn zu begrüßen und ins Zimmer hereinzubitten. Jedenfalls saß er bald in dem besten Lehnstuhl ihres kleinen Salons, und sie saß ihm gegenüber und starrte ihn an.
Sie hatte gar nicht gewußt, daß er so jung aussah, wie sie ihn nun in der Nähe fand. Sie wußte ja alles, was seine Familie betraf, ja sie wußte auch, daß er im Jahre 1806 geboren war und nun also neunundzwanzig Jahre alt sein mußte. Aber das sah ihm niemand an.
Nun berichtete er ihr in seiner entzückend einfachen, ernsthaften Weise, er habe erst kürzlich durch einen Brief seiner Mutter erfahren, daß sie Malwina Spaaks Tochter sei, die eine so gute Freundin und Gehilfin der ganzen Familie Löwensköld gewesen war. Es bedauerte, dies nicht früher gewußt zu haben, und sagte, sie hätte es ihm sagen sollen.
Sie war überglücklich, weil sie nun wußte, weshalb er sie früher gar nicht beachtet hatte. Aber sie konnte nichts sagen, nichts erklären. Sie murmelte nur ein paar dumme verworrene Worte, die er wahrscheinlich gar nicht verstand.
Er sah sie etwas verwundert an. Konnte ein erwachsener Mensch so schüchtern sein, daß er die Sprache verlor? Das war ihm unbegreiflich.
Wie um ihr Zeit zu lassen, sich zu fassen, begann er von Malwina Spaak und von Hedeby zu erzählen. Auch auf die Spukgeschichten und den unheimlichen Ring kam zu er sprechen.
Er sagte, er könne zwar alle die Einzelheiten nicht glauben, aber trotzdem liege für ihn ein tiefer Sinn darin. In dem Ring sehe er ein Symbol der Liebe zum Irdischen, die die Seele gefangenhält und sie ungeschickt zum Reiche Gottes macht.
Da saß er nun wirklich vor ihr und sah sie mit seinem einnehmenden Lächeln an, plauderte auch ganz vertraulich und unbefangen mit ihr wie mit einem alten Freunde! Das Glück war zu groß, es drohte sie zu ersticken.
Er war vielleicht daran gewöhnt, keine Antwort zu erhalten, wenn er zu den Armen und Mühseligen kam, um sie zu trösten und aufzurichten. So redete er denn unverdrossen weiter.
Er berichtete ihr, er müsse immerfort an Jesu Wort zu dem reichen Jüngling denken, und er sei überzeugt, der Grund zu den vielen Leiden der Menschen liege vor allem darin, daß sie das Geschaffene mehr liebten als den Schöpfer.
Obwohl sie nichts sagte, lauschte sie doch offenbar seinen Worten auf eine Weise, die sein Zutrauen immer mehr hervorlockte. Er vertraute ihr an, daß er weder Propst noch Bischof werden wolle.